Deutschland/Schweiz 2016 · 103 min. · FSK: ab 0 Regie: Dani Levy Drehbuch: Dani Levy Kamera: Carl F. Koschnick Darsteller: Katharina Schüttler, Ewi Rodriguez, Peter Simonischek, Christiane Paul, Martin Feifel u.a. |
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Schwersten psychische Deformationen und Übergriffigkeiten erträglich gemacht. |
Irgendwie erinnert das alles an die Flut von edlen Burger-Läden, die gerade in jeder deutschen Stadt aus dem Boden sprießen. Was vorher tabuisiertes, marginalisiertes Fast-Food war, ist nun im kulinarischen Epizentrum unserer Gesellschaft angelangt. So scheint es auch mit dem Thema dysfunktionale Familie im Film zu sein. Erst ist da nichts und jetzt ist es überall und dann auch noch so gut. Sei es im Stream als Transparent oder Shameless oder im klassischen Kinoformat als düstere Hollywoodversion mit einem großartigen Christopher Walken in Family Fang. Dass es nun auch so etwas wie einen Double Dysfunctional Burger aus Deutschland gibt, hört sich allerdings komischer und unglaubwürdiger an, als es ist.
Denn nachdem Maren Adens Toni Erdmann, das Porträt einer dysfunktionalen Vater-Tochter-Beziehung, mit Preisen gut bestückt und seit Juli erfolgreich in den Kinos gespielt wird, geht nun, gerade noch rechtzeitig für einen Direktvergleich, Dani Levys Die Welt der Wunderlichs an den Start. Das Erstaunliche daran ist nicht nur die sehr verwandte Konstellation von grenzüberschreitenden Vätern, die in das Leben ihrer Töchter eingreifen, sondern auch, dass die Väter vom gleichen Hauptdarsteller, von Peter Simonischek, gegeben werden.
Sieht man beide Filme dicht aufeinander, mag das anfangs zu verwirrenden Überschneidungen führen, doch schon schnell wird deutlich, dass Levy ein anderes Tempo anschlägt. Lässt sich Ade für ihren thematischen Schwerpunkt fast drei Stunden Zeit, um gestörte Beziehungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten aufzubereiten, benötigt Dany Levy nur 100 Minuten. Dabei operiert so wie Ade in ihrem Film auch Levy mit Ortswechseln, will Mimi (Katharina Schüttler), alleinerziehende Musikerin und überforderte Mutter eines hyperaktiven Sohnes (Ewi Rodriguez) eigentlich alleine zur Eurovision Casting-Show in die Schweiz reisen, wird aber nicht nur von ihrem manischen Vater (Peter Simonischek) und ihrer depressiven Mutter (Hannelore Elsner), sondern auch noch gleich der ganzen Restfamilie eingeholt und in eine therapeutische Katharsis überführt.
Diese familienzentrierte, auf Screwball-Comedy getrimmte Handlung erinnert an Levys großen Erfolg Alles auf Zucker!, in dem ebenfalls skurille Stereotypen hinterfragt und einer rasanten Handlung zum Fraß vorgeworfen wurden. Hatte Levy in Alles auf Zucker! Ton und Tempo jedoch auch einmal entschärft, gab es immer wieder auch Schattierungen im Plot, passt sich Levy in den Wunderlichs dem stark angezogenen Tempo der deutschen Brachial-Komödie wie etwa Fack ju Göhte an. Dadurch gibt es an etlichen Stellen starke Einbrüche, weil die Gags zu schrill und die Charaktere zu platt geraten und damit die eigentliche Tragik der fehlgeschlagenen Emanzipation von Mimi an den Rand gedrängt wird. Hier fehlt Levy dann einfach auch die Zeit, die sich Ade für viel weniger Charaktere noch nimmt, um auch in die letzten Ecken der malträtierten Seelen ihres Personals zu blicken.
Doch da auch Levy im Kern der Tragik seiner Hauptpersonen treu bleibt und das Timing der komischen Elemente treffsicher ist, entwickeln die Wunderlichs trotz der erwähnten Schwächen einen atemberaubenden Sog. Hier kommt nicht nur die schauspielerische Stärke von Levys Ensemble zu tragen, sondern auch ein kluges Drehbuch, das auch die schwersten psychischen Deformationen und Übergriffigkeiten in eine irre Gratwanderung zwischen Klamotte, Komödie und Tragödie überführt – und damit überhaupt erst erträglich macht.