15.11.2012
Cinema Moralia – Folge 52

Wolken ziehen vorüber

Cloud Atlas
Alles hängt mit allem zusammen – derart erbauliche Unterweisungen bekommen wir in Cloud Atlas
(Foto: X Verleih AG / Warner Bros. Entertainment GmbH)

Sechs Geschichten, sechs Perspektiven, sechs Wolkenknäuel, die Nörgler von der taz und die Freunde des guten Films – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 52. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Unsere Welt folgt einer natur­ge­ge­benen Ordnung, und wer versucht, sie umzu­krem­peln, dem wird es schlecht ergehen.« (Aus Cloud Atlas)

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Jetzt ist es soweit; endlich muss man stöhnen. Endlich startet Cloud Atlas. »Endlich« nicht, weil wir den Film so bange erwartet hätten, nicht »endlich«, weil wir nicht bessere Filme wüssten, die wir unseren Lesern gern empfehlen möchten, und in die wir selbst reingehen wollen, sondern »endlich«, weil es dann jetzt in ein paar Tagen vorbei ist. Vorbei mit dem Marke­ting­ge­töse, mit dem Cloud Atlas auf allen Kanälen. Dann ist der Film »durch«, dann kann man wieder über andere Dinge schreiben.

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Cloud Atlas, David Mitchells Kult­best­seller wie seine Verfil­mung, erzählt sechs Geschichten, die auf sechs Zeit­ebenen spielen, und durch lose Bezüge und subtile Verweise mitein­ander verbunden sind – ein faszi­nie­render, aber schwer­ver­dau­li­cher Brei aus Figuren und Motiven. Nicht anders ist auch das Drumherum, ein komplexes Durch­ein­ander, das doch irgendwie mitein­ander verbunden ist, und gerade in seiner Gesamt­heit viel über die deutsche Film­land­schaft, über die Kino­si­tua­tion erzählt.

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Mitte September. Der Film wird seine Premiere in Toronto haben. Man speku­liert, wie man es immer tut: Offenbar hat Venedig den Film abgelehnt. Warum nicht die Berlinale – schließ­lich ist es doch ein deutscher Film. Bereits am 28. Juli erscheint in der »Süddeut­schen« ein Text – über den Trailer! Drei-spaltig!! Plus Bild!!! Wann hätte man so etwas schon mal in der SZ zu einem anderen Film gelesen? Der Text – Titel: »Erster Blick« – liest sich, als hätte ein Sieben­jäh­riger im Sommer bereits die versteckten Weih­nachts­ge­schenke gefunden. Oder anders gesagt: Wie ein Werbe­flyer, denn ein Mitar­beiter der zustän­digen Pres­se­agentur verfasst hat, nicht ein Film­kri­tiker.

