Deutschland 2016 · 122 min. · FSK: ab 12 Regie: Adolf Winkelmann Drehbuch: Nils Beckmann, Till Beckmann, Adolf Winkelmann Kamera: David Slama Darsteller: Oscar Brose, Charly Hübner, Lina Beckmann, Peter Lohmeyer, Stephan Kampwirth u.a. |
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Seltsam museal |
Adolf Winkelmann weiss, wovon er filmt. In der Kohle- und Stahlregion des Ruhrgebiets groß geworden, ist er nach einem Ausflug in den Experimentalfilm 1975 ins Ruhrgebiet zurückgekehrt, um dort zwischen 1978 und 1992 Die Abfahrer, Jede Menge Kohle und Nordkurve, seine »Ruhrgebietstrilogie« zu inszenieren. Diese Filme, die ähnlich wie Ken Loachs frühe Arbeiten (z.B. Kes) die prekären Verhältnisse von Arbeitern und Arbeitslosen in Zeiten radikaler gesellschaftlicher Transformation sozialrealistisch spiegelten, waren schmutzig, lässig, witzig und gerade weil sie sich jeglicher historischer Rückschau oder einer obskuren Metaebene verweigerten, auch atemberaubend authentisch.
Die rauchenden Schlote, die weiten, endlosen Halden, die in Jede Menge Kohle noch vor sich hinqualmen, sind inzwischen Geschichte. So wie in Loachs nördlichem England wird in Winkelmanns Ruhrgebiet seit Jahren mit allen Mitteln, die der Spätkapitalismus so bietet, versucht, den Dienstleistungssektor zu diversifizieren, um die längst geschlossenen Stahlwerke und Kohlegruben damit zu ersetzen. Dieser Prozess ist soweit fortgeschritten, dass sich kaum mehr einer vorstellen kann, wie das Leben dort noch aussah, als die Schlote noch rauchten. Auch Winkelmann scheint sich seiner Erinnerung selbst nicht mehr allzu sicher gewesen zu sein, denn als er auf Ralf Rothmanns Roman »Junges Licht« stieß, merkte er, dass er das, worum es ihm wirklich geht, noch gar nicht erzählt hatte, nämlich seine eigene Kindheit, an die er sich mit jedem Satz in Rothmanns Buch wieder erinnerte: »Der Großvater, der im Stahlwerk so viel Sprudelwasser trinken und mit nach Hause nehmen durfte, wie er wollte, Lehrer, die immer von denselben Kriegserlebnissen erzählten, die Straße vor dem Haus, wo wir mit einem echten Lederball Fußball spielten, der Hinterhof mit den Teppichstangen, wo die Sportlichen turnten und die angstbesetzte Enge im Dreckloch der Republik.«
Und tatsächlich glückt Winkelmann in seiner filmischen Umsetzung von Rothmanns Buch diesen Erinnerungen eine neue Form zu geben und von der Zeit zu erzählen, die vor seiner »Ruhrgebietstrilogie« liegt, den 1960er Jahre. Zu dieser Zeit ist das Ruhrgebiet noch Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Es gibt schon Gastarbeiter, es wird geraucht und auch Tante-Emma-Läden sind noch selbstverständlicher Teil der Alltagsinfrastruktur, durch die Winkelmann seinen 12-jährigen Helden Julian (Oscar Brose) einen Sommer lang treiben lässt. Winkelmann belässt es allerdings nicht bei der vorsichtigen pubertären Annäherung an einen neuen Lebensabschnitt von Julian, sondern integriert fast spielerisch auch andere wichtige Ebenen: die dahinschwelende Ehekrise der Eltern (Charlie Hübner und Lina Beckmann), den grauen, aber mit Stolz getragenen Arbeitsalltag und die beklemmenden Spielregeln sozialen Handelns.
Diese starke Geschichte mit ihren überzeugenden Dialogen wird allerdings immer wieder durch die fast schon museal anmutenden Bilder des Ruhrgebiets geschwächt. Der Qualm wirkt seltsam sauber, die Straßen sind wie geleckt, die Maschinen glänzen; selbst die verschwitzten Körper und die mit Kohlendreck versehrten Gesichter der Bergleute sind wie einem Wachsfigurenkabinett entliehen. Winkelmann scheint sich dieses Problems bewusst gewesen und versucht über sporadische Schwarz-Weiß-Szenen die fehlende historische Authentizität zu generieren, was allerdings nur selten wirklich gelingt.
Was wohl auch daran liegt, dass immer dann, wenn Junges Licht durch seine wuchtige BRD-Noir-Thematik und seine kargen Dialoge einmal Kraft tankt, ihm diese durch eine fast unerträglich und jede Härten glättende Filmmusik postwendend wieder genommen wird.