18.07.2013
Cinema Moralia – Folge 66

»It's just the wasted years so close behind«

Nico
Nico, die Ätherische, sich selbst übertreffend, sich selbst schmerzend (Nico – Icon)
(Foto: Salzgeber)

Was von Nico übrig blieb – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 66. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Here she comes, you better watch your step/
She’s going to break your heart in two, it’s true«
Nico: »Femme Fatale«

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Sind 20 Jahre eine lange Zeit? 1988 war es unfassbar lang her, dass Nico Ende der 60er in New York mit »Velvet Under­ground« gesungen hatte. 1995 als Susanne Ofte­rin­gers Film Nico – Icon auf dem Filmfest München lief, schien 1988 schon recht lang her, das Jahr in dem Nico starb. Und heute denkt man, die zeit seit 1995 sei doch im Flugs vergangen. Nicht ganz viel­leicht.

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Was ist eigent­lich aus Susanne Ofte­ringer geworden? Wir erinnern uns an die Regis­seurin, wie sie in München im Cinemaxx herum­stand. Zwischen Triumph und Verlo­ren­sein. Keinen Film hat sie seitdem gemacht. Ein Kölner Bekannter erzählte etwas von Nerven­klinik, aber dafür haben wir keine Beweise. Könnte auch mal wieder dieser idio­ti­sche Kurz­schluß von Werk und Interesse auf Charakter sein. Wer mehr weiß, möge sich bitte melden.

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In Köln findet jeden­falls die »erste Kölner Niconale« statt. Im Cafe Central geht es vom 17.-19.juli um das filmische Expe­ri­ment Nicos. Anschließend folgt Nico – Icon. Am 18. Juli läuft Nico – A Life On the Border­line, Teil­nehmer Alan Wise (ex Manager Nicos) und Lyn Arthur Oakey (Musikerin, Freundin Nicos). am 19.Juli folgt der Konzert­film »NICO + BAND, Live im Stollwerk 1982« und live-Musik.
Das Café liegt nahe der Aachener Straße, in jener Gegend wo heute die, die keine Südstadt­pa­trioten sind, ausgehen. In der Aachener Straße lag früher die »Spex«-Redaktion, heute residiert hier Heike-Melba Fendels Firma Barba­rella, die viel mehr ist, als eine Agentur, und hier wohnte auch die berüch­tigste Kölnerin aller Zeiten Christa »Nico« Päffgen.

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Alles belegt. Auch in Berlin, der Stadt in der sie aufwuchs, erinnert man an Nico. Im Kino in der Brot­fa­brik am Cali­ga­ri­platz 1, findet vom 18.–24. 7. eine kleine Retro­spek­tive mit ein paar ihrer Film­auf­tritte statt. Dazu gehören die Stendhal-Verfil­mung De l’amour und mehrere Doku­men­tar­filme.
Vor dem Kino kann man dann ihr Grab besuchen. Es liegt versteckt in einem der kleinsten Berliner Friedhöfe, dem auch »Friedhof der Namen­losen« und »Selbst­mör­der­friedhof« genannten Friedhof »Grunewald Forst« am Schild­hornweg in Grunewald. Ein verwun­schener Ort nahe der Havel. Hier will man begraben sein, und genau dies sagte die 18-jährige Christa Päffgen zu ihrer Mutter, mit der sie den Friedhof besuchte: »Hier will ich begraben sein.« 1988 wurde sie im Grunewald beerdigt.
Im 19. Jahr­hun­dert war das ein illegaler – auf wilde Bestat­tungen standen hohe Strafen – Toten­acker für Selbst­mörder und Wasser­lei­chen – bis 1920 als die neue Republik auch in Groß-Berlin das kirch­liche Bestat­tungs­mo­nopol abschaffte. Heute liegen hier mehrere Tausend Menschen – die Zahl der offi­zi­ellen Gräber ist wenig größer als hundert. Aber im Mai 1945 wurden am Schild­hornweg über 1200 Bomben­opfer beigesetzt. Woanders bekam man für sie keinen Platz mehr – unter der Erde war schon alles belegt.

