Einem der besten Filmjahre, 2003, mit seinen lauter kleinen
und größeren Meisterwerken - HERO, FEMME FATALE,
THE QUIET AMERICAN, 25th HOUR, GO, WOLFSBURG - um mal einige
der größeren zu nennen, folgte eines der schwächsten
seit langem. Es gab gute, ja sehr gute Filme. Aber es gab
kaum einen Film, jedenfalls im deutschen Kino, der wirklich
positiv überraschte (was auf Festivals lief, das ist
eine ganz andere Frage). Und die wenigen, denen das gelang
- BÖSE ZELLEN, ELEPHANT, THE STRATOSPHERE GIRL, WOLFZEIT
- waren schnell wieder weg. Die großen Überraschungen
erlebte man vor allem an einem Ort: In Cannes. Dort frappierte
die Wucht, mit der das asiatische Kino auf sich aufmerksam
machte. Nicht, dass das neu wäre, aber neu war die Breite
dieser Nouvelle Vague, die längst nicht mehr nur von
ein paar Namen getragen wird. Der Rest waren einige kleine
feine Filme und viele banale, belanglose Mega-Projekte.
2004 bot die schlechteste Berlinale seit langem und die schlechteste
Mostra seit Menschengedenken. Böse Menschen kennen vielleicht
keine Lieder, gute Menschen aber offenbar keine Filme. Jedenfalls
läuft das letztjährige Berlinale-Wettbewerbsprogramm
mit seinen Thesenfilmen, läuft ein Venedig-Festival,
das aussieht, wie eine schlechte Cannes-Imitation mit seinem
angeschminkten Glamour auf eine Bankrotterklärung des
Autorenfilms hinaus - freilich von Außen. Dass er lebt,
dass es Regisseure und Produzenten gibt, die die Tradition
des cinema engagée fortsetzen, in die Welt treten,
genau hingucken und zeigen "was ist", und dabei
auch moralisch und politisch klar Position beziehen - aber
eben nicht nur, sondern zuallererst ästhetisch, zeigen
außer Cannes auch viele kleine Festivals wie San Sebastian,
Wien, Istanbul, Mannheim.
2004 bot einen Pseudoaufbruch im deutschen Kino, der bald
wieder verpufft sein wird, weil er kein inhaltlicher ist,
und von den wirklichen Problemen ablenkt. Bestes Beispiel:
Weingartners gnadenlos überschätzter DIE FETTEN
JAHRE SIND VORBEI, ein nettes Filmchen, das überraschende
Erfolge feierte, und gegen das wenig zu sagen wäre, würde
der Regisseur nicht dauernd im Film wie in öffentlichen
Statements damit kokettieren, dass er einen politischen Film
gemacht hat. Das hat er nun gerade nicht.
2004 bot auch den endgültigen Verfall des französischen
Kinos auf dem deutschen Markt. was allerdings mehr über
das deutsche Publikum sagt, dass lieber TRAUMSCHIFF SURPRISE
und 7 ZWERGE guckt, als CINQ FOIS DEUX und NATHALIE, als über
französische Filme.
Natürlich können Listen dies alles nur unvollständig
abbilden. Darum machen sie ja soviel Spaß, sie zu erstellen.
