15.09.2011
Cinema Moralia – Folge 38

Über das »legitime Unter­hal­tungs­be­dürfnis«

Über uns das All
Akademische Versuchsanordnung nach Berliner Schule?
(Foto: RFF Real Fiction Filmverleih eK)

Die Rache des Feminismus, die Enthüllung im Beiwort und ein Offenbarungseid der Filmkritik – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 38. Folge

Von Rüdiger Suchsland

In seiner Kritik von Jan Schom­burgs Über uns das All gibt Uwe Mies, der es eigent­lich besser weiß, mal wieder den Popu­listen, tut leider dümmer als er ist, und unter­schreibt unter der Hand seinen Offen­ba­rungseid als Film­kri­tiker: »Kopflast­kino ... Schom­burgs Film verrät eine Menge Talent, aber kein Gespür, das legitime Unter­hal­tungs­be­dürfnis des Zuschauers unterhalb elitärer Autoren­mess­latten zu befrie­digen. Statt sinn­li­chen Nerven­kit­zels im Stil von Hitchcock, Truffaut oder DePalma gibt es eine akade­mi­sche Versuchs­an­ord­nung nach Berliner Schule.«

Aufgabe von Film­kritik wäre hier natürlich erstmal, dem Leser klar­zu­ma­chen, was Schomburg will – offen­sicht­lich ja etwas anderes, als Hitchcock, Truffaut oder DePalma. Und warum er es will. Außerdem könnte Mies wissen, dass Hitchcock, Truffaut oder DePalma zu ihren Leb- bzw. Hoch­zeiten auch von Kritikern, die auf »Volk­ver­bun­den­heit« machten, mit dem Vorwurf konfron­tiert wurden, »Kopflast­kino« zu bieten, und »elitär« zu sein. Warum aber überhaupt der gehässige Tonfall? Und warum mit diesem auf die Schwachen noch einprü­geln? Damit man selber größer wird?

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Warum sollte man als Kritiker eigent­lich das »Unter­hal­tungs­be­dürfnis des Zuschauers« gegen »elitäre Autoren­mess­latten« und »akade­mi­sche Versuchs­an­ord­nung« vertei­digen? Ange­nommen mal das stimmte überhaupt und wäre keine depperte Phra­sen­dre­scherei – geht es denn immer um Unter­hal­tung? Kritik sollte Vers­tändnis für das Schwie­rige, Kompli­zierte wecken, für das, was sich nicht von selbst versteht. Kritik sollte Filme gegen das Publikum und nicht das Publikum gegen Filme vertei­digen. Schon gar nicht irgendein »Unter­hal­tungs­be­dürfnis« gegen »Akade­mi­sches«; was ja sowieso nur ein Codewort ist für intel­lek­tuell. Damit wird dann »Unter­hal­tung« unter der Hand zum Codewort für unin­tel­lek­tuell, womit man ihr auch keinen Gefallen tut.

Verrä­te­risch ist aber bei Mies das Wort »legitim«. Dies ist wie das Pfeifen im Wald: Verstünde sich die Legi­ti­mität nämlich von selbst, müsste sie nicht eigens betont werden. Die Vers­tär­kung im Beiwort enthüllt die Schwäche der Position.

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Noch einmal zur Unter­hal­tung. Das Problem ist ja nicht, dass die Leute unter­halten werden wollen. Sondern dass ihr »legitimes Unter­hal­tungs­be­dürfnis« heute von geschmack­losem Schwach­sinn wie What a Man befrie­digt wird. Während intel­li­gente Unter­hal­tung wie Komödien von Lubitsch, Chaplin, Wilder oder Musicals von Minelli heute kaum noch gekannt und nicht mehr verstanden werden, kaum im Spät­pro­gramm noch auftau­chen, und als »schwierig« gelten. Und dass all die Genannten nicht einen Nach­folger im Gegen­warts­kino haben. Dass es keine intel­li­gente Unter­hal­tung mehr gibt, keine Komödien, sondern nur noch Klamotten.

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Man muss also so wenig DePalma gegen Schomburg ausspielen wie Fatih Akin gegen die Berliner Schule. Es darf das alles geben. Man sollte alles unter­s­tützen. Man sollte aber mal Matthias Schweig­höfer erklären, warum Til Schweiger schlechte Filme macht, und er selbst kein Nach­folger von Billy Wilder ist. Das glaubt er jetzt nämlich.

