Wie jedes Jahr im goldenen Herbst reisten Film- und Fernsehschaffende
vom 22.-26. Oktober 2003 in die Cineasten-Provinz Hof, um
sich die von Festivalleiter Heinz Badewitz auserkorenen Celluloid-Spezialitäten
auf der Netzhaut zergehen zu lassen.
Ca. 60 Lang- und 30 Kurzspielfilme, wie immer mit einem Hang
"zum Besonderen", forderten die Aufmerksamkeit des
Fach- und Fanpublikums. Allerdings lässt sich der Hang
zum Besonderen immer mehr mit dem Hang zum Alltäglichen
gleichsetzen. Dass das Kino immer mehr dem Realismus zustrebt,
ist nicht neu. Aber darf es denn gar nicht mehr verzaubern?
In jeder filmischen oder literarischen Erzählung macht
ihr Held eine sogenannte Reise durch. Der Kreis der "Heldenreise",
wie ihn Dramaturgen und Autoren schematisch definieren, beschreibt
die Entwicklung einer Figur von ihrer Berufung bis zur (Auf-)lösung
ihres Konflikts. Auch innerhalb der Filmgeschichte scheint
der Held als solcher eine Reise durchgemacht zu haben, deren
momentanes Stadium schlicht deprimierend ist : Helden sind
einfach keine Helden mehr! Früher mußte man(n)
mindestens mutig (nicht nur als Cowboy, Ritter, Privatdetektiv
oder Kriminaler) sein, um sich - stets mit edler Gesinnung
- um das schmückende, weibliche Beiwerk prügeln
zu dürfen. Die Damenwelt oder gar die Welt zu erretten,
großmütig-weise Verzicht zu üben oder wenigstens
nach der Devise "ein Mann muß tun, was er tun muß",
heroisch in den Sonnenuntergang zu reiten. Dann kamen die
James Deans und Marlon Brandos, die keine blutige Nase ausließen,
um sich gegen das System zu wehren, das ihnen vorschreiben
wollte, was sie tun sollten. Konflikte wurden nicht mehr immer
gelöst, aber die Männer taten wenigstens immer noch,
was sie tun mußten. Der "Held" von heute tut
nicht mehr, ihm wird getan. Die Konflikte nehmen in ihrer
überschwappenden Tragik zu und die zu ihrer Lösung
befähigten Charaktere ab. Natürlich sind die Bonds,
Indiana Jones´s usw. in fiktionalen Erzählungen
nicht ausgestorben, doch haben sie es mit immer tatenloser
werdender Heldenkonkurrenz zu tun, die die Realität aus
Plattenbau und Großstadtdschungel von zu Hause nach
Hause holen. Noch nie waren passive Protagonisten so sehr
angesagt wie im deutschen Film der Gegenwart. Was so oft als
ungeheuer authentisch gepriesen wird, ist nichts weiter als
das Unvermögen vielzähliger Filmfiguren, sich gegen
ihre Umwelt zu behaupten. Es geht ja nicht ums Gewinnen, sondern
ums Kämpfen! Wer sich so gar nicht wehrt, wird doch schnell
uninteressant. Und ist nicht der Reiz, eine Geschichte zu
Ende zu verfolgen, nur um zu erleben, wieviel der Gebeutelte
wohl noch aushält, ein wenig trügerisch?
Ein gutes Gegenbeispiel ist "Brain Waves" von Ulli
Lommel, dem die Hofer Filmtage dieses Jahr eine Hommage widmeten.