Und darum kann man sich über sie streiten. Hier sind
sie, immer in einer wertenden Reihenfolge (der beste/schlechteste
oben), in der Regel ohne Begründungen:
Die Top-20
1. LOST IN TRANSLATION
2. BÖSE ZELLEN (der überhaupt unterschätzteste
Film des Jahres)
3. ELEPHANT
4. COLLATERAL
5. DREAMERS
6. THE STRATOSPHERE GIRL
7. OLD BOY
8. SAMARIA
9. WOLFZEIT
10. BIRTH
11. THE VILLAGE
12. AGNES UND SEINE BRÜDER
13. THE MISSING
14. WIR
15. FARLAND
15. MILCHWALD
15. MY GIRL
15. 5x2
15. IN THE CUT
20. SPIDER
Guilty Pleasures
UNDERWORLD
PETER PAN
THE FIVE OBSTRUCTIONS
ETERNAL SUNSHINE OF MY SPOTLESS MIND (zuviel Hirngewichse,
um mehr zu sein)
LAST SAMURAI (zuwenig Hirngewichse, um mehr zu sein)
MUXMÄUSCHENSTILL
MONSIEUR IBRAHIM ET LES FLEURS DE CORAN
KEN PARK
DAS URTEIL - JEDER IST KÄUFLICH
CONFIDENCE
IDENTITY KILLS
ALEXANDER
ROT UND BLAU
OPEN RANGE
GOTHIKA
Auch gut (Honorable Mentions):
WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN
EN GARDE
SUPERTEX
THE MANCHURIAN CANDIDATE
KEIN SCIENCE FICTION
KROKO (auch gut, ja. Nur leider überschätzt. Aber
es sei allen Beteiligten gegönnt)
DER NEUNTE TAG
JUST A KISS
DAS GROSSE RENNEN VON BELLEVILLE
KILL BILL VOL.2 (wäre Lucy Liu noch am Leben
)
LAUTLOS
LUNES AL SOL
I, ROBOT
Sonderfälle
THE FOG OF WAR (supergut. Aber außer Konkurrenz)
DIE SPIELWÜTIGEN
ARARAT (schlechter Film, guter Aufsatz)
DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER (hierzu kann ich mir wirklich
kein Urteil erlauben. Mal ist er in der Erinnerung super,
mal ganz schlimm. Man muss ihn verteidigen, schon aus grundsätzlichen
Erwägungen, weil man mit Filmen und Regisseuren nicht
so umspringen darf. Aber richtig Lust dazu hat man nicht.)
"Naja, naja"-Filme (Filme, bei denen der
Hype doch viel größer war, als das Ergebnis, oder
die Mund-zu-Mund-Propaganda so schlecht, dass man positiv
überrascht wurde)
SPRING, SUMMER, AUTUMN, WINTER AND
SPRING (Guter Film.
Aber mit Abstand der schlechteste von Kim Ki-duk)
GEGEN DIE WAND (zuviel Rock'nRoll und eine fragwürdige
Message. Warum müssen bei Fatih Akin immer alle Ausländer
zurück in ihre Heimat?)
ANYTHING ELSE ()
THE GIRL WITH THE PEARL EARRING
KING ARTHUR
BUTTERFLY EFFECT
L'HISTOIRE DE MARIE ET JULIEN
SILENT WATERS
ZWEI BRÜDER
KAL HO NAA HO
SPIDERMAN 2
FAHRENHEIT 9/11
Größte Enttäuschungen:
TWISTED (wegen Ashley Judd angeguckt, aber selbst sie rettet
diesen Film nicht - und das will was heißen)
CATWOMAN (also
ich hatte mir schon was erwartet)
BIG FISH (Selbstgefälliger, manierierter Schmarrn. Der
schlimmste Tim Burton-Film, eine Zumutung von der ersten Minute
an.)
DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI (Sabbelfilm, so unpolitisch wie
unfilmisch, selbstgefällig wie nichtssagend. Ok, WEISSES
RAUSCHEN war auch schon schlecht. Könnte also auch eins
weiter unten stehen. Aber von einem Film im Cannes-Wettbewerb
hatte man doch zumindest irgendetwas erhofft. Aber das einzige,
was über die Durchschnittsbeziehungskomödie hinausging,
war Prätention).
OCEAN'S TWELVE (Weil Sonderbergh viel mehr kann. Weil Ironie
mit einem "Ironie"-Schild keine Ironie ist. Und
weil der "Kaiser's -neue-Kleider-Effekt schon nach OCEANS
ELEVEN erschöpft war)
21 GRAMM (Enttäuschte, weil die erste halbe, dreiviertel
Stunde gut war, und der Film sich dann als eine blöde
Behauptung und ein ausgelatschtes Nichts entpuppte. Und hässlich
war.)
