USA 2003 · 90 min. · FSK: ab 0 Regie: Thomas McCarthy Drehbuch: Thomas McCarthy Kamera: Oliver Bokelberg Darsteller: Peter Dinklage, Bobby Cannavale, Patricia Clarkson u.a. |
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Auf zu neuen Zügen |
Es gibt Dinge, die kann man nicht übersehen. Körperliche Merkmale, die bei der Begegnung mit einem Menschen auffallen und verunsichernsoll man so tun, als hätte man es nicht bemerkt? Soll man besondere Rücksicht nehmen? Oder tritt man mit beidem ins Fettnäpfchen? Wenn jemand einen Schnurrbart züchtet, mit dem er die Landesmeisterschaften gewinnen kann, ist die Sache klar, schließlich sorgt er ja selbst für eine Merkwürdigkeit und die bewundernden oder ablehnenden Reaktionen. Doch was ist, wenn das Außergewöhnliche in der Natur eines Menschen liegt? Wer möchte schon gerne als Exotikum begafft werden?
Fin jedenfalls nicht. Er ist kleinwüchsig und hat mit seinem Modellbau-Job im Hinterzimmer eines Modelleisenbahngeschäftes in New York einen Ort gefunden, wo er ungefragt akzeptiert wird. Auch auf den abendlichen Versammlungen der Eisenbahnfreunde achtet man mehr auf die neusten Filmaufnahmen von besonders schönen vorbeifahrenden Zügen als auf seine Statur. Doch als sein Chef und guter Freund Henry stirbt und ihm ein ausgedientes Bahnwärterhäuschen in Newfoundland hinterlässt, fällt ihm der Abschied von der Stadt nicht schwer. Er hofft, auf dem Land ein wenig Ruhe zu finden.
Doch in der Kleinstadt fällt er um so mehr auf und erlebt einmal mehr das ganze Spektrum seltsamer Reaktionendie Menschen, die ihn beim Kennenlernen einfach sympathisch finden, müssen sich ganz schön ins Zeug legen, bis er ihre Freundschaft zulassen mag. Und auch dann sind der überschwengliche Imbißbudenmann Joe und die verletzliche Malerin Olivia vor Missverständnissen nicht gefeit. Auch diese beiden haben ihr Päckchen zu tragen: Joe muss seinen todkranken Vater im Imbiss-Wagen vertreten, obwohl er ein begnadeter Koch ist, und Olivia ist noch nicht über den tödlichen Unfall Ihres Sohnes und ihre Scheidung hinweg. Und alle drei stellen fest, dass sie einander wichtig werden.
Das Faszinierende an Tom McCarthys Film, dem die Idee dazu mit der Entdeckung des einsam gelegenen Eisenbahndepots kam, ist die Beiläufigkeit, mit der wir seinen Figuren näher kommen. Jeder hat so seine Probleme und mag nicht einmal besonders liebenswert sein, aber die Personen erscheinen alle wahr in dem Sinne, dass man sich durchaus vorstellen könnte, ihnen mal auf der Straße zu begegnen. Dies mag unter anderem daran liegen, das McCarthy und seine Hauptdarsteller drei Jahre Zeit hatten, das Buch gemeinsam zu bearbeitenso lange hat die Finanzierung gedauert. Die spröde und doch anziehende Olivia wird eindringlich portraitiert von Patricia Clarkson, die zuvor als eifersüchtige, belesenen Familienmutter in Dogville oder als krebskranke Gegenspielerin ihrer ausgeflippten Tochter April in Pieces of April zu sehen war. Den geschwätzigen, extrovertierten Joe spielt der eher aus dem Fernsehen bekannte Bobby Cannavale. Die Gestaltung der Figur Fin lehnt sich stark an die Erfahrungen des Hauptdarstellers anzwar war nicht von Anfang an geplant, die Rolle des Outsiders mit einem Kleinwüchsigen zu besetzen, aber gemeinsame Bühnenarbeit von McCarthy und Dinklage überzeugte den Autor und Regisseur, seinen leading man gefunden zu haben.
Peter Dinklage, Jahrgang 1969, ist ein großartiger Schauspieler. Sein Handicap bei der Rollenvergabe ist nicht seine Kleinwüchsigkeit (1,37m – damit ist er auch nur 18 cm kleiner als Christina Ricci), sondern das Problem der Menschen, darüber hinaus zu sehen. Oftmals spielt er eben »nur« den Liliputaner: Peter Dinklage ist kein unbekanntes Gesicht im amerikanischen Independence-Kino: Im Film-über-Film Living in Oblivion von Tom DiCillo hat er einen denkwürdigen Auftritt, wenn er sich beklagt, dass den Regisseuren als Vefremdungstatktik bei Traumsequenzen nichts besseres einfalle, als kleinwüchsige Darsteller zu engagieren. Auch in Human Nature von Michel Gondry, der diese Woche (mit zweijähriger Verspätung) in Deutschland anläuft, hat er eine kleine Szene. Aber eine Nebenrolle wie die des grimmigen Kinderbuchautors Miles Finch in Buddy – Der Weihnachtself, in der er zornig die Gleichsetzung von »Zwerg« und »Märchenfigur« zurückweisen darf, fällt im Grunde auf die alten Klischees zurück, auch wenn sie negiert werden.
Die Auseinandersetzung mit dem Sonderling-Status in Station Agentgeht zwar ebenso von seiner mangelnden (?) Körpergröße aus, aber sehr differenziert. Man mag im Verlauf des Films sogar vergessen, was Finbar McBride eigentlich von anderen Menschen unterscheidetum dann um so irritierter sein Unbehagen nachzuvollziehen, als eine Schulklasse ihn doch wieder »nur« als »Zwerg« sieht und nicht als den (nach eigener Einschätzung doch recht durchschnittlichen, langweiligen) Eisenbahnbuff. Es ist zu hoffen, dass Peter Dinklage weiterhin einfach als überzeugender Darsteller und nicht als Standard-Mini-Mensch besetzt wird. Er wäre nicht der Erste, wie es das Beispiel Linda Hunts zeigt: mit ihren 1,45 m gewann sie einen Oscar an der Seite von Mel Gibson und Sigourney Weaver in The Year of Living Dangerously als beste Nebendarstellerin (interessanterweise spielt sie einen kleinwüchsigen Mann), um nach diesem Beweis ihrer Wandelbarkeit zunehmend in Nebenrollen besetzt zu werden, in denen die Körpergröße keine Rolle spielt.