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Mit bewundernswerter Konsequenz verfolgt das Filmfestival
auch in diesem Jahr seine Linie: Autorenkino, Filmkunst ohne
Kompromisse ist gewünscht, und genau das bietet die "offizielle
Selektion" des Wettbewerbs und der Reihe "Un Certain
Regard". Filme sind, wenn sie glücken, immer Tagträume,
emotionale Reisen durch Zeit und Raum und jedenfalls ins eigene
Ich. Diesmal zu sehen sind allerdings vor allem Alpträume,
abgründige Filme die anhand privater Geschichten aufs
Große, Ganze zielen.
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So wie BATALLA EN EL CIELO ("Schlacht im Himmel")
vom Mexikaner Carlos Reygadas - dem mit viel Vorschußlorbeeren
ausgestatteten erklärten Liebling der französischen
Kritik. Wie schon zum Auftakt Gus van Sant erzählt auch
dieser Film von letzten Tagen: Ein Chauffeur hat mit seiner
Frau ein Kind entführt, jetzt ist es tot und der Mann
kommt nicht darüber hinweg. Er will sich stellen, doch
schafft er es nicht. Seine Frau bleibt ungerührt, ab
und an betet sie und wartet auf ein Wunder. Er selbst gesteht
alles zunächst der Tochter seines Chefs, sie schläft
aus Mitleid mit ihm, und am Ende entlädt sich auch das
in einem kruden Gewaltakt. Was Reygadas offenkundig erzählen
will, ist genau diese Unverständlichkeit, das Chaos des
Lebens mit seinen Zufällen und seinem Elend - wie vor
30 Jahren in Bertoluccis Paris Marlon Brando und Maria Schneider,
tanzt Reygadas schräges Liebespaar in Mexico-City einen
melancholischen letzten Tango, bevor nichts mehr so sein wird,
wie zuvor. Zugleich würzt er die Geschichte mit etwas
zu offenkundigen politisch-religiösen Anspielungen auf
die Lage in seiner Heimat, auf Katholizismus und taucht sie
in lange Einstellungen, sodass man den Verdacht nicht ganz
los wird, hier wolle sich einer doch auch ein wenig interessant
machen.
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Der im Prinzip sehr langsam, in statischen Einstellungen
erzählte Film hat ein paar wilde, ungesehene und überdies
sexuell explizite Einstellungen, die das Gespräch über
ihn auch nicht gerade verringerten. Ein raunen und Zucken
ging durch die Premieren-Menge, weil sich nach der großen
Liebesszene offenbar alle die gleiche Frage stellten: Haben
sie "es" getan? Gleich zu Beginn hat die Hauptdarstellerin
den Schwanz des Hauptdarstellers im Mund. Die Folge: Die gesammelte
Filmkritik diskutierte dann, ob er nun "echt" sei
oder doch nicht? Wenn ja, dann stellt sich die Frage: wie
schminkt man einen erigierten Penis weiß? Und ohne dass
er zusammenschrumpelt. Also ist "er" nicht "echt".
Nicht immer, das sei zugegeben, sind wir an Fragen der Filmtechnik
so interessiert, wie diesmal.
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Und, ja: Ein bisschen arg macho ist BATALLA EN EL CIELO übrigens
schon
Aber vergessenb kann man ihn nicht.
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Am meisten überzeugte bisher Michael Haneke. Der Österreicher
hat wieder in Frankreich gedreht, mit Juliette Binoche und
Daniel Auteuil. CACHÉ handelt von der Kultur der Angst: Zwei
Pariser Intellektuelle erhalten anonyme Botschaften mit gewalttätigem
Inhalt. Klar ist zudem: Jemand überwacht sie. Hanekes
moralischer Thriller dreht sich um das Schuldgefühl,
das auch entsteht, wenn man nicht schuldig ist, um die Rückkehr
der Repression - unter dem Mantel der "Sicherheit"
- in die Gesellschaften des Westens und um den Umgang mit
schwierigen Erinnerungen. Ein aufregender Film, dessen Regisseur
dem Zuschauer alle leichten Auswege verbaut. Zugleich ist
CACHÉ hervorragend inszeniert, und besonders in der Schauspielführung
einer der besten Filme Hanekes - Begeisterung bei Kritik und
Publikum war die Folge.
