23.04.2009
Cinema Moralia – Folge 21

Der deutsche Film und sein Preis: Die Leuchte Asiens, der Flop des Jahres, die Finanzkrise und der Tod des Web 2.0

JOHN RABE
Flop des Jahres? John Rabe
(Foto: Majestic Filmverleih/ Twentieth Century Fox of Germany)

Kopfgeburten des unteren Mittelstandes

Von Rüdiger Suchsland

Es ist wieder so weit: Der Deutsche Filmpreis steht bevor. Wie das so ist, sickert wieder allerhand durch über angeb­liche neue Pläne der famosen Deutschen Film­aka­demie. So erzählen Akade­mie­mit­glieder, die Akademie-Leitung wolle die bishe­rigen Vorauswahl-Jurys abschaffen und statt­dessen eine einzige große Vorauswahl-Jury einbe­rufen. Mal schauen, was man auf der Preis­ver­lei­hung so darüber hört.

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Auch inter­es­sant: Achtmal nominiert, mit über 130 Kopien gestartet, hat John Rabe bisher in drei Wochen gerade mal 80.000 Zuschauer – locken können, und einen Kopi­en­schnitt von 92 Zuschauern erzielt. Man könnte vom Flop des Jahres sprechen. Verdient ist er für die Verge­wal­ti­gungs­schmon­zette allemal – wie schon im Fall von Anonyma zeigt sich, dass die Zuschauer klüger sind als die Verleiher glauben.
Noch inter­es­santer: Dass die Nomi­nie­rungen der Akademie offenbar keine S… inter­es­sieren. Auch hier ist das Publikum schlauer, auch hier entpuppt sich das Marke­ting­ge­schrei – Melodie »wir tun was für den deutschen Film« – als hohl.

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Einen sehr lesens­werten Aufsatz zu eigent­lich dem gleichen Thema hat Rolf Giesen im »Film­dienst« geschrieben. »Einbruch oder Aufbruch? Über­le­gungen anläss­lich einer Film­wirt­schaft in der Krise«. »Die Einschläge kommen näher.« steht da, »Ange­sichts des bevor­ste­henden wirt­schaft­li­chen (und gesell­schaft­li­chen) Tsunamis, zu dem die globale Speku­la­tion über viele Jahre beigetragen hat, spürt man leichte Nervo­sität auch und gerade unter Medi­en­schaf­fenden, besonders den Frei­be­ruf­lern. Die Mehrzahl ist nicht wetter­fest. Viele hängen am Tropf der Förde­rungen. Ohne ihn würde ihnen der Exitus drohen.« Und weiter: »Nun könnte sich der deutsche Film, der vorrangig ein Fernseh- und nur beiläufig ein Kinofilm ist, an der Seite eines starken Partners, wie es das Fernsehen ist, eigent­lich in Sicher­heit wiegen, aber der Partner ist nur noch vermeint­lich stark.«
Und weiter: »PC, Internet und die Verfüg­bar­keit preis­werter digitaler Software forcieren den … Ausschluss der etablierten analogen Vertriebs­wege. Bill Gates und George Lucas nannten dies eine Demo­kra­ti­sie­rung der Medien. Sie geht mit einer hoff­nungs­losen Inflation der Bilder­welten einher, wenn jeder Amateur und Dilettant seine ganz persön­li­chen Bilder ins Netz stellt. Viel­leicht führt dies dazu, dass profes­sio­nelle Filme- und Bilder­ma­cher ein Nischen­da­sein führen, was viele letztlich schon jetzt tun. Sie konkur­rieren quasi mit ihrem poten­zi­ellen Publikum. Auch für sie wird das einzelne Medium nicht mehr entschei­dend sein, sondern der Zwang zur Diver­si­fi­zie­rung bei gleich­zei­tiger Themen­fin­dung. Eine heraus­ra­gende Rolle könnte hier das E-Learning spielen: themen­be­zo­gene Bilder­welten für Ausbil­dung und Unter­richt. Bilder­ma­cher könnten sich neues Terrain sichern in der Vernet­zung der Wissens­ge­sell­schaft und in der Entwick­lung entspre­chender Tools.
Dies wäre, soviel ist sicher, eine neue Form des Kinos, und zwar über die bloße Unter­hal­tung hinaus (= Edutain­ment). Auf diesem Markt tummeln sich dann bestimmt keine Piraten mehr, weil auf die Zusam­men­ar­beit mit Unter­richts­mi­nis­te­rien, Behörden etc. größter Wert gelegt wird. Außerdem kann hier etwas prak­ti­ziert werden, was man im Kommerz­kino selten antrifft: ethische Verant­wor­tung in direkter (inter­ak­tiver) Kommu­ni­ka­tion mit künftigen Gene­ra­tionen.«

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Giesen zumindest glaubt also noch ans Web 2.0 Im Gegensatz zu Nick James vom briti­schen »Sight & Sound«. Der erzählte letzte Woche im Gespräch: Web 2.0 is dead, … nobody is making money, except google … look at the papers … The Guardian has put ist compleet history online, but it without any effect gestellt, … the readers are not inte­rested in that … One has to start with paying for content. Dann entwarf James noch das Modell zweier möglicher Zukunfts­mo­delle der Film­kritik: Der »critic as pirate« der Film­aus­schnitte ripen sollte, und alles ins Netz setzen – »das ist Zitat­recht, wir werden sehen, ob das die Gerichte verbieten.« Oder der Kritiker als VJ, der Ausschnitte sampelt.