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Anfang Oktober erreicht uns dann »Persön­liche Einladung« zu den bundes­weiten Pres­se­vor­füh­rungen von Cloud Atlas. In der Einladung, die garniert ist mit den leider heute üblichen »Sicher­heits­hin­weisen« – 1. Diese Einladung ist nur für Sie PERSÖNLICH bestimmt und darf nicht an Dritte weiter­ge­leitet werden! 2. Der Einlass erfolgt nach Namens­liste! Sollten Sie verhin­dert sein und eine Vertre­tung schicken wollen, teilen Sie dies bitte recht­zeitig unter xxx mit. Vertre­tungen, die nicht ange­meldet wurden, können wir leider nicht zulassen. 3. Elek­tro­ni­sche Geräte jeglicher Art müssen vor Beginn der Vorfüh­rung abgegeben werden. Hierfür steht eine Garderobe zur Verfügung. Vor dem Saal erfolgt eine Taschen­kon­trolle. Um unnötiges Anstehen zu vermeiden, würden wir Sie bitten Taschen, Rucksäcke etc. ebenfalls an der Garderobe abzugeben. Bitte planen Sie hierfür ausrei­chend Zeit ein, insbe­son­dere da die Vorfüh­rungen pünktlich beginnen müssen.
Ansonsten ist die Rede von einem »visi­onären Werk«, »meis­ter­hafter Film­ad­ap­tion«, »magisches Kino­er­lebnis voller Action, Dramatik und großer Emotionen«. Statt des Originals kommt der Satz: »Wir freuen uns, Ihnen bereits die deutsche Fassung präsen­tieren zu können, die von Tom Tykwer persön­lich verant­wortet wurde.« Dazu dann auch der Versuch, die Bericht­erstatter zu lenken wie Schafe zur Schlacht­bank: »Bitte beachten Sie, dass Film­kri­tiken/Film­be­spre­chungen erst in den November-Ausgaben (bei Monats­ma­ga­zinen) bzw. erst ab 26. Oktober 2012 bei tages­ak­tu­ellen Medien veröf­fent­licht werden dürfen – dies gilt für alle Arten von Medien (Print, Online, TV, Hörfunk) sowie für Social Media Platt­formen (Facebook, Twitter etc.). Mit der Teilnahme an den Pres­se­vor­füh­rungen erklären Sie sich mit dieser Bedingung einver­standen.« Man wüsste gern, wie das gehen und erlaubt sein soll, wo der Film doch bereits im September in Toronto lief und seit Mitte Oktober in den USA. Auch der X-Verleih wird nicht aus schlechter Erfahrung klug und begreift leider immer noch nicht, dass er mit derar­tigen Mani­pu­la­ti­ons­ver­su­chen und versuchter Lenkung/Einschrän­kung der Kritiker nur Eigentore schießt, genau so uncool rüber kommt, wie er es nicht will und genau das erreicht, was er vermeiden möchte: schlechte Stimmung.

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Die deutschen Zeitungen über­bieten sich in Bericht­erstat­tung: sehr wohl­wol­lend, ungemein umfang­reich. Zum Teil in ganzen Arti­kel­se­rien. Die privaten Verban­de­lungen mit dem Marke­ting­be­trieb wollen wir hier gar nicht expli­ziter erwähnen. In einer über­re­gio­nalen Tages­zei­tung schreiben kluge Köpfe nicht weniger als viermal über den Film. Warum eigent­lich? Warum begleiten Film­kri­tiker den Start eines deutschen Films, in dem viel Geld steckt, anders, als den eines deutschen Films, in dem wenig Geld steckt? Was haben sie mit dem Film und seinem Verkaufs­er­folg zu schaffen? Warum werden andere deutsche Filme nicht so begleitet?

Warum wird ein mittel­mäßiger Fantasy-Omnibus-Film auch noch von der seriösen Film­kritik zum Event hoch­ge­jazzt, und damit das Marketing-Grund­rau­schen nur verstärkt, das durch BILD auf einer Seite und »Wetten das?«-Auftritts­spek­takel längst herge­stellt ist.