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Hier noch ein DVD-Tip, für einen Film, der aufgrund von Zensur­pro­blemen nicht beworben, aber sehr wohl verkauft werden darf. Man sollte zugreifen, solange es ihn noch gibt: Eine multi­kul­tu­relle Femi­nis­tin­nen­gang – Weiße, Latinas, Schwarze – nimmt darin brutale Rache an Verge­wal­ti­gern. Eine junge Frau wird von ihnen gerettet, und gerät in den Bann der Gruppe. So nimmt eine Art düstere Version der Patty-Hearst-Story ihren Lauf: Selbst­be­freiung als Abhän­gig­keit neuer Art. Das ist die grobe Handlung dieser sehr straighten, schmut­zigen urbanen Rache-Phantasie, in der ziemlich viel geballert wird, und bei der brutalsten, aber auch plaka­tivsten Szene ein Rasier­messer die zentrale Rolle spielt. »Als hätte man Thelma & Louise mit Taxi Driver gekreuzt.« urteilte ein Kritiker, als A Gun for Jennifer auf den ersten Film­fes­ti­vals lief. Das geht genauso in die richtige Richtung, wie der Spruch auf dem Origi­nal­plakat: »Dead Men don’t rape«. Erst 1997 kam der Film heraus, und wirkt doch in seiner B-Movie-Erha­ben­heit, seinem Stolz auf die eigene Dreis­tig­keit, und seiner Punk-Verwei­ge­rung gegenüber den Publi­kums­er­war­tungen wie aus einer völlig anderen Zeit – der Film sieht eher aus, wie ein Werk aus den 70ern. Anti-»Political Correct­ness«-Kino, wie man es den USA der späten 90er gar nicht zugetraut hätte. Der Regisseur des Films ist Todd Morris, der aus der New Yorker Inde­pen­dent-Szene kommt, einer jener Off-Hollywood Filme­ma­cher, die durch ihre links­li­be­ralen Ansichten nicht vor der Erkenntnis bewahrt werden, dass Kino Spaß machen darf, dass es ein Ort ist, an dem man alle Instinkte, auch die höheren ausleben darf. So klaut und kopiert er schamlos von seinen Vorlieben. Morris' Debüt ist Exploita­tion-Kino, pur und böse, wie es sein muss, aller­dings, und schon das hebt den Film heraus, befeuert nicht von männ­li­chen, sondern weib­li­chen Phan­ta­sien. Und weil das auch in unseren Tagen nicht gut ankommt, hat dieser Film, der vor allem auf Festivals lief, die junge Karriere des Regisseur, kaum das sie begonnen hatte, auch schon ruiniert: Erst acht Jahre später, konnte er seinen zweiten Film machen: Molotov Samba lief dann immerhin in Cannes. Jenseits von Asien hat erst einer wie Quentin Tarantino, zehn Jahre später in Death Proof wieder etwas Ähnliches auf die Leinwand gebracht. Ein grimmiger Film, von so bestechender wie subver­siver Intel­li­genz, zugleich, wie man so sagt: Nichts für schwache Nerven. (Todd Morris: A Gun for Jennifer; plus Bonus­ma­te­rial (Trailer, Interview); USA 1997, bei Good!Movies (Midnite Xpress Coll­ec­tion No. 02))

