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Cannes 2005 20.05.2005
 
 
Tagebuchnotitzen, 3. Folge
Einsame Männer und ihre Probleme
Wim Wenders und deutsche Filme auf dem Festival von Cannes
Cannes 2005
Wenders' DON'T COME KNOCKING
 
 
 
 

"Ich glaube das Kino ist mir lieber" - "Lieber als was?" "Als das richtige Leben." - so wie in diesem Dialog in Wim Wenders' neuem Film DON'T COME KNOCKING kann es einem auch nach einer Woche an der Croisette gehen. Das Festival reißt sich zusammen für seinen Endspurt; bevor am Samstagabend die Palmen vergeben werden, verschwimmen beim Festival von Cannes noch einmal die Grenzen zwischen Kino und Leben.

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Hier in der Provinzstadt hatte er seinen größten Triumph gefeiert. Jetzt kommt er wieder, und ist ein alter Mann - denn auch wenn es ihm und anderen vorkommen mag, als sei er eben erst fortgegangen, sind es doch 23 Jahre. Howard heißt diesmal Wenders' Held, ein Name, der sich kaum zufällig im Englisch wunderbar auf "Coward" reimt. Und ein Feigling ist dieser kaputte Alte, der versucht, die Trümmer seines Lebens einzusammeln, auf unbekannte Kinder trifft und auf vergessene, auf abgelegte Lieben, denen er jetzt, Jahrzehnte zu spät einen Heiratsantrag macht, und auf seine Mutter, die er 30 Jahre lang nicht sah. Eve Marie Saint spielt diese Mutter. Vor 50 Jahren war sie Cary Grants Geliebte in Alfred Hitchcocks NORTH BY NORTHWEST - ein fleischgewordenes Kinozitat, das wiederzusehen bezaubert. Und dieser Effekt, so darf man vermuten, war ein Grund dafür, dass Wenders sie für die Rolle verpflichtet hat. Nach Norden reist nun - ein Schweiger, der Erlösung sucht - auch Howard, durch die kargen Wüsten Nevadas, vorbei an den Felslandschaften, in denen Ford und Hawks ihre Western drehten, Schauplätze, die Wenders so liebt, wie heute noch kaum ein US-Regisseur.

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Hier in Cannes hatte Wenders seinen größten Triumph gefeiert. Jetzt ist er wiedergekommen, und auch wenn es ihm und anderen vorkommen mag, als sei es eben erst gewesen, so sind es doch 21 Jahre seit der Goldenen Palme für PARIS, TEXAS. Im August wird er 60, und auch wenn er hier erstmals wieder ein Drehbuch von Sam Shepard verfilmt hat, so hat die Zeit doch allzu sichtbare Spuren hinterlassen, bekommt diese Beschwörung des eigenen Jugendglanzes doch etwas Abgestandenes. Ein "déjà vu", das keine Weiterentwicklung der eigenen Themen und Interessen enthält, sondern nur deren prätentiöse Wiederholung. Was einst lakonisch war, ist nun geschwätzig geworden, und das Männerbild ist wie die Männerprobleme dieses Films ein Relikt aus einer Vergangenheit, die heute gerade so lange her ist, dass sie einem älter vorkommt, als jede andere. Schwerer als alles andere wiegt aber, dass Wenders diesmal, ganz im Gegensatz zu anderen nicht mehr ganz taufrischen Regisseuren im Wettbewerb, ganz im Gegensatz aber auch zu seinem eigenen letzten Film LAND OF PLENTY alle Neugier auf die Welt fehlt, die ihn umgibt. DON'T COME KNOCKING ist das, wovon der Titel spricht: Ein Film, darüber dass hier einer in seinem eigenen Universum nicht gestört werden will, dass einer die Neugier und damit die Zukunft verloren hat - ein Altmännerfilm, der, wie alle solche Filme, immerhin noch mit den Frauen vor der Kamera - Jessica Lange, Sarah Polly - etwas anfangen kann, mit den Männern - Sam Shepard, Tim Roth - und der Welt aber nicht mehr. "Wie bist Du so geworden?" wird der Sohn von der Mutter gefragt - und vom Zuschauer. Eine Antwort liefert Wenders nicht.

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Um einsame Männer und ihre Probleme, nicht nur mit Frauen, kreisen auch die beiden anderen deutschen Filme in Cannes. Sie laufen in der zweiten Reihe "Un Certain Regard" und könnten zwar keine Goldene Palme, aber die "Camera d'Or" und verschiedene Nachwuchspreise gewinnen. FALSCHER BEKENNER heißt der von der französischen Kritik gefeierte Film von Christoph Hochhäusler. Vorbei an allen deutschen Fördergremien, denen der Stoff offenbar in seinem Kunstwillens zu dunkel und zu wenig stromlinienförmig war, haben Hochhäusler und seine Kölner Produktionsfirma "Heimatfilm" einen intensiven Psychothriller gedreht. Er handelt von einem Abiturienten, der noch bei den fürsorglichen, aber absolut verständnislosen Eltern wohnt, und dort zwischen erfolglosen Bewerbungsgesprächen ziellos und gelangweilt in den Tag hinein lebt. Ein Portrait der Desorientierung und Identitätssuche, das über bloßes "Coming-of-Age"-Drama oder soziales Krisenportrait weit hinausgeht, und grundsätzliche Fragen an das moderne Leben stellt. Seinem Thema gewinnt Hochhäusler dabei auch sehr viel humorvolle Seiten ab, sodass man "Falscher Bekenner" sogar als zutiefst menschliche Komödie begreifen kann, freilich eine, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt.

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Ein fulminantes Debüt gelingt dem Münchner Filmhochschüler Benjamin Heisenberg mit SCHLÄFER. Auch hier ein junger Mann, der still und schweigend einen zunächst diffusen Zorn in sich hineinfrisst. Auch dies ein Thriller, der freilich dadurch etwas genretypischer wirkt, dass der hoffnungsvolle Chemiestudent bald vom Geheimdienst angeworben wird. Er soll seinen arabischen Freund und Kollegen bespitzeln, der könne ein terroristischer "Schläfer" sein. Über das Portrait eines langsamen Lebens hinaus passiert nicht viel, es ist der Alltag, der plötzlich zum Drama wird, und die Figuren zur Katharsis zwingt. Ein kluger, genau beobachteter Film über Verrat und seine Folgen - und das kühle, ganz gegenwärtige Portrait einer Welt, in der jeder jeden betrügt.

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Gemeinsam ist beiden jungen Regisseuren nicht nur eine ganz im Gegensatz zu Wenders auf ihre eigene Welt und Gegenwart gerichtete Neugier und der Verzicht auf Vergangenheitsseligkeit; es ist auch ihr Stilwille: Diszipliniert und ökonomisch erwecken sie den Sinn für feine Unterschiede und genaue Beobachtung wieder zum Leben, der in Cannes schon mal verkümmern kann.

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Kurz vor Toreschluß werden die Reihen geordnet. Nach einem Wettbewerb ohne Höhepunkte und Überraschungen, aber mit vielen guten Filmen gehen Michael Hanekes CACHE und L'ENFANT der Brüder Dardenne als Favorit ins letzte Wochenende - zwei abgründige Filme die anhand privater Geschichten aufs Große, Ganze zielen.

Rüdiger Suchsland

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