02.02.2012
Cinema Moralia – Folge 45

Die Film-Kata­strophe

Film Socialisme
Die »Costa Concordia«
in Godards Film Socialisme

Zufall und Notwendigkeit: Godard, Kluge, Dietl und in einer Woche beginnt die Berlinale – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 45. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Was für ein Zufall, was für ein Zusam­men­hang! Es hätten tausend Schiffe sein können, die an der italie­ni­schen Küste auf Grund gelaufen und kata­stro­phisch gekentert sind. Aber es konnte, in anderem Sinn, eben nur dieses eine sein: Die unglück­liche »Costa Concordia« ist nämlich genau jenes Traum­schiff, auf dem Jean-Luc Godard seinen wunder­schönem Film Socia­lisme gedreht hat, eine Parabel auf den Fort­schrift, die Utopie und ihr Scheitern, und jetzt auch ein Sinnbild des geschei­terten neoli­be­ralen Kapi­ta­lismus, des Börsen-Europa. An solchen natürlich ganz zufäl­ligen Zufällen zeigt sich, dass Godard eben ein Genie ist.

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Jeder, wirklich jeder, der noch die Absicht hat, sich Helmut Dietl Zettl anzu­gu­cken, soll nicht sagen können, wir hätten ihn nicht gewarnt: Tut es nicht! Nein!! Nein!!! Nein!!!! Der Rest des Films ist genauso originell, wie der Einfall, einen Jour­na­listen Zettl zu nennen, er handelt nicht von Berlin, sondern vom rotwein­ge­tränkten Blick aus Münchner Butzen­scheiben auf Berlin, er ist ein künst­le­ri­scher und, ja auch, intel­lek­tu­eller Offen­ba­rungseid des Regis­seurs und des Co-Autors Stuckrad-Barre. Dietl war ja super, gar keine Frage. Viel­leicht haben sich aber beide wirklich das Hirn wegge­kokst? Viel­leicht war auch nur das Syndrom am Werk, das sich oft rührt, wenn sich zwei selbst­ge­fäl­lige Alpha-Tiere an eigenen Einfällen hoch­schau­keln, und die Boden­haf­tung verlieren. Zettl ist im Humor der 80er Jahre stecken­ge­blieben, ein lahmer Scheiß, der nie zündet. Und die Allzweck­waffe Bully als Schim­merlos-Ersatz ist, wie schon in Hotel Lux, auch keine Allzweck­waffe mehr. Im Gegenteil. Ein unnötiger Film, ohne Tempo. Und dass er dann in den ARD-Tages­themen mit Sätzen beworben wird, wie »mit hinter­grün­digem Humor karikiert er den Umgang mit Macht«, »messer­scharfe Dialoge«, »fein-hinter­häl­tige Satire«, ist nur grotesk. Da ist nichts fein und nichts hinter­hältig. Da sind alle Vorlagen der Wirk­lich­keit, von Wulff über Gutten­berg bis Lafon­taine/Wagen­knecht, aus Feigheit und/oder Dummheit, rechts und links liegen­ge­lassen.

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Besser, wirklich viel besser, ist Tage, die bleiben. Denn wenn ein Mensch stirbt, ist das traurig. Wer es selbst erlebt hat, weiß aber auch, welche albernen und grotesken und auch lustigen Seiten der Tod bei allem Ernst der Situation haben kann, und erst recht das Benehmen der Über­le­benden. Um die geht es in Pia Stiet­manns Debüt, das durch vieles besticht: Die gute Besetzung ist einer der Trümpfe dieses Films, der ein größere Publikum verdient hat. Denn Fami­li­en­dramen gibt es zwar (zu) viele im Kino. Doch dieses ist besonders und einfach ein besserer Film über Leere und Verlust­er­fah­rung nach dem Tod eines Fami­li­en­mit­glieds: Nichts ist aufge­setzt, nichts rührselig bei diesem Film, der unprä­ten­tiös von einer Familie erzählt, in der die Mutter, die vieles zusam­men­ge­halten und »abge­fangen« hat, plötzlich bei einem Auto­un­fall stirbt. Der Vater hat eine Geliebte, die Kinder anderes im Kopf – und diese Situation, wie all das Unaus­ge­spro­chene, das nicht nur zu »dysfunk­tio­nalen« Familien gehört, tritt jetzt zutage. Max Riemelt, Götz Schubert, Mathilde Bundschuh und Lena Stolze spielen die Haupt­rollen bei diesem Film, dessen Start­termin die Gemein­sam­keiten mit Alexander Paynes The Descen­dants noch deut­li­cher zutage treten lässt, ebenso wie die Unter­schiede zwischen ameri­ka­ni­schem und europäi­schem Filme­ma­chen. Stietmann braucht diesen Vergleich nicht zu scheuen.

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Dieter Kosslick zeigt sichtbar Wirkung. »Er hat Kreide gefressen«, sagt eine Kollegin über den Direktor der Berlinale, als wäre er der böse Wolf im Märchen. Dabei hat Dieter Kosslick nur seine Perfor­mance etwas gedämpft: Er hat auf den Schwach­sinns-Moderator vom Sponsor RBB mit seinem markt­schreie­ri­schen Gebraucht­wa­ren­händ­ler­jargon verzichtet, und stellt das Programm vor, ohne Namen falsch auszu­spre­chen, Jury­mit­glieder mit »wir hatten ja schon einmal eine ›Berlin­ackte‹« anzu­kün­digen und Filme zu vergessen. Die Bilanz eine Woche vor Beginn der Berlinale kann trotzdem auch auf dem Papier nicht über­zeugen: Nur 18 Wett­be­werbs­filme, vor zehn Jahren, als Kosslick hier antrat, waren es 30. Und wenn sie so sind wie in den letzten acht Jahren, muss man Schlimmes befürchten.

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In ein paar Tagen, am 14. Februar, wird Alexander Kluge 80 Jahre alt. Man würdigt diesen größten Lebenden des deutschen Kinos am besten damit, dass man seine Filme und Sendungen anguckt. Am Sonn­tag­nacht kam wieder etwas Beson­deres auf »News & Stories«: Das Zugun­glück von Hordorf. Es ging um eine Zugka­ta­strophe, und deren Bewäl­ti­gung. Da trifft sich Kluge mit seinem Bruder im Geiste, Godard, an ihrem Interesse für Kata­stro­phen. Dazwi­schen liegt die Berlinale.

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.