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Ob diese sich auch bei Lars von Triers MANDERLAY einstellt,
wird sich erst die nächsten Tage zeigen - man darf nach
den eisigen Reaktionen auf der Pressekonferenz aber daran
zweifeln. Auch diesmal gibt von Trier wieder den Quälgeist
des Weltkinos, und die Attitüde, in der sich der Däne
zum neuen Brecht stilisiert, kann einem schon auf die Nerven
gehen, trotzdem will von Trier immerhin etwas, hat einiges
zu sagen, und sollte auch jenen, die seine Filme nicht mögen,
Nachdenken und Auseinandersetzung wert sein: MANDERLAY ist
eine Fortsetzung von DOGVILLE, der hier vor zwei Jahren Premiere
hatte: Ein Lehrstück der kärglichsten Art und stilistisch
in jedem Fall ein "Deja Vue". Die Erlebnisse der
jungen Grace - die diesmal hinreißend von der 24jährigen
Bryce Dallas Howard gespielt wird - führen diesmal in
die US-Südstaaten. Sklaven werden befreit, doch am Ende
kommt heraus, dass sie die Gesetze einer "humane Sklaverei"
den Gefahren der Freiheit vorziehen - wie Regisseur Lars von
Trier, dem sein Film über weite Strecken zu einem antiliberalen
Traktat gerät, das zwar im letzten Drittel spannend ist,
bis dahin aber viel zu lange braucht.
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Zu einer echten Enttäuschung wurde nur L'ARC von Kim
Ki-Duk, der zuletzt in Berlin und Venedig jeweils den Regiepreis
gewann. Da hatte man es zunächst für eine subtile
Bosheit der Franzosen gehalten, dass der Koreaner hier nur
in der Sektion "Un certain regard" läuft. Nach
Ansicht des Films ist verständlich, warum dies die künstlerisch
richtige Entscheidung war. L'ARC erzählt von Kims alten
Themen: Gefangenschaft, unterdrückte Gewalt, die Dialektik
von Freiheit und Gebundensein, Innen und Außen. Eine
Geschichte, die spannend sein könnte: Ein 16jähriges
Mädchen wurde nach einem Schiffsunglück von einem
älteren Fischer gerettet und auf dem Fischerboot aufgezogen.
Zehn Jahre später will der Alte sie an ihrem 17jährigen
Geburtstag heiraten. Doch die moderne Welt mit ihren Versuchungen
in gestalt junger Männer und westlicher Popmusik lässt
sich auch auf hoher See nicht fernhalten, und irgendwann muss
sich das Mädchen aus den Klauen des besitzergreifenden
Alten befreien. Vor fünf Jahren hätte Kim daraus
einen atemberaubenden Film gemacht, und ungesehene Bilder
gefunden. Heute, durch Preise verwöhnt und unkritisch
geworden, ist sein Film verschmocktes Kunsthandwerk, risikoloses
Biedermannkino, filmisch kitschig und langweilig, bestenfalls
ein ausgeleiertes Selbstzitat.
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Von der Macht der Alpträume und den Alträumen der
Macht erzählt einer der bemerkenswertesten Filme bisher,
die außer Konkurrenz gezeigte Doku: THE POWER OF NIGHTMARES
vom Briten Adam Curtis. Der Film erzählt parallel die
Geschichte der US-amerikanischen Neokonservativen und der
Islamisten seit beider Geburtsstunde im Kalten Krieg kurz
nach 1945. In knapp drei Stunden behält der Regisseur
die roten Fäden seiner Story in der Hand und spinnt doch
ein feines Netz der verschiedenen Akteure des ideologischen
Krieges zwischen Westlich-Östlicher Welt einerseits,
muslimischer andererseits. Das verblüffende Fazit: Die
Al-Quaida gibt es nicht! Die weltweit operierende Terrorgruppe
sei - wie zuvor angebliche Pläne der Sowjetunion zum
Angriff auf die NATO - nur ein Erfindung amerikanischer Rechtsaußen,
die ihren eigenen Weltverschwörungsideen auf den Leim
gingen. Bush und Co, so Curtis, glaubten also an ihre eigenen
Lügen, ähnlich wie Bin Laden. Solchen Amokläufern
des Idealismus stellt Curtis kühlen britischen Pragmatismus
gegenüber. Seine mit vielen Fakten gestützte Darstellung
sorgte an der Croisette für den meisten Gesprächsstoff.