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Der Münchner Produzent Thomas Schühly meint übrigens, die Deutschen hätten nach dem Zweiten Weltkrieg verlernt, große Bilder zu machen und seien schluss­end­lich beim Fernsehen gelandet. »Das ist doch alles kein Kino!«, findet Schühly, nur wenig von dem, was aus Deutsch­land kommt, sei auf dem inter­na­tio­nalen Kinomarkt wett­be­werbs­fähig. Vieles sei dagegen nur eine kine­ma­to­gra­fi­sche Kopf­ge­burt des unteren Mittel­standes.

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Von Akade­mie­prä­si­dentin Senta Berger liest man nebenbei auch in einer Pres­se­mit­tei­lung. Sie wird, nach Jahren in der Fern­seh­ver­sen­kung, mal wieder eine Kinorolle spielen: An der Seite von Hitler…, äh Bruno Ganz in dem Satte Farben vor Schwarz (AT). Wir sind überaus gespannt.
Was uns an der Meldung aber dann doch ein wenig stutzen ließ, war der zweite Satz: »In Düssel­dorf beginnen heute die Dreh­ar­beiten zu dem Kinofilm Satte Farben vor Schwarz (AT). Für die Haupt­rollen der Liebes­ge­schichte konnte Produzent Titus Krey­en­berg (u.a. Hannah mit Nina Hoss) die Stars Senta Berger und Bruno Ganz gewinnen.« Da wundert man sich, weil man zwar weiß, dass Produ­zenten die Schau­spieler bezahlen, und natürlich die Pres­se­agen­turen, die solche Meldungen unters Volk bringen, aber doch bisher eigent­lich dachte, dass Schau­spieler immer noch von Regis­seuren verpflichtet werden. Regie führt übrigens die Berli­nerin Sophie Heldman.

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Das Beste, was man über Florian Gallen­ber­gers für diverse deutsche Film­preise nomi­niertes Historien-Melo John Rabe sagen kann, ist, dass es unseren Blick auf die hier­zu­lande weit­ge­hend unbe­kannten schreck­li­chen Ereig­nisse und das Massaker im Gefolge der Eroberung der chine­si­schen Haupt­stadt Nanking durch japa­ni­sche Truppen Ende 1937 lenkt – und auf das Wirken von John Rabe, der seiner­zeit als Leiter einer inter­na­tio­nalen Sicher­heits­zone über 200.000 Menschen vor Tod, Folter und Verge­wal­ti­gung rettete. Wer sich all die Fragen beant­worten möchte, die Gallen­ber­gers Film offen lässt, und nach den Fakten hinter mancher Geschichts­klit­te­rung sucht, wird im deutschen Buchmarkt, vom jüngst wieder­auf­ge­legten Tagebuch John Rabes abgesehen, weit­ge­hend allein gelassen. Auch Doku­men­tar­filme zum Thema gibt es nur in Übersee. Sie sind aber im Internet bestellbar.
Wie »Nanking« überhaupt im letzten Jahrzehnt wieder in den Blick der Histo­riker kam und zum Symbol der japa­ni­schen Kriegs­ver­bre­chen während des Erobe­rungs­krieges in China wurde, erzählt eindrucks­voll der fürs Fernsehen produ­zierte Film Iris chang: the rape of nanking (Regie: Anne Pick, William Spahic). Im Zentrum steht die Sino-Ameri­ka­nerin Iris Chang, die – selbst Kind von Nanking-Opfern – in den 90er Jahren mit den Methoden der Oral-History erstmals in China Inter­views mit Über­le­benden führte, zudem erstmals die Tage­bücher John Rabe als histo­ri­sche Quelle auswer­tete, und ihre Erst­ver­öf­fent­li­chung 1997 ermutigte. Diese Quellen verar­bei­tete Chang zu ihrem Buch »The Rape of Nanking«, das das Thema popu­la­ri­sierte und in den USA zum Sach­buch­best­seller wurde. Filmisch störend sind hier zwar einige mit Schau­spie­lern nach­ge­stellte Szenen und die überaus senti­men­tale Musik, aufregend dafür die Zeit­zeugen-Inter­views, in denen auch manches über John Rabe zu erfahren ist. Erzählt wird zudem das weitere traurige Schicksal von Chang, die über die Arbeit in Depres­sionen fiel und 2004 Selbst­mord beging.

