(Das Filmfest liegt ja schon eine Weile zurück. Wie die dortige
Francesco Rosi-Werkschau selbst ist auch dieser Text verspätet;
sozusagen ein Nachschlag zur "Unser Filmfest"-Reihe)
Es gibt zwei Mythen über die Mafia. Der eine ist der
amerikanische: Mafiosi sind Menschen. Marlon Brando, Robert de Niro
oder Al Pacino verkörpern diese schönen Verbrecherhelden in all
ihrer Coolness, sie zeigen sie als gute Söhne, Brüder, Väter, die
eigentlich immer nur ihrer spaghettikochenden Mamma gefallen und
die Familie zusammenhalten wollen. Diese Humanisierung der Mafia
weckt Verständnis noch für den unnötigsten Mord, denn alles
geschieht ja für Mamma. Der zweite Mythos ist der italienische:
Mafia ist immer und überall. Wir erleben sie als eiskalte
Unsichtbare, und zugleich als omnipräsent: als korrupte Bullen oder
als schlägernde Halbwüchsige. Sinnlos ist der Kampf vereinzelter
sysiphoshafter Polizisten allein gegen den Clan, am Ende steht
immer der Sieg des Unsichtbaren.
Kein zweiter Filmregisseur hat dies so geschickt inszeniert, wie
Francesco Rosi. Seine Filme, die jetzt auf dem Münchner Filmfest
gezeigt wurden, sind Epen des Verbrechens. Sie romantisieren die
Mafia dadurch, daß sie sie in Eiseskälte und Perfektion zeigen, die
vorgibt, die Wirklichkeit zu schildern. Die Filme des 1922
geborenen Italieners sind engagierte Thriller und Gangsterfilme.
Fast dokumentarisch und in jedem Detail hyperrealistisch (obwohl
seine Bilder bis ins Kleinste inszeniert sind) zeigt Rosi die
Zustände Italiens in den 50er, 60er und 70er Jahren. SALVATORE
GUILIANO (1961), HÄNDE ÜBER DER STADT (1963) und noch LUCKY LUCIANO
(1973) wirken phasenweise wie Dokumentarfilme. Rosi schaut genau
hin, aber er bleibt immer skeptisch. Keiner hat den Filz
zwischen Mafia, Macht und Kapital so kühl und doch eindeutig
anklagend in Film verwandelt wie er. Wie ein Ermittlungsbeamter
verschafft sich der Regisseur stellvertretend für die Zuschauer ein
objektives Bild, doch im selben Moment drückt er sich nicht um
dessen Bewertung. Viele Filme Francesco Rosis gleichen einem
Prozeß. Die Fakten werden nüchtern und sachlich präsentiert, am
Ende wird das Urteil gesprochen. Aber Rosis Helden sind keine
Ankläger, sondern Produkte der Verhältnisse, und an ihren Defekten,
die sie in aller Integrität doch nicht verleugnen können, zeigt
sich die Gewalt des Systems. Ihre Anklagen sind deshalb indirekter,
aber um so schärfer. Oft sind es Ermittler, wie der stoische
Inspektor Rosas (Lino Ventura), der in CADAVERI ECCELENTI (1976)
eine Serie von Richtermodern aufklären muß.
Rosi –das kann man nicht genug schätzen- verwechselt nie die
Wirklichkeit mit der Wahrheit. Aber der Skeptiker sitzt auf dem
bequemsten Sessel. Wo im Polizeifilm der 90er Polizisten
durchdrehen und ein Massaker unter Verbrechern anrichten, weil
hierin die einzige Alternative dazu liegt, selbst korrupt zu
werden, sind Rosis Helden meist angepaßte, brave Beamte. Stur tun
sie ihren Beruf noch im Scheitern perfekt. Und so wie die Mafia
–darum liebt sie Hollywood so- die gewalttätigen Ursprünge des
freien Unternehmertum bloßlegt, enthüllen Rosis Filme in ihren
melancholischen Sysiphoshelden die Tragödie des Staates im Kampf
mit dem Kapitalismus.
Rüdiger
Suchsland
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