09.12.2010
Cinema Moralia – Folge 31

Angst vor dem Kino

The Tourist
Schockschwerenot! Zwei Zombies aus der Henckel-von-Donnersmark-Retorte – der Trailer sieht irgendwie aus wie James Bond für ganz Arme. Findet in ein paar Jahren vielleicht Platz auf der Best-Trash-Liste
(Foto: Studiocanal GmbH)

Bergman, Polanski, Donnersmarck, der wahre Tourist und der »Spiegel« unter Genieverdacht

Von Rüdiger Suchsland

Im kommenden Jahr zeigt die Berlinale eine Bergman-Retro­spek­tive. Warum eigent­lich Bergman ist nicht ganz klar, aber da kann man auch mit »Warum nicht?« antworten. Was ich damit anfangen kann, frage ich mich noch, ob ich überhaupt etwas damit anfangen kann. Merk­würdig fremd scheint Bergman allem heutigen Kino zu sein. Ist viel­leicht aber nur eine Illusion. Viel­leicht steht Bergman vor allem für eine Inten­sität des Umgangs mit Kino, die man heute gar nicht mehr kennt und wahrhaben will. Das zeigt vor allem eine Bemerkung, die neulich Michael Klier gemacht hat: Er habe früher ein bisschen Angst gehabt, in einen neuen Bergman-Film zu gehen, erzählt er, denn er habe bei Bergman immer das Gefühl gehabt, seinem eigenen Leben werde der Spiegel vorge­halten, und das habe etwas Beängs­ti­gendes gehabt.
Angst vorm Kino – das klingt für uns heute doch wie aus einer ganz anderen Zeit. Und doch eigent­lich wie genau das, um das es gehen soll.
Ich habe zwar auch Angst, in einen neuen Donners­marck-Film zu gehen, aber doch aus ganz anderen Gründen.

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»Donners­marck!!!!!!« trompetet es seit einer knappen Woche aus jeder Zeitung. Warum eigent­lich? Jetzt könnten wir über den »Adelswahn« reden, den eine nette öster­rei­chi­sche Schau­spie­lerin neulich im Gespräch bei den Deutschen glaubte bemerkt zu haben, aber das allein kann es ja wohl auch nicht sein. Trotzdem: Immer wieder »Donners­marck!!!!!!« Im Gespräch mit der FAS, der WamS, mit Dieter Oswald, der das dann unter anderem dem Münchner Merkur angedreht hat, in Dreh­be­richten bei epd und beim Spiegel. Wahr­schein­lich nennt man das gutes Marketing. Keiner hat bisher den Film gesehen, bezie­hungs­weise, die paar, die ihn gesehen haben, dürfen noch nicht darüber schreiben. Sperr­frist bis 10.12.!
Ande­rer­seits kann man genau wissen, was drin vorkommt, wenn man nur mitbe­kommen hat, dass es sich um ein ziemlich schlichtes Remake des fran­zö­si­schen Films von Jérôme Salle von 2005 handelt, der seiner­zeit auf dem Fantasy Filmfest lief, und Anthony Zimmer heißt. Jetzt kommt er pünktlich zum FHvD-Start bei »FilmCon­fect Home Enter­tain­ment« heraus unter dem Titel Flucht­punkt Nizza. In dem unüber­sehbar an Hitch­cocks Stil ange­lehnten Krimi geht es um eine schöne Frau, die den titel­ge­benden Anthony Zimmer sucht, der mit viel Geld vor Polizei und Gangstern auf der Flucht ist. Der sendet ihr Botschaften, wie die, den Zug nach Nizza zu nehmen und sich einen ihm ähnlichen Typen aufzu­reißen, um die Polizei abzu­lenken. Damit lenkt sie auch den Zuschauer ab, denn am Ende entpuppt sich der falsche Anthony Zimmer (Yvan Attal) als der echte.

Wir dürfen jetzt, wie gesagt, nichts über das FHvD-Remake sagen, auch nicht, ob sich an dem Plot überhaupt etwas geändert hat, und ob er schlechter ist, aber wir dürfen sagen, dass wir Sophie Marceau, die bei Salle die Haupt­rolle spielt, immer schon in jeder Hinsicht attrak­tiver fanden als Angelina Jolie. Was will man da noch fragen?

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»Donners­marck!!!!!!« Worüber wir aber schon was schreiben dürfen, sind unsere lieben Kollegen. Denn man fragt sich dann ja doch, wie gesagt, was eigent­lich dieser ganze »Donners­marck!!!!!!«-Hype soll? Weil er den Oscar gewonnen hat? Als Caroline Links neuer Film herauskam, kann ich mich an ein auch nur annährend vergleich­bares Medi­en­ge­witter nicht erinnern. Beschei­den­heit zahlt sich also doch nicht aus.

Oder liegt’s an irgend­etwas im Unbe­wussten der lieben Kollegen? Die Sehnsucht nach ästhe­ti­schem Führertum, oder so was? Die gewählte Sprache zumindest deutet darauf hin. Es geht ja auch nicht nur um die bloße Masse des Gedruckten. »Unter Genie­ver­dacht« titelt der Spiegel allen Ernstes seinen Text über Donners­marck. Geht’s noch? Genauer: Geht’s nicht wenigs­tens eine halbe Nummer kleiner? Wenn schon FHvD nach einem einzigen Film unter Genie­ver­dacht steht, was macht dann der Spiegel eigent­lich mit Bergman?