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Der eindeutig bessere Film aber ist Bill Gutten­tags und Dan Sturmans Nanking (2007, http://www.think­film­com­pany.com). Diese Doku­men­ta­tion macht ausgiebig von jenem Doku­men­tar­ma­te­rial Gebrauch, das der ameri­ka­ni­sche Pastor John Magee, der gemeinsam mit Rabe und anderen über drei Monate den Alltag in der Sicher­heits­zone orga­ni­sierte, drehte, zum Teil mit versteckter Kamera. Es sind Bilder, die für sich sprechen in ihrer Schreck­lich­keit. Man sieht dort zum Beispiel einen Mann, dessen Köpfung per Säbel misslang. Sein halber Hals ist wegge­schlagen, die andere Hälfte riesig einge­kerbt, die Muskeln, die den Kopf aufrecht halten durch­trennt. Oder eine Frau, die am Leib Wunden von über 30 Bajo­nett­sti­chen trägt, aber wunder­sa­mer­weise überlebte. Rabe brachte Magees Filme 1938 nach Deutsch­land, offenbar allen Ernste in dem guten Glauben, Hitler zu einer Änderung seiner Politik bewegen zu können. Dort wurden sie von der GESTAPO beschlag­nahmt. Um andeu­tungs­weise auszu­malen, was seiner­zeit geschah, zitieren die Filme­ma­cher auch ausgiebig aus zeit­genös­si­schen Quellen, die, von bekannten Schau­spie­lern wie Mariel Hemingway, Woody Harrelson und Stephen Dorff gelesen, die Origi­nal­bilder begleiten – ein Verfahren, dass man von den TV-Doku­men­ta­tionen von Ken Burns kennt. Durch die vielen Stimmen erfährt man auch einiges über John Rabe, das über dessen Hinter­gründe hinaus geht. Berufen wurde der lang­jäh­rige Siemens-Reprä­sen­tant in China natürlich auch aus der takti­schen Über­le­gung, dass ein Deutscher bei den verbün­deten Japanern am ehesten Gehör finden würde. Eindeutig aber ist das Lob für sein so uner­schro­ckenes Auftreten vor Ort, und seine unmit­tel­bare Humanität im Angesicht der Leiden der Chinesen.
Auch wer sich für den asia­ti­schen Blick auf die Dinge inter­es­siert wird fündig. Während es keine japa­ni­sche Doku­men­ta­tion zum Thema gibt, gibt es auch aus China neben mehreren Spiel­filmen von zwei­deu­tiger Qualität Wu Zinius halb­do­ku­men­ta­ri­schen Nanking 1937: don’t cry, nanking, der 1998 in Tokio Premiere hatte, und dort heftig ange­griffen wurde. Er ist über diverse asia­ti­sche DVD-Vertriebe bestellbar.

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Kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt auch ein »Inter­na­tio­nales Buddhis­ti­sches Film Festival«. Und zwar in London. Zur Eröffnung am siebten Mai läuft live Sitar- Flöten und Violin-Musik. Dort läuft ein Film mit dem bezie­hungs­rei­chen Titel The Light Of Asia, ein Film von 1925, die erste inter­na­tio­nale Kopro­duk­tion Indiens. Der Regisseur ist der 1876 in München geborene Franz Osten, einer der Pioniere des deutschen wie des indischen Kinos, und später NSDAP-Mitglied. Der Film, der auch in einer deutschen Fassung (Die Leuchte Asiens) gedreht wurde – seiner­zeit war das nicht unüblich –, gehört in den Kontext der verbrei­teten deutschen Indi­en­sehn­sucht, und zeigt histo­ri­sches Doku­men­tar­ma­te­rial, verbunden mit der Lebens­be­schrei­bung des histo­ri­schen Prinz Siddha­rtha, und dessen spiri­tu­eller Umwand­lung in Gautama Buddha. Er wurde in den 20er Jahren weltweit gezeigt. Bis 1929 drehte Franz Osten noch zwei weitere deutsch-indische Stumm­filme, später arbeitete er dann als Regisseur für die Produk­ti­ons­ge­sell­schaft »Bombay Talkies« und drehte 16 Hindi-Filme.
Weiter Infor­ma­tionen unter www.barbican.org.uk/buddhist­film und www.ibff.org

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In Berlin eröffnet am Sonntag, den 03. Mai 2009 im Delphi Kino das »15. Jewish Film Festival«. Gezeigt werden u.a. Der Junge im gestreiften Pyjama und der dies­jäh­rigen Kurzfilm-Oscar-Gewin­ner­films Spiel­zeug­land von Jochen Alexander Freydank.

Rüdiger Suchsland

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.