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Bonjour fatigue. Müdigkeit ist es, was man immer wieder in ihrem Zusam­men­hang erwähnt. Sie war von Anfang an viel­leicht einfach müde, viel­leicht begrün­dete das ihre besondere Aura, das geheim­nis­voll-unnahbare Wesen dieser Elfen­kö­nigin aus anderer Zeit, das Phillippe Garrel immer noch am besten erfasst hat. Angstein­flößend schön war ihr Gesicht.

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Vor 25 Jahren nun ist sie gestorben. Zum 25. Todestag von Nico am 18. Juli 2013 erinnern in ihrer Heimat­stadt Köln einige Künstler und Musiker an ihr Lebens­werk, und versuchen, dessen Einfluss auf ihre eigene künst­le­ri­sche Arbeit thema­ti­sieren und ange­messen zu würdigen.

Christa Päffgen, geboren am 16. Oktober 1938 verließ nach dem Zweiten Weltkrieg ihre zerstörte Heimat­stadt. Mit ihrer Mutter Margarete Päffgen lebte sie in Lübbenau und Berlin. Als die junge, attrak­tive Christa nach einer erfolg­rei­chen Karriere als Mannequin nach Paris zog, nahm sie den Künst­ler­namen »Nico« an. Bald danach trat sie in Federico Fellinis La Dolce Vita (1960) auf: Als diese Kunst­figur Nico, die betörende Schönheit aus Deutsch­land.

Nicos spätere Karriere als Schau­spie­lerin, Text­dich­terin, Kompo­nistin und Sängerin führte durch extreme Höhen und Tiefen. Nachdem sie 1962 Ari Päffgen zur Welt gebracht hatte – Alain Delon bestreitet bis heute die Vater­schaft – besuchte sie die Schau­spiel­schule in New York, wo sie Musiker wie Bob Dylan, Brian Jones und Jimmy Page kennen­lernte, und auch dem Heroin verfiel, das ihr Leben fortan prägte.

Sie spielte in Andy Warhols Film The Chelsea Girls, sang mit »The Velvet Under­ground« und bestand dabei auf dem Zusatz »…and Nico«, und startete eine Solo-Karriere als Sängerin und Kompo­nistin – mit einer Musik, die zunehmend unkon­ven­tio­neller wurde. In den 70er Jahren war der fran­zö­si­sche Filme­ma­cher Philippe Garrel ihr Lebens­ge­fährte, mit dem sie sieben Filme drehte und der ihre Drogen­sucht teilte. 1979 endete die Beziehung zu Garrel. Der Titel ihres vorletzten Studio­al­bums, veröf­fent­licht 1981, lautet »The Drama of Exile«.

Zahl­reiche Konzerte prägten ihre letzten Lebens­jahre. Am 5. Mai 1982 trat sie im Kölner Stollwerk auf, kam auf ihre Herkunft zu sprechen: »Köln ist schließ­lich meine Heimat­stadt«. Am 18. Juli 1988, starb Nico auf Ibiza an den Folgen einer Hirn­blu­tung.
Heute liegt Nico auf dem Friedhof Grunewald-Forst in der Nähe Berlins begraben. Die Grab­in­schrift trägt ihre beiden Namen, Nico und Christa Päffgen, und zeugt dabei nicht nur von einem Zwiespalt in ihrem Lebensweg, sondern auch von ihrem Versuch, Konven­tionen und Main­stream-Trends der Popkultur mit künst­le­ri­scher Inno­va­tion und Krea­ti­vität zu verbinden.