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Über den Verband der Film­kritik erreicht mich am Montag die Anfrage der Prak­ti­kantin Tanja Gerlach der »LandesWelle – Thürin­gens Rock & Pop Radio« aus Erfurt (www.landes­welle.de) unter »Betreff: Anfrage für ein Tele­fon­ge­spräch«: »Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Vormit­tags­mo­de­ra­torin Isabell Schmidt würde am Donnerstag gern in ihrer Vormit­tags­sen­dung einen Beitrag zu dem Film ›Cloud Atlas‹ bringen. Wir suchen dafür einen Experten, der mit unserer Mode­ra­torin ein kurzes Gespräch am Telefon führen könnte. Ich hoffe, Sie können mit [Sic!] weiter­helfen! Über eine positive Rück­ant­wort würde ich mich freuen!« Ich antworte mit der kurzen Gegefrage, ob das Gespräch denn honoriert werde? Daraufhin die Antwort: »Sehr geehrter Hr. Suchsland, dass [Sic!] Gespräch würde nicht honoriert werden. Mit der nament­li­chen Erwähnung bzw. Nennung könnten Sie aber Werbung in eigener Sache machen. Gern können wir Ihnen auch einen Mitschnitt zur Verfügung stellen, über den Sie frei verfügen können. Es würde uns freuen, wenn Sie trotzdem für eine kurze Film­kritik zur Verfügung stehen würden.« Immer noch alles von der Prak­ti­kantin. Daraufhin schreibe ich ihr folgende Mail: »Liebe Tanja Gerlach, tut mir leid, aber ich arbeite für Geld. Kostenlos arbeite ich nur für Freunde. Geld ist im Kapi­ta­lismus Ausdruck der Wert­schät­zung von Arbeit und glück­li­cher­weise bekomme ich von meinen Auftrag­ge­bern sonst sehr wohl etwas für meine Arbeit. Was nicht bezahlt wird, ist nichts wert. Ich hoffe sogar sehr, auch Sie als Prak­ti­kantin werden bezahlt – ande­ren­falls sollten Sie sich nicht lang ausbeuten lassen, sondern sich schnell nach einem besseren Prak­ti­kums­platz umsehen.
Dass ich darauf bestehe, ist meine Art der Werbung in eigener Sache. Denn meine Arbeit ist etwas wert, und sollte Iihnen (Ihren Chefs) auch etwas wert sein. Und tatsäch­lich finde ich, ein Radio­sender – ob privat oder öffent­lich – muss es sich allemal schuldig sein, Leis­tungen zu hono­rieren und nicht um Almosen zu betteln. Sonst wird man ihn nicht ernst nehmen. Ihr Sender würde auch von Ihren Werbe­kunden Geld nehmen, und ich nehme an, bei Ihnen werden die Redak­teure sehr wohl bezahlt.
Im Übrigen: Ein Verband der Film­kritik ist eine Inter­es­sen­ver­tre­tung der Film­kri­tiker – wir würden unseren Mitglie­dern einen schlechten Dienst leisten, würden wir ihnen empfehlen, Ihr Programm ohne Gegen­leis­tung aufzu­werten.
Nichts für ungut – es trifft mit Ihnen als Prak­ti­kantin natürlich die Falsche und ist daher alles andere als persön­lich gemeint. Bitte über­mit­teln Sie die Mail daher Ihren Vorge­setzten.«
Dies blieb bisher ohne Antwort.

