21.01.2010
Cinema Moralia – Folge 25

Wieder­auf­er­standen von den Toten

Nangha Parbat
Hägar der Schreckliche: Kategorie Familienfilm

Breitseiten mit Schrot, Tschiboisierung, die FDP und der bayerische Filmpreis

Von Rüdiger Suchsland

Man muss den Archi­tekten Oscar Niemeyer nicht mögen, man darf ihn oder den Macher eines Doku­men­tar­films über ihn natürlich auch kriti­sieren. Klaus Hart – womöglich tatsäch­lich ein Kenner Brasi­liens, aber offen­kundig kein Kenner der Archi­tektur –, spreizte sich aller­dings jetzt in einem Beitrag fürs Deutsch­land­radio kultur, den er auch auf seiner persön­li­chen Webseite veröf­fent­lichte, doch zu einem unge­wöhn­li­chen Vernich­tungs­un­ter­nehmen. Im Zentrum steht, dass dem Autor offenbar Niemeyers lebens­langen Sympa­thien für den Kommu­nismus ein Dorn im Auge sind.

In diesem Fall geht es nicht um Ansichten, sondern um zwei andere, wich­ti­gere Dinge: Um hand­werk­liche Sauber­keit und um die Frage, was poli­ti­sche Part­ei­nahmen mit Kunst zu tun haben. Zum zweiten Punkt ist gar nicht viel sagen, man muss nur daran erinnern, was passierte, als Eric Rohmer vergan­gene Woche starb. Rohmer war mindes­tens zehn Jahre lang Maoist, und in den dreißiger Jahren bis Kriegs­ende sowohl Mitglied eines faschis­to­iden Studen­ten­ver­bandes als zwischen­zeit­lich auch offener Vichy-Sympa­thi­sant. Macht das seine Filme schlechter? Sind Brecht und Jünger schlechte oder unbe­deu­tende Schrift­steller, weil wir womöglich ihre zeit­weisen poli­ti­schen Über­zeu­gungen ablehnen? Beides müsste man doch mindes­tens ausein­an­der­halten können und nicht zusam­men­rühren. Auch Rohmers Filme und Jüngers Bücher muss man ja nicht mögen, aber man sollte dann ästhe­ti­sche Argumente haben.

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Klaus Hart tut dies nicht. Statt­dessen schießt er Breit­seiten mit Schrot – in alle Rich­tungen zugleich, sodass Harts Attacke im Gesamt­bild nicht über­zeu­gend, sondern in ihrer Maßlo­sig­keit eher lächer­lich wirkt – und da kommen wir zum Handwerk. Vor allem fragt man sich, wem genau eigent­lich Harts Furor gilt: dem Film (»ober­fläch­lich«, »eine Belei­di­gung des Kinos«), den Planern Brasilias (»am Reißbrett«, »rein autoritär«, »Pres­ti­ge­ar­chi­tektur«), Brasi­liens Regierung 1959 – das »Massaker von 1959« (auf das man außerhalb von Harts Texten aber nur selten stößt) war bestimmt schlimm, aber was hat Niemeyer eigent­lich damit zu tun? –, der modernen Archi­tektur der Corbusier-Schule als solcher – »Formen entgegen mensch­li­chen Bedürf­nissen«, »Formen sind noch keine Archi­tektur«, »wie eckige graue Beton­kästen«, »forma­lis­tisch«, »unfunk­tional«, »nicht für das Leben« – oder doch Niemeyer selbst: »Bei seinen Konzert­sälen ausge­rechnet die Akustik nicht inter­es­siert«. »schlecht beleuchtet und belüftet«, »unprak­tisch und unan­ge­nehm«, »absurdes Wand­kon­zept«, »stali­nis­tisch«, »unfähig Archi­tektur zu machen«, »respek­tiert nicht einmal tech­no­lo­gi­sche Aspekte«. Für einen Fünf-Minuten Radio-Beitrag ist das schon sehr sehr viel Holz. Niemeyer muss ein einziger Stümper sein, man fragt sich nur, warum, wenn das so offen­sicht­lich ist, noch vor Hart keiner darauf kam.