Müssen wir FHvD in Zukunft also mit »Meister« anreden? Das Wort Genie kommt dann glück­li­cher­weise im Text doch nur einmal vor. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob ein Autor, auch einer vom Spiegel, der einen Regisseur das ganze Jahr über begleiten »durfte« (musste?), eigent­lich noch kompetent, und das heißt ja auch, mit der gebotenen Distanz über ihn schreiben kann. Ob das wirklich gutes Marketing ist? Mein Eindruck ist, dass dieser Über-Hype vor Filmstart dem ganzen eher schaden wird. Viel­leicht verkauft man ein paar Kino­karten am ersten Wochen­ende mehr, aber Film und Regisseur werden auch unter unge­heuren Druck gesetzt. Mal abwarten. Der Spiegel tut sich damit jeden­falls keinen Gefallen, aber viel­leicht will man dort auch nicht mehr als kriti­sches Blatt ernst­ge­nommen werden.

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Wir könnten jetzt auch noch ein paar Stil­blüten aus unseren liebsten FHvD-Inteviews sammeln, aber weil da bestimmt noch viel dazukommt, warten wir besser bis nächste oder übernächste Woche.

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Lieber noch etwas zum Europäi­schen Filmpreis. Den gewann am Sams­tag­abend Roman Polanski für seinen neuesten Film The Ghost Writer. Und das gleich sechsmal, darunter in den wich­tigsten Kate­go­rien als »Bester Film« und »Bester Regisseur« – ein neue Rekord­marke. Weitere Preise gingen an Lourdes und Carlos.

»Ich fühle mich sehr geehrt...« – per Live­stream war Polanski aus Paris in die estnische Haupt­stadt Tallinn zuge­schaltet und bedankte sich erkennbar gerührt. Aus nur allzu bekannten Gründen ist der große polnisch-fran­zö­si­sche Regisseur zuletzt reise­scheu geworden, und konnte so die Stunde eines seiner größten Triumphe nicht persön­lich mitfeieren. Eine Flasche Cham­pa­gner im Kreis von Familie und Freunden, dürfte er sich aller­dings wohl gegönnt haben.

Zur Erin­ne­rung: The Ghost Writer, der bereits bei seiner Berlinale-Premiere im Februar den Regie-Bären gewann, ist die Verfil­mung des Romans »The Ghost« des briti­schen Best­seller-Autors Robert Harris. Dabei handelt es sich um einen Schlüs­sel­roman über den briti­schen Ex-Premier Tony Blair, für den Harris einst als Reden­schreiber arbeitete. Im Roman heißt er Adam Lang und wird bei Polanski von Peirce Brosnan gespielt. Im Zentrum des Romans steht ein Jour­na­list (Ewan McGregor, der für den Auftritt als »bester Darsteller« ausge­zeichnet wurde), der als Schat­ten­autor für Langs Memoiren verpflichtet wird, und im Zuge seiner Recher­chen auf Unge­reimt­heiten stößt. Polanski schrieb das Drehbuch zusammen mit Harris; unter seiner Regie wird aus der Geschichte ein Vexier­spiel über Lüge und Wahrheit in der aktuellen Politik, ein im fast altmo­di­schen Stil insze­nierter Polit­thriller über Paranoia und mora­li­sche Korrup­tion.

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Der Preis war bestimmt auch eine mora­li­sche Soli­da­ri­täts­geste für den gebeu­telten Regisseur. Für Europas »Oscar« war dieser Film aber auch ein guter Kompro­miss. Wahr­schein­lich gab es bessere Filme in einem insgesamt mäßigen Kinojahr, aber es gab keinen besseren mehr­heits­fähigen Film. Schon im Vorfeld schälten sich drei Filme als klare Favoriten heraus: Neben The Ghost Writer noch Lebanon vom Israeli Samuel Maoz, der mit fran­zö­sisch-deutschem Förder­geld produ­ziert wurde, und deswegen als »europäisch« gilt, und der türkische Film Bal von Semih Kapla­noglu. Zu recht ging der speku­la­tive Lebanon, der zugleich tenden­ziös ist und es dann doch politisch allen recht machen will, fast leer aus. Und auch Bal erfüllt – niedliche Kinder, schöne Natur, senti­men­tale Story, »magischer« Realismus – allzusehr die Kate­go­rien des Arthouse-Konfek­ti­ons­kinos, als das er einen Haupt­preis wirklich verdient hätte.

Meist hielten sich die Akade­mie­mit­glieder an die großen Festival-Jurys. Etwas ungerecht scheint es, dass der hervor­ra­gende fran­zö­si­sche Film Von Menschen und Göttern, der in Deutsch­land nächste Woche anläuft, ganz leer ausging. Immerhin je eine Auszeich­nung gewann Silvie Testud für ihre Haupt­rolle in Lourdes von der Öster­rei­cherin Jessica Hausner, und Olivier Assayas' glän­zender Carlos (Bester Schnitt). Nomi­nie­rung und Preis­ver­gabe zeigen damit zugleich einmal mehr auch die Frag­wür­dig­keit derar­tiger Massen­ab­stim­mungen. Über Kunst kann man nicht mit Mehrheit entscheiden. Dann gewinnt am Ende eben, wie geschehen, ein Film sechs von sieben möglichen Preisen. Eine Jury, das gilt wie beim Deutschen Filmpreis auch hier, könnte besser diffe­ren­zieren.

Die nomi­nierten Deutschen – Fatih Akin für Soul Kitchen und Sibel Kikeli für Die Fremde – gingen ebenfalls leer aus. Die Deutschen konnten sich trotzdem nicht beklagen: Zum einen wurden sämtliche Preis­träger mit deutscher Betei­li­gung produ­ziert und mit Bruno Ganz ging der dies­jäh­rige Ehren­preis zwar an einen Schweizer, der aber nicht nur als Präsident der deutschen Film­aka­demie längst vom deutschen Kino adoptiert wurde. Wenigs­tens im Kino ist die Bundes­re­pu­blik eben Deutsch­land bunt und ungemein inte­gra­ti­ons­freudig.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.