Solide Suspense aus den 70ern, und man weiß, wer welches
Anliegen hat und an wen man sich halten kann. Ja das geht:
Identifikation und Aktion! Zurück zum "Passivisten",
der - in der Regel auch noch der Gattungsart des Pessimisten
zuzuordnen - von den Ereignissen seiner Umwelt ausschließlich
gebeutelt und hin und wieder erschlagen wird. Beispielsweise
im "Tatort" einer beliebigen Sendeanstalt, der an
kinofreien Sonntagabenden immerhin noch mit die besten TV-Quoten
einholt, quält sich u.a. Robert Atzorn bemüht emotionslos
durch ausweglose kriminalistische Labyrinthe, deren Abzweigungen
stets einen neuen menschlichen Abgrund bereithalten. Dazu
kneift er die Augen und Zähne zusammen und tut, was er
tun muß: gar nichts.
Die Helden von einst - zugegeben häufig als pathoslastige
Überzeichnungen in Erscheinung tretend - waren wenigstens
Vorbilder, anbetungs- und nachahmungswürdig. Der heutige
Held eines "anspruchsvollen Films" ist oftmals geradezu
ernüchternd egoistisch, ziel- und meist auch noch mittellos.
So auch die Hofer Helden. "Der Typ" schildert brilliant
konsequent die Elendsreise eines jungen Mannes auf der Suche
nach sich selbst. Alles, was er haben könnte, kann er
nicht halten und alles, was er hat, ist Pech. Ein Abschlussfilm
aus Ludwigsburg von Patrick Tauss, definitiv das unpretentiöse
Highlight von Hof! Diese Heldenreise ist trotz ihres kaputten
Helden gelungen, denn er hat wenigstens Ecken und Kanten und
trägt ein im deutschen Film so rar gewordenes Gut zur
Schau: Selbstironie.
In "Schussangst" ist es beinahe unerträglich
zu beobachten, wie sich Held Bennie auf eine unheilvolle Reise
begibt. Schleichend beginnt sich sein Innerstes von einem
harmlosen, gutmütigen Jungen zu einer gefühlskalten
Maschine zu wandeln. Und wir sehen immer nur wieder in seine
undurchdringlichen dunklen Augen und denken, tu doch endlich
was! Er legt seine Hände so lange in den Schoß,
bis sie das Entsetzliche zu tun vermögen. Trotz eines
starken Darstellerensembles hat Regisseur Dito Tsintsadze
die Kraftprobe mit dem Eingreifwunsch des Zuschauers doch
überdehnt. Auch in der viel gelobten Kurzfilmproduktion
"Wenn sie brennen, legen sie auf" der HFF München
kann sich Held Sven Pippig einfach nicht dagegen wehren, daß
er böse ist. Eine Ausnahme ist "Tor zum Himmel"
von Veit Helmer: ein etwas farbloses Märchen mit romantischen
Grundzügen, aber stereotypen Figuren. In "Der gläserne
Blick" spielt eine ausgekochte Sylvie Testud ein verworrenes
Spiel mit Komissar Pinto (Miguel Guilherme), der es ebenfalls
stets vermeidet irgendeine Gefühlsregung zu zeigen. In
"Nitschewo" von Stefan Sarazin möchte Jim (Ken
Duken) so gerne aus allem ausbrechen, rebellieren - ein Held
sein. Und doch bleibt alles aufgesetztes Leiden ohne Sinn
und Zweck. Wunderbar besonnen und poetisch-eigenwillig dagegen
der Kurzfilm "Fragile" von Sikander Goldau. Der
Nachwuchsregisseur brachte die Stimmung des Festivals mit
einem Satz auf den Punkt: "In Hof redet keiner mit einem!"
Vermutlich weiß also jeder an diesem geweihten, familiär
anmutenden Ort, daß er wahre Kunst vor Augen hat und
traut sich nicht, dem einen oder anderen Filmemacher sein
Unbehagen über manch ein unklares Anliegen anzuvertrauen.
Dennoch waren all die Hofer Heldenreisen im Grunde sehenswert
und haben - als Lichter des Alltags aufflammend - ihre starken
Momente, oft mutige und kraftvolle Bilder, doch lassen sie,
und vor allem ihre motivationslosen Hauptfiguren, einen am
Ende ein wenig ratlos zurück.
Felicitas Darschin
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