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"Evil is everywhere"
Ach ja
das Böse ist immer und überall. Man
glaubt es kaum, aber dieser Satz steht allen Ernstes ganz
am Anfang von STAR WARS - EPISODE III.: DIE RACHE DER SITH.
Wie schon beim allerersten STAR WARS-Film von 1977, den wir
jetzt, nach der neuen Zeitrechnung des George Lucas, "Episode
IV." nennen sollen. Noch einmal, zum sechsten Mal, kämpft
also - "es war einmal in einer fernen Galaxis" -
Gut gegen Böse, noch einmal geht es um alles. George
Lucas, der Erfinder, Autor und Regisseur dieses epischen Weltraummärchens,
kann nicht viel dafür, dass einem das heute, in Zeiten
des "war against terror", beklemmend bekannt vorkommt
- doch es bestätigt nur, das STAR WARS eben der wirkmächtigste
Populärmythos der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts
ist. Sogar die Politik lernte von seiner Rhetorik, und es
war auch kein Zufall, dass der erste Teil der Geschichte in
der Zeit ins Kino kam, in der die Träume von 1968 verblassten,
in der des "deutschen Herbst" und des Regierungsantritts
von Margret Thatcher, drei Jahre vor der Wahl Ronald Reagans
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Mit dem sechsten und angeblich wirklich letzten Teil der
Serie kehrt Lucas nun zu ihren Hippie-Ursprüngen zurück.
DIE RACHE DER SITH ist, der beste STAR WARS -Film seit THE
EMPIRE STRIKES BACK, also seit 1981. Nun waren alle drei Filme
dazwischen auch echter Mist. Der Film ist gut inszeniert,
er klotzt mit seinen Bildern und Tricks, ohne die Handlung
zu vergessen - Populärkino auf der Höhe der Zeit.
Die Handlung mag den STAR WARS -Verächtern unter den
Gebildeten so albern vorkommen, wie immer - aber immerhin
gibt es eine. Im Gegensatz zu EPISODE I. und DER ANGTRIFF
DER KLONKRIEGER wird hier nicht fortwährend um den heißen
Brei herumgelabert, auch wenn Sitzungen des Jedi-Rats und
interstellare parlamentarische Debatten breiten Raum einnehmen.
Doch zwischendurch erlebt man, wie aus dem Helden Anakin ein
Sendbote des Bösen wird, wie die Angst vor der Katastrophe
- dem Tod der Geliebten - diese Katastrophe überhaupt
erst als sich selbst erfüllende Prophezeihung überhaupt
gebiert. Nur mit Mühe fügt sich Anakin dem Codex
der Jedi, immer wieder ist ein anderer, zorniger unreifer
junger Mann in ihm sichtbar, der Anerkennung um jeden Preis
will. Eigentlich, so scheint es, will dieser Held nur eine
brave amerikanische Familie gründen, mit Senatorin Padmé
Amidala und nettem Reihenhaus an der nächsten Galaxis.
Weil aber das Projekt zu scheitern droht, flüchtet Anakin
in den Kampf. Der Film zeigt diesen Weg in den Abgrund, und
er erzählt darin die Geschichte vom Tod der Freiheit
durch den Wahn absoluter Sicherheit. Die Rhetorik der Sicherheit
ist, behauptet der Film, ebenso wie die Rede vom Ende aller
Kriege, bloße Ideologie, ein Mittel, um die Menschen
zu versklaven - von einer Elite vertreten, die noch nicht
einmal selber daran glaubt. Das Gegenbild, das Lucas nun in
Helden wie Padmé, wie Yoda, wie vor allem Obi-wan Kenobi
entwirft - der hier noch junger Krieger ist, nicht alter Zen-Meister
-, lautet: anti-imperialer Widerstand und Separatismus. Sieht
man den Film, wirkt das alles auf merkwürdige Weise aktuell.
Man glaubt Bush und seine Idee des neuen Imperiums aufblitzen
zu sehen in der Figur des gestörten Sohnes, dem die Anerkennung
fehlt, und der darum die Republik zerstört. Populärkultur
ist mehr als bloße Unterhaltung - sie ist, sonst würde
sie nicht funktionieren, ein Stück Selbstverständigung.
In STAR WARS begegnet uns ein sehr aktuelles "Graffiti
Amerikas".
Rüdiger Suchsland
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