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Man muss es in diesen Tagen wohl hinzu­fügen: Stefan Arndt ist ein sympa­thi­scher Mensch. Und er ist ein guter Produzent. Wir müssen nicht alle seine Filme mögen, wir müssen nicht alles richtig finden, was er tut und denkt, es genügt, zu konsta­tieren, dass der Produzent von Cloud Atlas viel Respekt verdient.
Trotzdem scheint dort die nackte Verzweif­lung zu herrschen, anders gesagt: X-Filme geht der Arsch auf Grundeis. In den letzten Wochen erreichten uns Mails, die man als Bettel­briefe bezeichnen muss. Sie waren gezeichnet mit »An die Freunde des guten Films«. Die heutige lautete so:
»Heute Abend finden in vielen Kinos, die morgen Cloud Atlas starten, Previews statt. Und dann sei daran erinnert, dass der Mittwoch der ideale Tag ist, sich fürs Wochen­ende mit Freunden fürs Kino zu verab­reden... Die verehrten Freunde Kino­be­treiber haben meist Webseiten, auf denen man Karten vorbe­stellen oder sogar käuflich erwerben kann!
Um beschwingt ins Kino zu gehen, veröf­fent­li­chen wir nun auch den vierten und letzten Teil der Making Of Reihe, heute zum Thema Action.
Wenn dieses oder eines der anderen Making Of´s Euch gefällt, nutzt die social medias zur Verbrei­tung, oder leitet einfach diese Mail weiter.
Wir hatten ja durchaus Zweifel, wie denn das deutsche Feuil­leton so reagieren wird. Aber der Produzent hatte heute einen schönen Sonnen­auf­gang in Köln und dann einen noch schöneren Flug nach Berlin mit folgenden Pres­se­or­ganen:
Peter Zander hat heute einmal mehr eine große, vor Super­la­tiven nur so strot­zende Hymne für die WELT KOMPAKT (Titel & Tages­thema!) & BERLINER MOPO verfasst: ›Der Klassiker von morgen‹ – ›der stärkste Film 2012‹
Cloud Atlas‹ ist keine solche Schnell­ware ...... Weil er einen hoch­kon­zen­trierten Zuschauer verlangt. Aber, diese These wagen wir jetzt mal mutig, dieser Film wird bleiben. Er wird reifen wie ein guter Wein. Weil er eben nicht so ein Fließ­band­pro­dukt ist, das nur Massen ins Kino ziehen soll. Sondern ein klares Anti­pro­gramm läuft wider all die Block­buster und Fort­set­zungen und Remakes und Comic­ad­ap­tionen. Cloud Atlas ist der mutigste und stärkste Film des Jahres. Und Berlin darf sich glücklich schätzen, dass er, obwohl er in jeder einzelnen seiner 172 Minuten so aussieht, eben kein Holly­wood­film ist, sondern ein Heim­pro­dukt.«
»Die Stars spielen, dass es eine Lust ist.«
»Alles (...) ist verbunden. Und das wird zu großer Kinomagie. Eine Augen­weide. Ein Meilen­stein.«
Und auch die SZ schwärmt: »ein groß­ar­tiges Filmepos«.
Die einzigen, die heute mit ihrer Kritik ausscheren, sind (erwar­tungs­gemäß) die Nörgler von der TAZ... Und dem einen Schreiber der gestrigen Haupt­stadt­zei­tung empfehle ich die noch­ma­lige Betrach­tung der Kriti­ker­szene in Cloud Atlas und dass er diesmal mit der Rich­tig­stel­lung – zumindest der Fakten – nicht wie bei Good Bye, Lenin! Wochen ins Land ziehen lässt!
Heiko Rosner prognos­ti­ziert in der CINEMA »einen Jahr­hun­dert­film«! – Immerhin sind es neben Titel­ein­klinker acht ganze Seiten geworden.
Heute am Kiosk erschienen daneben noch die BRIGITTE (Film­auf­ma­cher), EMOTION (2 Seiten TT-Interview), ZITTY mit einer Seite positiver Kritik von Martin Schwarz.
Der Volls­tän­dig­keit halber zu erwähnen: Die positive Bespre­chung in den NÜRNBERGER NACHRICHTEN sowie gestern die ganz tolle Bespre­chungen in der RHEINISCHEN POST (»der kühnste Film des Jahres«) & der WAZ (»ein großes Kino-Abenteuer«) und die halbe Seite in der BILD über die grandiose Katy Karren­bauer, die gemeinsam mit Jim Sturgess in Cloud Atlas eine Berliner Kneipe zerlegt!
Ich wünsche viel Vergnügen im Kino Eures Vertrauens,
Beste Grüße, Stefan Arndt

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Soviel zum Verhältnis deutscher Produ­zenten zur Film­kritik. Den »Nörgler« von der FAS hat er wohl nicht gelesen. Na gut. Leiden­schaft eines Produ­zenten fürs Kino, vor allem seine eigenen Filme ist etwas unbedingt Notwen­diges, aber Liebe macht halt auch leicht blind. Viel Glück wünschen wir jeden­falls den netten Menschen, sie werden es auch brauchen. Viel­leicht ist diese Art von Mail-Verkehr in Zeiten der Sozialen Netzwerke auch ange­messen. An den Erfolg glauben können wir aber nicht. Cloud Atlas floppte in den USA und er wird auch in Deutsch­land eher verhalten »gehen«.

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Was sind hundert Millionen Dollar? Wie viele Studen­ten­filme könnte man dafür machen? Wäre nicht mindes­tens einer genauso gut, und einer besser, inter­es­santer, inno­va­tiver, zukünf­tiger, als Cloud Atlas?

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Wetten, dass Cloud Atlas deutsche Film­preise bekommen wird? Wieviele? Und wieviele für nicht-tech­ni­sche Kate­go­rien?

(To be continued)