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06.11.2003
 
 
       

Hofer Heldenreisen
Die Hofer Filmtage 2003

 
       
 
 
 
 

Wie jedes Jahr im goldenen Herbst reisten Film- und Fernsehschaffende vom 22.-26. Oktober 2003 in die Cineasten-Provinz Hof, um sich die von Festivalleiter Heinz Badewitz auserkorenen Celluloid-Spezialitäten auf der Netzhaut zergehen zu lassen.

Ca. 60 Lang- und 30 Kurzspielfilme, wie immer mit einem Hang "zum Besonderen", forderten die Aufmerksamkeit des Fach- und Fanpublikums. Allerdings lässt sich der Hang zum Besonderen immer mehr mit dem Hang zum Alltäglichen gleichsetzen. Dass das Kino immer mehr dem Realismus zustrebt, ist nicht neu. Aber darf es denn gar nicht mehr verzaubern?

In jeder filmischen oder literarischen Erzählung macht ihr Held eine sogenannte Reise durch. Der Kreis der "Heldenreise", wie ihn Dramaturgen und Autoren schematisch definieren, beschreibt die Entwicklung einer Figur von ihrer Berufung bis zur (Auf-)lösung ihres Konflikts. Auch innerhalb der Filmgeschichte scheint der Held als solcher eine Reise durchgemacht zu haben, deren momentanes Stadium schlicht deprimierend ist : Helden sind einfach keine Helden mehr! Früher mußte man(n) mindestens mutig (nicht nur als Cowboy, Ritter, Privatdetektiv oder Kriminaler) sein, um sich - stets mit edler Gesinnung - um das schmückende, weibliche Beiwerk prügeln zu dürfen. Die Damenwelt oder gar die Welt zu erretten, großmütig-weise Verzicht zu üben oder wenigstens nach der Devise "ein Mann muß tun, was er tun muß", heroisch in den Sonnenuntergang zu reiten. Dann kamen die James Deans und Marlon Brandos, die keine blutige Nase ausließen, um sich gegen das System zu wehren, das ihnen vorschreiben wollte, was sie tun sollten. Konflikte wurden nicht mehr immer gelöst, aber die Männer taten wenigstens immer noch, was sie tun mußten. Der "Held" von heute tut nicht mehr, ihm wird getan. Die Konflikte nehmen in ihrer überschwappenden Tragik zu und die zu ihrer Lösung befähigten Charaktere ab. Natürlich sind die Bonds, Indiana Jones´s usw. in fiktionalen Erzählungen nicht ausgestorben, doch haben sie es mit immer tatenloser werdender Heldenkonkurrenz zu tun, die die Realität aus Plattenbau und Großstadtdschungel von zu Hause nach Hause holen. Noch nie waren passive Protagonisten so sehr angesagt wie im deutschen Film der Gegenwart. Was so oft als ungeheuer authentisch gepriesen wird, ist nichts weiter als das Unvermögen vielzähliger Filmfiguren, sich gegen ihre Umwelt zu behaupten. Es geht ja nicht ums Gewinnen, sondern ums Kämpfen! Wer sich so gar nicht wehrt, wird doch schnell uninteressant. Und ist nicht der Reiz, eine Geschichte zu Ende zu verfolgen, nur um zu erleben, wieviel der Gebeutelte wohl noch aushält, ein wenig trügerisch?

Ein gutes Gegenbeispiel ist "Brain Waves" von Ulli Lommel, dem die Hofer Filmtage dieses Jahr eine Hommage widmeten. Solide Suspense aus den 70ern, und man weiß, wer welches Anliegen hat und an wen man sich halten kann. Ja das geht: Identifikation und Aktion! Zurück zum "Passivisten", der - in der Regel auch noch der Gattungsart des Pessimisten zuzuordnen - von den Ereignissen seiner Umwelt ausschließlich gebeutelt und hin und wieder erschlagen wird. Beispielsweise im "Tatort" einer beliebigen Sendeanstalt, der an kinofreien Sonntagabenden immerhin noch mit die besten TV-Quoten einholt, quält sich u.a. Robert Atzorn bemüht emotionslos durch ausweglose kriminalistische Labyrinthe, deren Abzweigungen stets einen neuen menschlichen Abgrund bereithalten. Dazu kneift er die Augen und Zähne zusammen und tut, was er tun muß: gar nichts.

Die Helden von einst - zugegeben häufig als pathoslastige Überzeichnungen in Erscheinung tretend - waren wenigstens Vorbilder, anbetungs- und nachahmungswürdig. Der heutige Held eines "anspruchsvollen Films" ist oftmals geradezu ernüchternd egoistisch, ziel- und meist auch noch mittellos. So auch die Hofer Helden. "Der Typ" schildert brilliant konsequent die Elendsreise eines jungen Mannes auf der Suche nach sich selbst. Alles, was er haben könnte, kann er nicht halten und alles, was er hat, ist Pech. Ein Abschlussfilm aus Ludwigsburg von Patrick Tauss, definitiv das unpretentiöse Highlight von Hof! Diese Heldenreise ist trotz ihres kaputten Helden gelungen, denn er hat wenigstens Ecken und Kanten und trägt ein im deutschen Film so rar gewordenes Gut zur Schau: Selbstironie.

In "Schussangst" ist es beinahe unerträglich zu beobachten, wie sich Held Bennie auf eine unheilvolle Reise begibt. Schleichend beginnt sich sein Innerstes von einem harmlosen, gutmütigen Jungen zu einer gefühlskalten Maschine zu wandeln. Und wir sehen immer nur wieder in seine undurchdringlichen dunklen Augen und denken, tu doch endlich was! Er legt seine Hände so lange in den Schoß, bis sie das Entsetzliche zu tun vermögen. Trotz eines starken Darstellerensembles hat Regisseur Dito Tsintsadze die Kraftprobe mit dem Eingreifwunsch des Zuschauers doch überdehnt. Auch in der viel gelobten Kurzfilmproduktion "Wenn sie brennen, legen sie auf" der HFF München kann sich Held Sven Pippig einfach nicht dagegen wehren, daß er böse ist. Eine Ausnahme ist "Tor zum Himmel" von Veit Helmer: ein etwas farbloses Märchen mit romantischen Grundzügen, aber stereotypen Figuren. In "Der gläserne Blick" spielt eine ausgekochte Sylvie Testud ein verworrenes Spiel mit Komissar Pinto (Miguel Guilherme), der es ebenfalls stets vermeidet irgendeine Gefühlsregung zu zeigen. In "Nitschewo" von Stefan Sarazin möchte Jim (Ken Duken) so gerne aus allem ausbrechen, rebellieren - ein Held sein. Und doch bleibt alles aufgesetztes Leiden ohne Sinn und Zweck. Wunderbar besonnen und poetisch-eigenwillig dagegen der Kurzfilm "Fragile" von Sikander Goldau. Der Nachwuchsregisseur brachte die Stimmung des Festivals mit einem Satz auf den Punkt: "In Hof redet keiner mit einem!" Vermutlich weiß also jeder an diesem geweihten, familiär anmutenden Ort, daß er wahre Kunst vor Augen hat und traut sich nicht, dem einen oder anderen Filmemacher sein Unbehagen über manch ein unklares Anliegen anzuvertrauen.

Dennoch waren all die Hofer Heldenreisen im Grunde sehenswert und haben - als Lichter des Alltags aufflammend - ihre starken Momente, oft mutige und kraftvolle Bilder, doch lassen sie, und vor allem ihre motivationslosen Hauptfiguren, einen am Ende ein wenig ratlos zurück.

Felicitas Darschin

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