»Der Krieg hat nur Löcher in die Häuser gemacht, das Geld hat sie zerstört« |
||
Samer Ghorayeb in Beirut | ||
(Foto: Axel Timo Purr) |
Das Gespräch führte Axel Timo Purr
Samer Ghorayeb hat in Beirut Medien & Kommunikation studiert und jahrelang in der Werbebranche gearbeitet, bevor er mit seinem ersten Kurzfilm Le Petit Cahier Noir 2008 international erfolgreich war und die die in Beirut ansässige Produktionsgesellschaft FLIM gründete. Neben dokumentarischen Arbeiten u.a. für NGOs ist Ghorayeb weiterhin in der Werbung und leitet seine Frühstückspension „Baffa House“ im Beiruter Stadtteil Mar
Mikhael. Sein letzter mit Lucien Bourjeily realisierter Dokumentarfilm Al Kamache (2013) porträtiert einen Bewohner im Nordlibanon und bei ihm wohnende syrische Flüchtlinge, die zwischen dem Regime in Damaskus und einer desinteressierten libanesischen Regierung auf sich allein gestellt sind.
Seit fünf Jahren arbeitet Ghorajeb an einem Film über die Zerstörung des alten Häuserbestandes von Beirut.
artechock: Was möchten Sie mit ihrem Film über die Zerstörung der alten Beiruter Häuser erzählen?
Samer Ghorayeb: Ich komme gerade aus Paris, wo ich eben wegen dieses Filmprojekts war, an dem ich nun schon seit fünf Jahren arbeite. Obwohl ich noch keine endgültige Form gefunden habe – Videoinstallation oder Dokumentarfilm – hat es dokumentarischen Charakter. Es geht darin um die Zerstörung der alten Gebäude Beiruts. Die Bulldozer sind überall, das kann jeder hier sehen und die neuen Gebäude sprießen aus dem Boden wie nichts anderes. Das geht mir besonders nah, weil, wie Sie sehen, auch ich hier in einem alten Gebäude lebe. Das Haus unserer Familie, das wir vorsichtig renoviert haben, was zuerst – gerade bei der alten Generation – auf Unverständnis gestoßen ist, denn normalerweise verkauft man und reißt ab. Parallel zum Kampf mit meiner eigenen Familie bin ich mit der Kamera in der ganzen Stadt unterwegs gewesen, auf der Suche nach dem verschwindenden, alten Beirut. Ich bin kurz vor dem Abriss der Gebäude in die Häuser gegangen und manchmal auch, während sie abgerissen wurden. Einfach, um alle Prozesse des Vergehens zu zeigen. Ich habe mich mit den ehemaligen Besitzern unterhalten, die sich von dem Geld kein neues Haus in Beirut leisten können, sondern aus der Stadt ziehen müssen oder mehr noch, mit dem Geld gleich das Land verlassen. Mit diesem Material, das im Grunde nur noch die Postproduktion braucht, bin ich nach Paris gefahren, habe mich in einem Workshop beraten lassen, um nun die Arbeit zu finalisieren. Dabei gibt hier so viel Material, nicht nur das von mir geschossene, sondern auch das, was noch gefilmt werden könnte, das würde für zehn Jahre reichen.
artechock: Ich habe hier auch entkernte Häuser gesehen und deren Restauration, aber darum geht es in ihrem Film nicht, oder?