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Was mich aber nun wirklich daran stört, und warum man das als Spinnerei abtun kann, ist die Fabri­ziert­heit der Argumente. »Die brasi­lia­ni­sche Film­kritik« mag den Film nicht, behauptet Hart. Wirklich? Kein einziger der doch unzäh­ligen Kritiker wird von ihm zitiert. Was man im Netz findet, spricht eher eine andere Sprache: sieben Texte, davon sechs Mal positiv zum Film (Correio Brazi­li­ense, Estado de São Paulo, Folha de São Paulo, sowie: Avida e um sopro, Adro­ci­nema, Overmundo, Revista Cinetica).

Neben derlei Verall­ge­mei­ne­rungen gibt es bei Hart zwei Zeugen, die seine Behaup­tungen im O-Ton belegen sollen. Zitiert wird eine Lehrerin in einer Niemeyer-Schule (die 50 Jahre alt ist, und womöglich wirklich nicht mehr auf dem neuesten Stand der Akustik), aber dieses Zitat stammt ja auch schon mindes­tens von 2005, als Hart es selbst in anderem Zusam­men­hang gebraucht. Und dann »Joaquim Gedes aus Sao Paolo«, der, wie Hart selbst sagt: »wich­tigste Kritiker von Niemeyer« und »Univer­si­täts­pro­fessor«. Kaum über­ra­schend kriti­siert Gedes dann Niemeyer tatsäch­lich. Man muss das nicht werten, eine ober­fläch­liche Google-Recherche fördert jeden­falls zutage, dass Gedes in Brasilien als »schwarzes Schaf« angesehen wird – und viel­leicht ist es etwas hoch­ge­griffen, einen einzigen, dazu noch seit den 90er-Jahren Emeri­tierten, von dem allen­falls Experten je etwas gehört haben, zum Sprecher Brasi­liens zu machen.

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Der eigent­liche Schön­heits­fehler hier liegt aber woanders: Gedes ist nämlich seit einein­halb Jahren tot. Ob er den 2007 produ­zierten Film gerade noch gesehen hat, kann ich nicht beur­teilen. Seine Äuße­rungen können aber zumindest nicht besonders aktuell sein.
Wenn Hart schon Tote wieder­auf­er­stehen lässt, fragt sich der Hörer, ob er denn keine lebenden Niemeyer-Kritiker gefunden hat?

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Neben solch' grotesken Details und all dem allge­meinen Ressen­ti­ment ist Harts Beitrag nicht nur voller ober­fläch­li­cher Fehler – Niemeyer ist nicht 103 Jahre alt, sondern 102, der britische Histo­riker heißt nicht »Simon Monte­fiori«, sondern »Simon Sebag Monte­fiore« –, sondern der Autor tut selbst das, was er dem Film und Niemeyer vorwirft: Er betreibt »die stali­nis­ti­sche Praxis der Tatsa­chen­ver­fäl­schung« und des Verschwei­gens: Niemeyers Text über dessen Buch erschien nämlich keines­wegs »gerade«, sondern vor zwei Jahren. Und was Hart verschweigt: In der Doku­men­ta­tion kommen 10-20 Augen­zeugen zu Wort, die sich über Niemeyer äußern, die meisten Brasi­lianer. Ihr Urteil ist positiv. Aber das sind in Harts Augen wahr­schein­lich alles Voll­idioten, Nichts­könner und Stali­nisten.

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Über die »Tschi­bo­i­sie­rung« der Film­kritik und einer bekannten süddeut­schen Zeitung schrieb vor Jahren schon Wolfram Schütte. Dazu passt, dass jetzt pünktlich vor der Berlinale eine »Berlinale-Edition« der SZ-Cine­ma­thek erscheint. Ein paar gute Filme sind darunter, wir fragen nur, wie leicht es denn dann wohl den Kollegen jener süddeut­schen Zeitung in ein paar Wochen fallen wird, unab­hängig von der Berlinale zu berichten und auch alle Mängel dieses Festivals in der Zeitung bei ihrem Namen zu nennen. Anders­herum: Müssen wir nicht bei jeder positiven Aussage über die Berlinale und ihre Bedeutung den Verdacht haben, dass hier eigent­lich nur die »Berlinale-Edition« der SZ-Cine­ma­thek beworben wird? Und atmet nicht jede positive Kritik eines Berlinale-Films nunmehr das Geschmäckle, dass hier eigent­lich nur schon an den Werbe­texten für die zweite Auflage der »Berlinale-Edition« der SZ-Cine­ma­thek gefeilt wird, die bestimmt nicht erst wieder in 60 Jahren erscheint?

