Richard Attenborough (76), seit 1993 Lord und damit Mitglied des
britischen Oberhauses, beschäftigte sich in seinen Regiearbeiten
oft mit außergewöhnlichen historischen Persönlichkeiten. Mit
"Gandhi" (1982)
und "Cry Freedom" (1987) feierte er seine größten Erfolge.
In seinem neuen Film "Grey
Owl" zeichnet er das Leben des Umweltaktivisten Archibald
Belaney (1888 - 1938) nach, der aus England nach Kanada auswanderte
und sich als Indianer ausgab. Mit Lord Richard Attenborough
sprach Zoran Gojic
Artechock: Sie sind in einem Alter, in dem andere ihren
Ruhestand genießen. Sie drehen immer noch Filme und tun sich auch
noch die Promotion-Arbeit an.
Attenborough: Die Filme, die ich mache, entsprechen
nicht den üblichen kommerziellen Kriterien. Sie sind nicht völlig
eskapistisch und enthalten keine Pornographie - sei es Sex oder
Gewalt. Das sind eigentlich die Voraussetzungen für Erfolg.
Zumindest sehen das die großen Filmstudios so, aber ich drehe nicht
für diese Studios. Meine Filme entstehen unter der Mithilfe
privater Financiers, was mir größtmögliche künstlerische Freiheit
erlaubt. Die Verleiher haben aber Probleme einen Film zu
vertreiben, der nicht den allgemeinen Standards der
Unterhaltungsindustrie entspricht. So gibt es weniger Geld für
Werbung. Wenn ich also einen Film habe, der mir am Herzen liegt,
und das ist immer so, wenn ich Regie geführt habe, muss ich diesen
Film verkaufen. Ich muss die Aufmerksamkeit auf die Filme lenken.
Die Leute sollen reingehen und sich selber ein Urteil bilden.
Deswegen reise ich um die Welt und gebe Interviews. Wenn die großen
Studios hinter einem stehen, ist das nicht nötig, weil da riesige
Werbebudgets zur Verfügung stehen.
Es hat doch auch sehr lange gedauert "Grey
Owl" zu realisieren?
Vor sechs Jahren haben wir mit dem Projekt begonnen - damals
schon mit Pierce Brosnan, der da noch ein Gesicht im Fernsehen war
und kein Kinostar. Keiner interessierte sich für den Film oder
Pierce Brosnan. Erst als er "James Bond" wurde, war plötzlich Geld
für "Grey Owl" vorhanden. Es war wichtig, dass Pierce dem Projekt
treu blieb, obwohl es für ihn ein Risiko war. Die Öffentlichkeit
kennt ihn ja in erster Linie als James Bond. Bei mir läuft er mit
Zöpfen herum - das ist ziemlich ungewohnt. Brosnan ist aber ein
sehr guter Schauspieler und wenn man "James Bond" mal ausblendet,
sieht man, dass er ein sehr cleverer und überzeugender Darsteller
ist.
Die biographischen Themen ziehen sich wie ein
roter Faden durch Ihr Werk.
Ich ziehe Tatsachen der Erfindung vor. Und ich glaube an Helden.
Ich denke unsere Welt braucht Helden. Unsere Gesellschaft wird von
Zynismus beherrscht und ich mache mir große Sorgen, dass
beispielsweise meine Enkel mit bestimmten Werten und Kriterien
konfrontiert werden, die mir nicht gefallen. Ich glaube es wird
immer große Persönlichkeiten geben, die als Inspiration für uns
alle dienen. Tatsächlich war der Film über Gandhi der Grund für
meinen Wunsch Regie zu führen. Glücklicherweise wurde der Film ein
Erfolg und ich konnte weiterarbeiten.
Sie haben damals bei der Oscarverleihung "ET"
geschlagen.
Ja, aber eigentlich hätte "ET" die acht Oscars verdient. Es war
der bessere Unterhaltungsfilm. "Gandhi" war eher ein Statement. Ein
wichtiger Film vielleicht, aber nicht der beste im Sinne der
Unterhaltungsindustrie. Ich hätte für "ET" stimmen sollen.
Inwieweit gehen sie Kompromisse ein, denn
Filme mit Botschaft machen ja nur Sinn, wenn ein großes Publikum
den Film sieht und diese Botschaft versteht?
Wenn man etwas zu sagen hat, muss man einen Kontext dafür
finden, in dem man das sagen kann. Und ich bin in der
Unterhaltungsbranche, kein Priester, Schriftsteller oder Philosoph.
Es gibt bestimmte Dinge, die mir wichtig sind und diese Dinge will
ich den Leuten nahebringen. Das schafft man, indem man Interesse
weckt. Und das Interesse vieler liegt darin, unterhalten zu werden.
Also muss ich die Dinge, die mir wichtig sind unterhaltsam
darstellen. Andererseits will man sein Anliegen nicht
diskreditieren oder falsch zeigen.
Können denn Filme die Welt verändern?
Ich weiß es nicht. Ich glaube die verherrlichende Darstellung
von Gewalt kann die moralischen Standards senken und zu falschem
Verhalten verleiten. Das macht mir Sorgen, die ganze Pornographie
der Gewalt. Vielleicht funktioniert es andersherum auch, wenn man
Film als Herzensangelegenheit betrachtet. "Cry Freedom", der die
Apartheid und den Mord an Steven Biko verurteilte, hätte ich nicht
gedreht, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass er
wenigstens ein bißchen Wirkung zeigen könnte.
Seit 1993 sind Sie Mitglied des britischen
Oberhauses, da können Sie doch direkt Einfluss nehmen.
Tatsächlich setze ich mich im Moment sehr massiv dafür ein, die
Schulden der sogenannten "Dritten Welt" komplett zu streichen. Die
britische Regierung hat gerade eben Mocambique die Schulden
erlassen. Das Geld, das für die Zinszahlungen vorgesehen ist, soll
statt dessen in Schulen und Krankenhäuser fließen. Ich bin aber
kein "working peer" der für eine Partei mehrere Tage in der Woche
im Oberhaus tätig ist. Ich könnte als ernannter Lord auf den
neutralen Bänken sitzen, aber ich bin seit 1945 Mitglied der
Labour-Partei und deswegen sitze ich bei denen.
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