ONG BAK (bis auf die allererste Szene)
ZATOICHI (Weil er von Kitano ist)
THE TERMINAL (Ein Rückfall in schlechteste Spielberg-Zeiten)
Wirklich schlimme Filme: (Wer nix erwartet, kann auch
nicht enttäuscht werden, sondern nur bestätigt.):
LA MALA EDUCACION (Ich weiß schon. Wer Almodovar schlecht,
wirklich schlecht, öde und langweilig und mies gemacht
und von vorgestern findet, versteht nichts von Film. Ok, sei's
drum. Aber warum verzeihen die gleichen Kritiker, die NAPOLA
doof finden, Almodovar alles? Warum jauchzen die Feministinnen
in Filmen, in denen keine Frau vorkommt? Ok, ich verstehe
nichts von Film. Aber ich finde LA MALA EDUCACION saudoof.)
MOTORCYCLE DIARIES ("Uns bleibt/ was gut war und klar
war/ Comandante Che Guevara" - Wolf Biermann; Che konnte
sein Tagebuch leider nicht mehr redigieren, wetten, dass er
es gern getan hätte?)
BEFORE SUNSET (Ein Film als Hörbuch. Klar würde
ich gern, dass Julie Delpy auch für mich Gitarre spielt.
Aber deshalb muss ich den Film noch lange nicht gut finden.
Und ist Richard Linklater nicht vielleicht der zweitüberschätzteste
Regisseur der 90er?)
COFFEE AND CIGARETTES (Ein Film wie Mentholzigaretten mit
Idee-Caffee - für Rentner, die sich an ihre Jugend erinnern
wollen. Langeweile von der ersten Minute an. Läuft nur
in Nichtraucherkinos.)
LADYKILLERS (Eigentlich eine Frechheit, der schlechteste Film
der Coen-Brüder, bei denen sich die Manierismen zunehmend
verselbständigen, noch nicht mal gut zum Kasse machen)
UNTERWEGS NACH COLD MOUNTAIN (nicht nur "eigentlich"
eine Frechheit)
MONSTER (viel Hype und nix dahinter)
SCHULTZE GETS THE BLUES (Der ostdeutsche Patient)
SCHUSSANGST (Die Aufgabe, die der Regisseur erfolgreich bewältigte
lautet: Wie verarsche ich die deutsche Filmförderung?)
THE BOURNE SUPREMACY (Europe in two hours)
AMERICAN SPLENDOR (Die Rache der Nerds)
DIE GESCHICHTE VOM WEINENDEN KAMEL
SUPER SIZE ME (Der Titel ist Programm. Eine Aufforderung an
Publikum und Geldgeber. M.a.W.: der egozentrischste Film des
Jahres)
HUMAN NATURE (der prätententiöseste Film des Jahres)
Filme, bei denen einem die Worte fehlen:
VAN HELSING (der miserabelste Film des Jahres)
NICHOLAS NICKELBY (der nichtssagendste Film des Jahres)
AUS DER TIEFE DES RAUMES (der fußballfeindlichste Film
des Jahres)
GERMANIKUS (kein Film)
TROJA (der Deppenfilm Film des Jahres)
THE PASSION OF THE CHRIST (der hassenswerteste Film des Jahres)
DER UNTERGANG (der dreisteste Film des Jahres)
Filme, die ich leider nicht gesehen habe (in der leider-leider
Reihenfolge):
BELVAUX-TRILOGIE: "Ein tolles Paar" / "Auf
der Flucht" / "Nach dem Leben"
SKY CAPTAIN AND THE WORLD OF TOMORROW
COMME UNE IMAGE
BLUEBERRY
ANATOMIE EINER ENTFÜHRUNG
THE INCREDIBLES
MARIA FULL OF GRACE (bisher nur auf Festivals)
OPEN WATER
Rüdiger Suchsland
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