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Folgende Pres­se­mit­tei­lung spricht Bände: »Medi­en­bord Berlin Bran­den­burg besucht das Filmset zur letzten Klappe der Dreh­ar­beiten von Hanni & Nanni 2«
München, 12. September 2011 In Berlin fiel heute die letzte Klappe des zweiten Teils der erfolg­rei­chen UFA Cinema Produk­tion Hanni & Nanni. Kirsten Niehuus vom Medi­en­bord Berlin-Bran­den­burg besuchte zusammen mit den Produ­zenten Nico Hofmann, Jürgen Schuster, Hermann Florin und der Produ­cerin Gesa Tönnesen abschließend das Filmset. Vor Ort wurden sie von dem hoch­karä­tigen deutschen Cast um Hannelore Elsner, Suzanne von Borsody, Katharina Thalbach sowie den Hanni und Nanni-Zwil­lingen Jana und Sophia Münster in Empfang genommen. ... Im zweiten Kinofilm rund um die berühm­testen Zwillinge der Welt geht es turbulent weiter! Nach dem großen Erfolg des ersten Teils, der 1 Mio. Besucher begeis­terte, dreht UFA Cinema jetzt ein neues und span­nendes Abenteuer in Lindenhof. Die Zwillinge werden erneut von den Publi­kums­lieb­lingen Sophia und Jana Münster gespielt, die 2010 mit dem Bambi in der Kategorie »Talent« ausge­zeichnet wurden. Wie im ersten Teil werden die Zwillinge und ihre Freunde wieder von einem hoch­karätig besetzten Erwach­se­nen­en­semble begleitet. Hannelore Elsner, Katharina Thalbach und Suzanne von Borsody spielen auch dieses Mal die Direk­torin Frau Theobald, die lustige, liebe­volle Made­moi­selle Bertoux und die schlecht­ge­launte Frau Mägerlein. Heino Ferch und Anja Kling sind wieder als einfühl­sames und enga­giertes Eltern­paar Jule und Georg Sullivan dabei. Zudem werden Barbara Schö­ne­berger als Karrie­re­frau Daphne und Carolin Kebekus als zwie­lich­tige Lehrerin Frau Goethe das Ensemble mit mächtiger Wucht aufmi­schen. Hanni & Nanni 2 ist eine Produk­tion der UFA Cinema in Kopro­duk­tion mit Feine Filme und dem ZDF, gefördert durch den FilmFern­sehFonds Bayern, das Medi­en­board Berlin-Bran­den­burg, die Film­för­de­rungs­an­stalt FFA sowie den Deutschen Film­för­der­fonds DFFF.

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Es ist (mögli­cher­weise) ja nichts dagegen zu sagen, dass Hanni & Nanni großzügig gefördert wird. Aber warum werden alle Förder­an­träge von Faust [Anm. d. Red: der Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig 2011 R: Alexander Sokurow] von der deutschen Film­för­de­rung abgelehnt. Ich fand den Film auch nicht super, aber ein völlig anderes Kaliber ist er natürlich schon. Und, wenn man sich auf Förder­kri­te­rien einlassen will, ja fraglos ein deutscher Stoff.

Film­för­de­rung, das zur Erin­ne­rung, ist dazu da, Kultur zu fördern. Nur Hilfs­weise darf sie auch Wirt­schafts­för­de­rung sein. Wäre es anders, müsste die EU-Kommis­sion die Förde­rungen schließen. Frage daher: Gibt es Kultur jenseits von Hanni & Nanni und What a Man? Wie sieht die aus?

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45 Filme stehen in der Auswahl für den Europäi­schen Filmpreis. In den 20 Ländern mit den meisten Mitglie­dern wurde jeweils ein natio­naler Film von den Mitglie­dern direkt in die Auswahl gewählt. Alle weiteren Filme wurden von einem Komitee ausge­wählt, das aus EFA-Vorstands­mit­glie­dern und den einge­la­denen Experten Pierre-Henri Deleau (Frank­reich), Marit Kapla (Schweden), Stefan Kitanov (Bulgarien), Derek Malcolm (Groß­bri­tan­nien) und Elma Tataragic (Bosnia & Herze­go­wina) bestand. In den kommenden Wochen stimmen die 2.500 Mitglieder der European Film Academy für die Nomi­nie­rungen in den verschie­denen Kate­go­rien, die am 5. November auf dem Europäi­schen Film­fes­tival in Sevilla (Spanien) bekannt gegeben werden. Die Nomi­nie­rungen in den Kate­go­rien Doku­men­tar­film, Anima­ti­ons­film, Kurzfilm und Erst­lings­film folgen im Laufe der nächsten Wochen.

Nach­fol­gend die Liste. Alle Artechock-Leser dürfen sich betei­ligen und dem Autor bis zum 1. November ihre Nomi­nie­rungen bekannt geben. Wir veröf­fent­li­chen sie dann hier vor dem 5.11.

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Die Auswahl­liste (Origi­nal­titel in alpha­be­ti­scher Reihen­folge, Artikel werden nicht berück­sich­tigt)

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.