Ghorayeb: Nein, es geht nur um die Komplettabrisse und die pragmatischen Neubauten. Es sind Gebäude aus der Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts, von denen ich mir eigentlich wünsche, dass sie geschützt werden. Es ist ein sehr intimes Verhältnis, das ich zu diesen Häusern habe und so ist auch das Filmmaterial, intim. Denn es gibt ja nicht nur die Interviews mit den Vorbesitzern, sondern fast noch interessanter war, als ich dann alleine in den alten Häusern gefilmt habe. Es war so eine Art von Begräbnis für die Häuser und das zweite von drei Stadien, die ich beobachtet habe. Das dritte Stadium ist dann die Zerstörung – erst die Inspektion durch einen Sachverständigen der Abrissfirma, dann die Bulldozer, die alles zerstören. Bei all dem gibt es natürlich Zwischenstadien. Du gehst in die Häuser rein und findest all diese Objekte, die zurückgelassen worden sind. Briefe, Fotos, Kassetten. Und du filmst diese Objekte als ob sie lebendig wären, denn sie erzählen faszinierende, aufregende und traurige Geschichten. Weshalb dieses Projekt auch als Installation vorstellbar ist, mit der Inkludierung all dieser Materialien, dieser Objekte… Denn damit sind regelrechte Lebenslinien dieser Häuser entstanden, die stumm ihre und die Geschichten ihrer Mitbewohner erzählen. Und interessant ist es dann auch nach fünf Jahren zurückzukehren an diese Orte und zu sehen, dass alles ausgelöscht ist und nur noch in meiner Erinnerung lebt. Und in meinen Bildern.
artechock: Wie werden Sie nun vorgehen – die Geschichte erzählt sich ja schon fast so von selbst …
Ghorayeb: Nun ja, gerade deshalb habe ich mir das Feedback der anderen eingeholten wollen, anderer Filmemacher, Produzenten und Akademikern – um selbst auch klarer zu sehen. Die einen sagen, ich könne den Film im Rahmen einer Installation zeigen, die anderen sagen, der Film an sich reiche und wieder andere meine, eine Installation wäre die beste Lösung. Aber ein Budget ist natürlich zwingend. Ich könnte zwar ebenfalls die Postproduktion erledigen, aber schlechter, als es wohl nötig wäre. Ich bin einfach schon zu stark mit dem Material verschmolzen und brauche wen, der mit frischem Auge an die Sachen herangeht. Und wen, der Zeit hat, die ich nicht habe, der Zeit hat, das Material zu sichten, denn es sind bislang zwischen 80 und 90 Stunden, die ich habe.
artechock: Haben Sie schon eine Art Teaser zusammengeschnitten?
Ghorayeb: Ja, es gibt einen Trailer, um Anträge für Gelder zu stellen. Und das Wichtige bei diesen Anträgen ist, herauszustellen, dass es nicht nur eine Reportage über den Untergang des alten Beiruts ist, sondern eine persönliche Geschichte. Es sind Häuser, die ich mein Leben lang gekannt habe. Auf den Weg zu Schule und dann zur Uni gesehen habe. Ich kenne jeden Winkel dieser Stadt und auch wenn ich diese Häuser früher nie von innen gesehen habe, wusste ich um ihre Geschichte. Eine Geschichte, die lang zurückreicht, einige wurde in den 1860er Jahren gebaut, andere später. Auch mein Haus hier, diese kleine Pension gehört natürlich dazu.
artechock: Gibt es irgendwen, der sich um dieses Kulturerbe kümmert?
Ghorayeb: Nein, es sind nur private Initiativen. Das ist die traurige Geschichte im Libanon. Deshalb sagen auch einige, dass so ein Film Teil eines »Erinnerungsarchivs« sein kann, weil die Realität nicht mehr existiert. Denn diese Epoche Beiruts wird bald ganz verschwunden sein. Bis auf die wenigen Privatinitiativen, die sich dagegen wehren, die die Renovierung selbst in die Hand nehmen. Und dann gibt es diese seltsamen Ausnahmen. Das »Holiday Inn«, die markante Kriegsruine, die nur deshalb noch da ist, weil sich die Erben seit Jahrzehnten nicht einigen können, was passieren soll. Dann das legendäre 1965 von Joseph Phillippe Karem entworfene Kino im Zentrum, das inzwischen liebevoll »The Egg« genannt wird, das seit Jahren von dem ungeliebten Baukonzern Solidere genau wie der Rest von Downtown eingeebnet oder totrenoviert werden soll. Aber hier gab und gibt es Widerstand. Weil es für das steht, was bereits mit Hilfe der damaligen Regierung für einen Spottpreis verkauft worden ist und nun in eine Disney-Altstadt transformiert wurde, in der kein echter Libanese sich überhaupt aufhalten mag. Es ist ein toter Ort, ein Ort, der keinem Libanesen gehört, sondern allein ausländischen Investoren.
artechock: Mich erinnert die Solidere-Altstadt partiell immer wieder auch an Prag, es scheint mir nicht alles schrecklich totrestauriert zu sein?