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»Heinrich George – eines der stärksten Talente der deutschen Bühne, aber stets durch Diszi­plin­lo­sig­keit, Herrsch­sucht, Sauferei (ohne Schwung oder Charme) eine unzu­ver­läs­sige und schwie­rige, ja gefähr­liche Bühnen­er­schei­nung, – war schon in der Zeit in der er sich als radi­kalster Kommunist aufspielte, ein Mensch der imstande war, in der Besof­fen­heit Kellner und Chauf­feure zu prügeln.
Er hat zwei­fellos genia­li­sche Züge die er in selbst­be­rauschter Maßlo­sig­keit über­stei­gerte und bis zur Ungestalt übertrieb. Jählings von einem Tag auf den anderen wandelte er seine wild­kom­mu­nis­tisch revo­lu­ti­onäre Gesinnung in ebenso rase­ri­schen Natio­nal­so­zia­lismus – wobei er in lichten Momenten oder nüch­ternen – oder viel­leicht auch ganz betrun­kenen – Augen­bli­cken sich über seine Verrä­terei und deren Folgen klar wird und sein eigenes Todes­ur­teil spricht. Er wagte es, als Götz von Berli­chingen mit dem Hitler­gruß aufzu­treten und wurde einer der Führer des nazis­ti­schen Theaters. Man schuf in Berlin eine eigene Bühne für ihn – das Schil­ler­theater, das früher dem Staats­theater angehörte – die er jetzt noch (soweit nicht nieder­ge­bombt?) – als Direktor leitet.«
Carl Zuckmayer, »Geheim­re­port«, ein 1943/44 im Exil für den ameri­ka­ni­schen Geheim­dienst verfasstes Dossier über deutsche Künstler und Intel­lek­tu­elle.

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»Einige Film­pro­du­zenten sind der Meinung, daß es für George nur noch eine große Heraus­for­de­rung gebe: die Rolle seines eigenen Vaters Heinrich George zu spielen. Diese Idee klingt inter­es­sant, aber George muß sich nicht mehr gegenüber seinem eigenen Vater eman­zi­pieren. Niemand anderes als Götz George selbst hat sich derart intensiv mit Heinrich George beschäf­tigt. Das oft bediente Klischee, er würde sich am eigenen Vaterbild abar­beiten, ist längst ein Gerücht. Er steht auf einer Stufe mit seinem Vater, auch wenn er dies selbst nie zugeben möchte. In langen Nächten erzählte George aus dem Leben seines Vaters, den er nur als kleiner Junge selbst miterlebt hat. Die Gespräche enden fast immer mit jener Geschichte, in der Heinrich George in russi­scher Haft plötzlich den sowje­ti­schen Lager­kom­man­deuren deutsche Literatur auf russisch vorspricht. Götz George schließt diese Erzählung meistens mit folgenden Worten: Mein Vater hat immer die Zuwendung gesucht, auch die Hinwen­dung zum Publikum, egal ob es die Deutschen waren oder die Russen. Aber am Ende wollte er den Applaus. Er wollte vor allen Dingen eins: Zuwendung und Liebe.«

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Diese Sätze schrieb der Produzent und Regisseur Nico Hofmann vor recht genau zehn Jahren in einem Artikel zu Götz Georges 65. Geburtstag. Jetzt, zehn Jahre später hat Hofmann mit seiner Firma TeamWorxx »George« produ­ziert, ein Dokudrama über Heinrich Georges Leben. Ich gebe zu, ich hatte nichts Gutes befürchtet – und muss jetzt Abbitte leisten. Denn was immer man vorher erwartet hatte – es wurde mehr Doku als Drama. Am 22. Juli um 20 Uhr läuft der Film im Kultur­kanal ARTE, am 24.Juli um 21.45 in der ARD.
Gegen diese Termi­nie­rung haben Götz George und der Bundes­ver­band der Film- und Fern­seh­schau­spieler protes­tiert. Er sei »Ausdruck bedau­er­li­cher Gleich­gül­tig­keit gegenüber unserer Kultur«, erklärte der Verband am Donnerstag in Berlin.
ARD-Programm­di­rektor Herres kontert, man plane, Götz George mit einem Filmabend eine besondere Ehre zu erweisen. »Das wird ein großer Abend für Götz George«, hatte Herres gesagt.

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Heinrich George galt als »Jahr­hun­dert­schau­spieler«. Er spielte bei Fritz Lang den Werk­meister der Herz­ma­schine in Metro­polis und den Franz Biberkopf in der Verfil­mung von Döblins Roman Berlin Alex­an­der­platz. Als einer der renom­mier­testen Schau­spieler der Weimarer Republik wurde er so populär, dass die Natio­nal­so­zia­listen trotz seiner vielen linken und jüdischen Freunde nicht auf ihn verzichten mochten. Und er verstand sich anzu­passen. Goebbels persön­lich ebnete ihm den Weg, verlangte aber, dass er in ausge­spro­chenen Propa­gan­da­filmen wie Jud Süß und Kolberg mitspielte. Als regime-naher Künstler wurde er nach dem Krieg im sowje­ti­schen Spezi­al­lager in Sach­sen­hausen inter­niert, wo er 1946 an einem Hungerödem starb. In diesem Film mit Doku­men­tar­auf­nahmen und Spiel­szenen werden die Jahre Heinrich Georges seit 1933 rekon­stru­iert.