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A propos Geschmäckle: Wir haben uns ja schon daran gewöhnt, dass blendend bezahlte Film­re­dak­teu­rinnen von Wochen­zei­tungen und kaum schlechter bezahlte Feuil­le­ton­che­finnen von Berliner Tages­zei­tungen seit Jahren auf Festivals auch noch die Bericht­erstat­tung in öffent­lich-recht­li­chen Radio­sen­dern zumindest teilweise über­nehmen, sich damit ein Zusatz­ein­kommen verschaffen und zugleich den weitaus schlechter bezahlten freien Autoren die Arbeit wegnehmen. Muss das sein? Und: Bekommt ihr den Hals nicht voll?, kann man da fragen, aber das ist eine rein mora­li­sche Frage. So ist nun mal die Welt und Feri­en­häuser müssen schließ­lich auch bezahlt werden. Etwas anderes ist es aber, wenn Film­kri­tiker, die im Neben­beruf die ehren­werte Aufgabe haben, in der Auswahl­komms­sion der Berlinale zu sitzen, und die deshalb mit guten Gründen in ihren Medien von der Berlinale nicht berichten dürfen, dann dort zum Beispiel über »Berlinale-Edition« der SZ-Cine­ma­thek berichten, und so dann doch über die Berlinale, die dann als »Publi­kums­fes­tival« und »polit­sches Festival« beworben wird. So geschehen, gleich­falls im Deutsch­land­radio kultur, über das wir diese Woche eben mal doppelt schimpfen müssen und im Radio eins von RBB.

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Nach der letzten Bundes­tags­wahl wollte ja dann keiner FDP gewählt haben. Haben aber doch ein paar, sogar aus der soge­nannten Film­branche. Wir verraten nicht, wer, außer den beiden, die es sowieso lauthals jedem, der es nicht hören wollte, verkün­deten. Daher hier in Frageform: Was hat RP Kahl mit Bernd Eichinger gemeinsam? Richtig! Was wir ange­sichts der neuesten Entwick­lungen aber auch wissen möchten? Wieviel hat unser Freund RP eigent­lich der FDP gespendet? Und bekommt Bernd Eichinger jetzt in Hotels Rabatt? Oder umgekehrt. Antwort sobald wie möglich.

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Richtig, den baye­ri­schen Filmpreis gab es ja auch noch. Ausnahms­weise nicht, wie sonst jedes Jahr, mit einem neuen baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­denten. Es war völlig über­ra­schungslos das übliche bayern­ty­pi­sche Preis­zu­sam­men­ge­schwurbel, bei dem FFF-geför­derte, BR- und Bavaria-produ­zierte Filme von einer »unab­hän­gigen« Jury der bekann­ter­maßen unab­hän­gigen Staats­kanzlei zusätz­li­ches Geld über­reicht bekommen. Und die Preis­träger waren weit­ge­hend die üblichen Verdäch­tigen: Joseph Vilsmaier hat inzwi­schen das Ehren­preis­alter erreicht, und bekam darob diesen, passen­der­weise zum Filmstart von Nangha Parbat, den anzu­schauen wir uns bisher bewusst erspart haben, und der nach den Einspiel­ergeb­nissen jetzt wohl auch schon wieder aus den Kinos verschwunden ist. Bully Herbig bekam den, wie er in benei­dens­werter Selbst­er­kenntnis selber anmerkte, für ihn »eigens entwi­ckelten« Preis für den besten »Fami­li­en­film«. Und so weiter, nicht weiter wichtig, auch wenn uns die Preise für Katarina Schüttler und Benjamin Heisen­berg gefreut haben.

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Bleiben zum Schluss ein paar offene, ungemein brennende Fragen: Was unter­scheidet einen Fami­li­en­film vom Rest des Kinos? Wird die Münchner »Hoch­schule für Fernsehen und Film« bald in »Hoch­schule für Fernsehen und Fami­li­en­film« umbenannt? Und, vor allem: Was um Gottes Willen macht Marcus H. Rosen­müller, der unver­s­tänd­li­cher­weise erstmals nach gefühlten Jahr­zehnten keinen Baye­ri­schen Filmpreis bekam? Warum hat er nicht einen der 47 Filme, die er gerade dreht, recht­zeitig fertig­ge­stellt? Und, last not least: Wann endlich erschafft die Staats­kanzlei einen Preis für den »besten Rosen­mül­ler­film«?

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.