Ghorayeb: Ich habe im Centre Ville von Beirut nie ein Grundstück besessen, bin deshalb auch nicht von dort „vertrieben“ oder gnadenlos „ausgekauft“ worden. Aber von allen alten Beirutern weiss ich, dass sie die damalige Hariri-Politik und das Ergebnis, diese artifizielle Altstadt, hassen. Das einzig gute, was man vielleicht darüber sagen kann,ist, dass einige der alten Gebäude tatsächlich erhalten wurden, nicht alles ist neugebautes Imitat. Aber ich gehe da nie hin, es ist für die Leute aus den Golfstaaten, die westlichen Touristen, es ist eine tote Stadt. Ohne Seele. Und es wird irgendwann so austauschbar aussehen wie Dubai oder die Städte in Saudi Arabien. Gerade vor ein paar Tagen ist übrigens dieses herrliche Haus gegenüber von hier verkauft worden, schönste Mischung aus Art Deco und Bauhausstil, in zwei Jahren wird es verschwunden sein. Denn das einzige Gesetz zum Schutz von alten Gebäuden besagt, dass nur Häuser geschützt werden können, die vor 1860 gebaut wurden. Was im Grunde bedeutet, dass alles verschwinden wird.
artechock: Aber man sollte vergessen, dass es auch den Bürgerkrieg mit all seine Zerstörungen gegeben hat…
Ghorayeb: Das schon, aber meiner Meinung nach wurde durch den Krieg weniger zerstört als durch die Nachkriegszeit und das Geld, das ins Spiel kam. Der Krieg hat nur Löcher in die Häuser gemacht, das Geld hat sie zerstört. Niemand ist im Krieg vorbeigekommen, um Dir dein Haus abzukaufen, weil niemand wusste, was morgen sein würde.
artechock: Wie sieht es mit der Förderung für Ihr Filmprojekt aus, wie sieht es überhaupt mit Fördergeldern im Libanon aus?
Ghorayeb: Ich habe natürlich an Ashkal Alwan gedacht, die zwar keine Gelder ausgeben, aber Services anbieten. Es gibt About Productions, die die wenigen hier produzierten Filme – eine Produktion alle zwei Jahre – fördern. Das Problem mit europäischen Fördermitteln ist einfach, dass die Förderorganisationen eine klare Vorstellung davon haben, wie die Probleme und damit die Filme in der arabischen Welt aussehen. Dementsprechend muss man da eigentlich nur einer starren Rezeptur folgen und man hat die Gelder. Was das natürlich über die eigentlichen Ideen aussagt, ist eine ganz andere Sache...
artechock: Woher soll dann also das Geld für diesen Film kommen?
Ghorayeb: Na ja, es wird zumindest anteilsmäßig auf „arte“ hinauslaufen und sicherlich auch mit Geldern aus der Golfregion, dem Dubai Film Festival, den Festivals in Qatar und Doha etwa. Der größte Anteil ihrer Gelder geht zwar an Hollywood-Filme, weil hier am meisten Gewinne eingestrichen werden können, aber etwas bleibt auch für die kleinen Produktionen. Ein wenig geht immer auch über AFAC. Und natürlich die schon erwähnten About Productions. Und dann sind da noch die kleinen Organisationen, die fünf oder zehntausend Dollar geben können, so wie das Screen Institute Beirut – das sollte, das muss reichen.