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Kommende Woche, am 23.Juli, wir Götz George 75 Jahre alt. Für mich ist er immer noch der etwas unbe­darfte Haudrauf im Der Schatz im Silbersee, eine Figur, die Karl May nie geschrieben hatte. Ansonsten ist er natürlich der ewige Schi­manski. Götz – benannt nach Heinrichs Lieb­lings­rolle des Bauern­kriegs­helden aus Goethes Stück »Götz von Berli­chingen«
Vor zehn Jahren schrieb Nico Hofmann weiter: »Götz George betrachtet sein Spiel physisch, ganz und gar körper­lich und dabei voller Emotion. Eine Trennung von Rhythmus, Körper und Spiel ist bei ihm unmöglich. Alles wird einer präzisen Choreo­gra­phie unter­worfen, die aus Empfind­lich­keiten, aus der Emotio­na­lität entspringt, mit der George seine jeweilige Szene versteht. ... Er begreift seine Schau­spie­lerei als Ausdruck physi­scher und psychi­scher Zustände. Alles gehorcht einer genauen Psycho­lo­gi­sie­rung, nichts ist dem Zufall über­lassen. ... Er lebt für die Rolle, er lebt in seiner spezi­ellen Liebe zur Figur, und er vergißt dabei seine Umwelt völlig. ... George mag George sein mit all seiner Physis, seiner Sprach­be­herr­schung, seinem exakt choreo­gra­phierten körper­li­chen Spiel. Aber alles entsteht bei ihm aus Leiden­schaft, aus Hingabe und doch mit einem hohen Risi­ko­po­ten­tial.«

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In dem kuriosen Blog »How to be German in 20 easy steps« ist ein Punkt für uns Berliner Ex-Münchner besonders inter­es­sant: »15. Feel mixed about Berlin«. Der Erläu­te­rung ist laut zu wider­spre­chen: »The average German has a complex rela­ti­on­ship to its Haupt­stadt. Berlin is the black sheep of the German family. Creative, unpunc­tual, prone to spon­ta­neous displays of techno, unable to pay its taxes, over familiar with foreig­ners. To many Germans, Berlin is not really their capital, it’s more like a giant art project or social expe­ri­ment that only turns up when hungover, and in need of a hand out. To them, the true capital is probably somewhere more like Frankfurt.«

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Die wich­tigste Ergänzung aus meiner Sicht lautet: Entspannt Euch! Wenn man wie ich gerade mal wieder München besucht, fällt einem nur eines auf: Die Münchner legen alle wahn­sin­nigen Wert darauf, klar­zu­ma­chen, dass Berlin nicht der Nabel der Welt ist. Soviel wert, dass man anfängt zu denken: »Leute, Berlin muss Euch ja schon wahn­sinnig zu schaffen machen. Dass ihr den Aufwand so nötig habt. Entspannt’s euch halt.«

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Die Welt bleibt trotz allem nicht stehen. Edward Snowdon sitzt immer noch im Tran­sit­be­reich des Moskauer Flughafen, und nicht nur in Ägypten, auch in der Türkei geht der Wider­stand des aufge­klärten Orients gegen den Isla­mismus weiter. Dazu gibt es in München einen Infor­ma­ti­ons­abend des Vereins »Sinema Türk«, der sich auch sonst um türki­sches Kino und Kultur verdient macht: In der IG-Feuer­wache (Gang­ho­ferstr. 41, 80339 München) gibt es am Freitag, 19.07., ab 19.00 Uhr eine Comic-Ausstel­lung, Videobe­richte und Kurz­re­fe­rate aus der Türkei und Diskus­sion zum Wider­stand am Taksim.

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Leonard Cohens legen­däres Lied »Joan of Arc« ging direkt auf Nico zurück: »I saw her wince, I saw her cry I saw the glory in her eye Myself I long, I long for love and light But must it come so cruel, and must it must it be so very bright?«

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.