From Tibet - A Film of the Homeland
Eine poetisch-politische
Reise durch das heutige Tibet mit Bildern aus dem Alltag und
Spuren aus der Vergangenheit. Im Schein einer Taschenlampe sehen
wir alte Figuren und Wandgemälde aus den Felsentempeln West-Tibets.
Wir begleiten Nomaden durch überwältigende Landschaften,
beobachten sie bei den Verrichtungen ihres Alltags und erfahren
von ihrer Form des Widerstandes. Eine Kultur, die den Tod ins
Leben einbezieht und den Menschen Widerstandskraft und Heiterkeit
gibt. Der Film ist eine Liebeserklärung an die Menschen
eines großen Kulturvolkes, das sich trotz jahrelanger Knechtschaft
nicht brechen läßt. Drei Jahre waren die Filmemacherinnen
ohne Drehgenehmigung in Tibet unterwegs, wo sie mit Hilfe von
Widerstandsgruppen ihre erstaunlichen Aufnahmen machten.
Lottie
Marsau und Katharina Rosa über die Stationen ihrer Filmreise:
Für den Prolog des Films projizierten wir Trickaufnahmen
der bei den Tibetern beliebten chinesischen Fernsehserie „Zorro"
auf eine Freilichtleinwand. Dann begleitet die Kamera tibetische
Schmuggler wäh-rend einer langwierigen Gebirgspaßüberquerung,
an deren Ende die rote Fahne eines kleinen Orts in West-Tibet
flattert. Über Lautsprecher erteilt die Partei amtliche
Anweisungen an die Bevölkerung, wie sie sich zu verhalten
habe, wenn demnächst hohe Parteifunktionäre der sogenannten
Autonomen Republik Tibet den Ort inspizieren: „Alles muß
absolut sauber sein!" Fluchtartig verlassen wir diesen Ort und
finden uns wieder im ehemaligen Königreich Guge, in der
Gemeinde Tsaprang in West-Tibet. In unmittelbarer Nähe der
Ruinenstadt Tsaparang bewässern tibetische Bauern ihre kargen
Gerstenfelder. Die teils zerfallenen, teils zerstörten Tempelanlagen
der Ruinenstadt lassen die Auswirkungen der chinesischen Kulturrevolution
nachempfinden. Dennoch ist es nicht überall und durchgängig
gelungen, das spirituelle Leben der Tibeter zu zerstören:
In einem restaurierten Kloster wird deutlich, welch intensives
Eigenleben das Zerstörte hat. Im Schein von Kerzen und Taschenlampen
sehen wir im ältesten Tempel der Ruinenstadt Tsaparang (Mandala-Tempel
des berühmten tibetanischen Königs Jesche-Ö) über
800 Jahre alte Wandmalereien. Auf ihnen sind Leichenstätten,
zum Teil mit makabren Details, bildlich dargestellt. Sie sollten
den Meditierenden die Vergänglichkeit bewußt machen:
Bilder, die über die Jahrhunderte im Dunkel des fensterlosen
Raumes ihre Kraft entfaltet und bis heute behalten haben. Dagegen
setzen wir Bilder von einer Luftbestattung auf den Totenhügeln
von Shigatse, Tibets zweitgrößter Stadt. Es folgt
eine Montage von in Tibet photographiertem chinesischem Archivmaterial
über die sogenannte friedliche Befreiung vom Feudalismus
durch die Volksbefreiungsarmee vor 38 Jahren in WestTibet. Der
Ort Ngari war und ist Umschlagplatz für den Tauschhandel
der Nomaden. Heute dient er dem chinesischen Militär als
Hauptstützpunkt in West-Tibet. Wir treffen dort einen chinesischen
Maler und Bildhauer, der beim Militär als Schablonenschneider
arbeitet. Wir reisen weiter ins Sommerlager einer Nomadenfamilie
und schließlich- über die Hauptstadt Lhasa -zur Getreideernte
in ein tibetisches Dorf. Filmkritik: Während der auf
dem Münchner Dokumentarfilmfestival prämierte Halbstünder
China’s Tibet? eine sehr politische Auseinandersetzung mit der
Präsenz der Okkupationsmacht China in Tibet mit Daten und
Fakten untermauerte, enthält der abendfüllende Dokumentarfilm
Aus Tibet - Ein Heimatfilm weniger gesprochenen Kommentar. Er
überläßt den Zuschauer stärker seinen eigenen
Reaktionen auf Land und Lebensformen einer Bevölkerung,
die seit Jahrzehnten ihre kulturelle und religiöse Eigenart
gegenüber dem chinesischen Machtapparat zu erhalten versucht.
Die Aufnahmebedingungen machten eine synchrone Tonspur von vornherein
unmöglich. Die Autorinnen nutzen diese Schere als Ausdrucksmittel:
Obwohl der ganze Film mit Original-Sound aus Tibet unterlegt
ist, ist er immer etwas mehr als die reine Wiedergabe der vorgefundenen
Wirklichkeit in Bild und Ton. Gleichzeitig mit der emotionalen
Nähe der Filmemacherinnen zu ihrem Thema wird unterschwellig
auch ihre technische Distanz zu einer Bevölkerung vermittelt,
deren Sprache sie sich teils im nachhinein anhand des vorhandenen
Tonmaterials verdolmetschen lassen mußten. So entstanden
statt starrer Interviewsituationen puzzleartige Momentaufnahmen,
die im Zusammenhang mit mal stärker assoziativen, mal eher
thesenträchtigen Passagen dem Zuschauen den Eindruck vermitteln,
etwas von Tibet nicht nur gesehen, sondern erlebt zu haben. Caroline
M. Buck Aus: Film & TV Kameramann, 12/96
BIO-FILMOGRAPHIE
LOTTIE MARSAU Geboren 1953 in Heide/Holstein. Zog als
Pantomimin und Musikerin durch die Welt. 1989 unternahm sie ihre
erste mehrmonatige Reise nach Tibet.
KATHARINA ROSA Studium
an der Deutschen Film und Fernsehakademie, Berlin. Langjährige
Mitarbeiterin von Helga Reidemeister („Aufrechtstehen", „Von
wegen Schicksal" usw). Sonst vor allem Arbeit als Tonfrau.
Gemeinsame
Filme:
1995 CHINA’S TIBET? 1996 AUS TIBET - EIN HEIMATFILM Die
beiden Filme sind Teil des geplanten Zyklus „Good Morning Tibet". Tibet".
(Katalog
des 12. internationalen
Dokumentarfilmfestivals)
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