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besprechung
dadamax und sein ko(s)misches spiel

die max ernst - retrospektive

eine ausstellung im haus der kunst
von 12.06.1999
bis 12.09.1999

Vor nunmehr 85 Jahren wandelte sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges die abendländische Kunst entscheidend. Schon bald stand die Welt vor den Trümmern ihrer Zivilisation. Die Künstler reagierten auf die physische und psychische Zerstörung durch eine einschneidende tabula-rasa-Aktion. Die Vernichtung der festgefahrenen Strukturen bot den Künstlern eine Fülle neuer Möglichkeiten, ihrer Haltung gegenüber dem Establishment Ausdruck zu verleihen. Mit seinen Readymades, den aus dem alltäglichen Gebrauch herausgerissenen und in einem musealen Kontext verfrachteten Gegenständen, gehört Marcel Duchamp zu den entscheidenden Vorreitern einer provokativen Kunstrichtung, die schließlich in der DaDa-Bewegung ihren Höhepunkt fand.

von köln nach paris



Der junge Max Ernst (1891 - 1976) beginnt noch in seiner Kölner Zeit 1919 mit seinen ersten dadaistischen Experimenten, nachdem er sich zuvor vor allem von dem Expressionisten August Macke, dem Orphisten Robert Delaunay und dem Futuristen Umberto Boccioni beeinflussen ließ. Erst 1921 trifft er in Tirol die geistigen Väter des Dadaismus Tristan Tzara, Hans Arp, Sophie Taeuber und André Breton. In dieser Zeit spielt Ernst mit unterschiedlichsten Techniken und kombiniert die Einzelelemente zu verwirrenden Bildern. Seine Fotocollagen bzw. -montagen dürfen in diesem Sinn als Initialzündung zu seiner nie ermüdeten Suche nach Ausdruckmöglichkeiten gesehen werden, die sein Gesamtwerk kennzeichnet. In den Golden Twenties ließ sich der gemeinsame Feind, gegen den sich die DaDa-Bewegung richtete, nicht mehr ausmachen, was schließlich zum Bruch der Gruppierung und einer ideologischen Umorientierung führte. In der neuen surrealistischen Bewegung, die 1924 durch André Breton manifestiert wird, gehört Max Ernst zu einem der Hauptakteure. Er vertritt sowohl den zeichenhaften wie auch den gegenständlichen Surrealismus, die sich beide dem Hervorbringen der im Inneren des Menschen verborgenen Ängste, Zwänge und Hoffnungen verschreibt. Der gegenständliche Surrealismus arbeitet mit einem renaissancehaften Bildverständnis, bei dem das Bild als Fenster und das Dargestellte als illusionierter Raum verstanden wird. Allerdings sind es nicht mehr die äußeren Formen, sondern die durch die unorthodoxe Aneinanderreihung der Gegenstände resultierenden symbolischen Beziehungen, die den Betrachter zugleich fesseln und abstoßen. Der zeichenhafte Surrealismus hingegen versucht die Ratio des Künstlers weitestgehend auszuschalten, um das Bild aus dem Unbewußten heraus entstehen zu lassen. Der Zufall spielt dabei eine wesentliche Rolle und auch nur durch Zufall ist Max Ernst Entdecker einer Technik geworden, die längst im Kindergarten- und Schulbetrieb etablierten ist. Bei der ‘Frottage’ lassen sich natürliche Strukturen, wie etwa die Maserung des Holzes, durch Durchreiben mit dem Bleistift auf das Papier bringen. Später entwickelt er mit der ‘Grattage’ oder der ‘Decalcomanie’ vergleichbare Verfahren für das Gemälde. Das Unerklärliche, Zufällige der Bilder in Zusammenhang mit den oftmals kryptischen Bildtiteln lassen seine Bilder zu Rätseln werden.
Im Jahr 1940 mußte der für ‘entartet’ erklärte Künstler vor den Nazis in die USA emigrieren. Er war dort einer von vielen seiner surrealistische Kollegen, die versuchten ihre Ideologie der jungen amerikanischen Künstlergeneration zu vermitteln. Ein Jackson Pollock ließ sich durch Ernst sogar zu seiner Dripping-Technik anregen.

ernst sehen



Seine Bilder geben noch heute keine Antworten, sondern werfen Fragen auf. Sie lassen sich nicht interpretieren, nur deuten. Die überschaubare Ausstellung im Haus der Kunst bietet die Möglichkeit, sich dem Gesamtwerk Max Ernsts einmal mehr zu nähern. Die Max Ernst-Kenner werden sicherlich einige kapitale Bilder vermissen, doch tut das der, von Werner Spies sorgsam zusammengetragenen und gehängten, Ausstellung keinen Abbruch. Der regelmäßige Haus der Kunst-Besucher wird erstaunt sein, über die nahezu konsequente chronologische Anordnung der Bilder. Zu loben ist auch die Ausstellungsarchitektur von Holger Walat, die den klaren Räumen ein dem Thema entsprechendes eigenständiges Innenleben gibt. Ergänzt wird diese 'kleine' Retrospektive durch Aussagen des Künstlers selbst, die filmisch von Peter Schamoni festgehalten und speziell für die Ausstellung aufbereitet wurden.

christian schoen



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