"Ich glaube das Kino ist mir lieber" - "Lieber
als was?" "Als das richtige Leben." - so wie
in diesem Dialog in Wim Wenders' neuem Film DON'T COME KNOCKING
kann es einem auch nach einer Woche an der Croisette gehen.
Das Festival reißt sich zusammen für seinen Endspurt;
bevor am Samstagabend die Palmen vergeben werden, verschwimmen
beim Festival von Cannes noch einmal die Grenzen zwischen
Kino und Leben.
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Hier in der Provinzstadt hatte er seinen größten
Triumph gefeiert. Jetzt kommt er wieder, und ist ein alter
Mann - denn auch wenn es ihm und anderen vorkommen mag, als
sei er eben erst fortgegangen, sind es doch 23 Jahre. Howard
heißt diesmal Wenders' Held, ein Name, der sich kaum
zufällig im Englisch wunderbar auf "Coward"
reimt. Und ein Feigling ist dieser kaputte Alte, der versucht,
die Trümmer seines Lebens einzusammeln, auf unbekannte
Kinder trifft und auf vergessene, auf abgelegte Lieben, denen
er jetzt, Jahrzehnte zu spät einen Heiratsantrag macht,
und auf seine Mutter, die er 30 Jahre lang nicht sah. Eve
Marie Saint spielt diese Mutter. Vor 50 Jahren war sie Cary
Grants Geliebte in Alfred Hitchcocks NORTH BY NORTHWEST -
ein fleischgewordenes Kinozitat, das wiederzusehen bezaubert.
Und dieser Effekt, so darf man vermuten, war ein Grund dafür,
dass Wenders sie für die Rolle verpflichtet hat. Nach
Norden reist nun - ein Schweiger, der Erlösung sucht
- auch Howard, durch die kargen Wüsten Nevadas, vorbei
an den Felslandschaften, in denen Ford und Hawks ihre Western
drehten, Schauplätze, die Wenders so liebt, wie heute
noch kaum ein US-Regisseur.
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Hier in Cannes hatte Wenders seinen größten Triumph
gefeiert. Jetzt ist er wiedergekommen, und auch wenn es ihm
und anderen vorkommen mag, als sei es eben erst gewesen, so
sind es doch 21 Jahre seit der Goldenen Palme für PARIS,
TEXAS. Im August wird er 60, und auch wenn er hier erstmals
wieder ein Drehbuch von Sam Shepard verfilmt hat, so hat die
Zeit doch allzu sichtbare Spuren hinterlassen, bekommt diese
Beschwörung des eigenen Jugendglanzes doch etwas Abgestandenes.
Ein "déjà vu", das keine Weiterentwicklung
der eigenen Themen und Interessen enthält, sondern nur
deren prätentiöse Wiederholung. Was einst lakonisch
war, ist nun geschwätzig geworden, und das Männerbild
ist wie die Männerprobleme dieses Films ein Relikt aus
einer Vergangenheit, die heute gerade so lange her ist, dass
sie einem älter vorkommt, als jede andere. Schwerer als
alles andere wiegt aber, dass Wenders diesmal, ganz im Gegensatz
zu anderen nicht mehr ganz taufrischen Regisseuren im Wettbewerb,
ganz im Gegensatz aber auch zu seinem eigenen letzten Film
LAND OF PLENTY alle Neugier auf die Welt fehlt, die ihn umgibt.
DON'T COME KNOCKING ist das, wovon der Titel spricht: Ein
Film, darüber dass hier einer in seinem eigenen Universum
nicht gestört werden will, dass einer die Neugier und
damit die Zukunft verloren hat - ein Altmännerfilm, der,
wie alle solche Filme, immerhin noch mit den Frauen vor der
Kamera - Jessica Lange, Sarah Polly - etwas anfangen kann,
mit den Männern - Sam Shepard, Tim Roth - und der Welt
aber nicht mehr. "Wie bist Du so geworden?" wird
der Sohn von der Mutter gefragt - und vom Zuschauer. Eine
Antwort liefert Wenders nicht.
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Um einsame Männer und ihre Probleme, nicht nur mit Frauen,
kreisen auch die beiden anderen deutschen Filme in Cannes.
Sie laufen in der zweiten Reihe "Un Certain Regard"
und könnten zwar keine Goldene Palme, aber die "Camera
d'Or" und verschiedene Nachwuchspreise gewinnen. FALSCHER
BEKENNER heißt der von der französischen Kritik
gefeierte Film von Christoph Hochhäusler. Vorbei an allen
deutschen Fördergremien, denen der Stoff offenbar in
seinem Kunstwillens zu dunkel und zu wenig stromlinienförmig
war, haben Hochhäusler und seine Kölner Produktionsfirma
"Heimatfilm" einen intensiven Psychothriller gedreht.
Er handelt von einem Abiturienten, der noch bei den fürsorglichen,
aber absolut verständnislosen Eltern wohnt, und dort
zwischen erfolglosen Bewerbungsgesprächen ziellos und
gelangweilt in den Tag hinein lebt. Ein Portrait der Desorientierung
und Identitätssuche, das über bloßes "Coming-of-Age"-Drama
oder soziales Krisenportrait weit hinausgeht, und grundsätzliche
Fragen an das moderne Leben stellt. Seinem Thema gewinnt Hochhäusler
dabei auch sehr viel humorvolle Seiten ab, sodass man "Falscher
Bekenner" sogar als zutiefst menschliche Komödie
begreifen kann, freilich eine, bei der einem das Lachen im
Hals stecken bleibt.
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Ein fulminantes Debüt gelingt dem Münchner Filmhochschüler
Benjamin Heisenberg mit SCHLÄFER. Auch hier ein junger
Mann, der still und schweigend einen zunächst diffusen
Zorn in sich hineinfrisst. Auch dies ein Thriller, der freilich
dadurch etwas genretypischer wirkt, dass der hoffnungsvolle
Chemiestudent bald vom Geheimdienst angeworben wird. Er soll
seinen arabischen Freund und Kollegen bespitzeln, der könne
ein terroristischer "Schläfer" sein. Über
das Portrait eines langsamen Lebens hinaus passiert nicht
viel, es ist der Alltag, der plötzlich zum Drama wird,
und die Figuren zur Katharsis zwingt. Ein kluger, genau beobachteter
Film über Verrat und seine Folgen - und das kühle,
ganz gegenwärtige Portrait einer Welt, in der jeder jeden
betrügt.
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Gemeinsam ist beiden jungen Regisseuren nicht nur eine ganz
im Gegensatz zu Wenders auf ihre eigene Welt und Gegenwart
gerichtete Neugier und der Verzicht auf Vergangenheitsseligkeit;
es ist auch ihr Stilwille: Diszipliniert und ökonomisch
erwecken sie den Sinn für feine Unterschiede und genaue
Beobachtung wieder zum Leben, der in Cannes schon mal verkümmern
kann.
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Kurz vor Toreschluß werden die Reihen geordnet. Nach einem
Wettbewerb ohne Höhepunkte und Überraschungen, aber mit vielen
guten Filmen gehen Michael Hanekes CACHE und L'ENFANT der
Brüder Dardenne als Favorit ins letzte Wochenende - zwei abgründige
Filme die anhand privater Geschichten aufs Große, Ganze zielen.
Rüdiger
Suchsland
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