14.09.2017
Cinema Moralia – Folge 161

»...darf man getrost als Ohrfeige für die Berliner Kultur­po­litik verstehen...«

High and Low
Harun Farocki wird mit einer Werkschau im Arsenal in Berlin gewürdigt. Ganz abseits des Wahlkampfs, der auch ein Filmhaus promoted.

Grütters rennt – eine erste Bilanz der Politik der Kulturpolitikerin und »Filmministerin« Monika Grütters – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 161. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»I'll stay here for 400 years. Civil servants come and go, but art stays.«
Wladimir Maja­kowski, 1927

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Endlich! Monika Grütters schenkt den Berlinern ein Filmhaus!! Ein bisschen klingt es so in den Zitaten, die die Staats­mi­nis­terin für Kultur am Wochen­ende per Interview einer Pres­se­agentur verbreiten ließ. »Ein wichtiges Thema für einen Koali­ti­ons­ver­trag« sei ein »reprä­sen­ta­tives Filmhaus in der Haupt­stadt«, meinte die CDU-Poli­ti­kern da, und sprach von der »wach­senden Bedeutung des Film­stand­orts Berlin-Bran­den­burg.«
Natürlich ist alles ein bisschen weniger schön und blumig, als es auf den ersten Blick scheint. Denn es ist weniger ihr Minis­te­rium, als ihre eigene Karriere, die Grütters in den letzten Monaten bestellt.
In den letzten Wochen gab sich die studierte Kunst­his­to­ri­kerin gerade im Film­be­reich so rührig und aktiv wie in den vergan­genen vier Jahren zusammen nicht. Das hat sie auch bitter nötig.

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Gar nicht so sehr, weil ja gerade Wahlkampf ist. Schon eher, weil einiges dafür spricht, dass Grütters ihren Posten nach der Wahl verlieren könnte.
Als Kultur­mi­nis­terin ist Grütters nämlich nicht sonder­lich erfolg­reich, da mag sie gerade noch so viele Denkmäler eröffnen, und Etat­er­höhungen verkünden:

- Das Kultur­gut­schutz­ge­setz wurde gründlich vermas­selt und ist vor allem den gut betuchten CDU-Wählern ein Dorn im Auge.

- Das zum Humboldt­form umbe­nannte preußi­sche Stadt­schloss aus der Retorte ist umstrit­tener denn je und sorgt im Wochen­takt für neuen Ärger.

- Das neue Film­för­der­ge­setz ändert an der grund­sätz­li­chen Misere des deutschen Films rein gar nichts.
Und in vielen anderen brisanten Fragen laviert Grütters konturlos hin und her.

Dafür hat sich die Neu-Berli­nerin aus Münster von Angela Merkel zum Berliner CDU-Vorsitz drängen lassen – ein Amt, das man seinem ärgsten Feind nicht wünschen möchte. In knapp vier Jahren will sie Regie­rende Bürger­meis­terin werden. Darum muss Grütters nun mit jeder Kultur-Entschei­dung auch ein bisschen Berlin-Flagge zeigen. Da kommt das wohlfeile Verspre­chen eines Berliner Film­hauses gerade recht.

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Aber wem nutzt eigent­lich ein solches Filmhaus? Öffent­lich hat sich bisher nur eine Lokal­zei­tung, nämlich der Berliner »Tages­spiegel«, für ein Filmhaus stark gemacht. Die meisten anderen halten sich bedeckt. Außer Dieter Kosslick. Der Noch-Berlinale-Direktor kämpft gerade hinter den Kulissen und gegen eine Menge interner Wider­s­tände mit allen Mitteln für eine weitere Verlän­ge­rung seines Vertrags – da machen sich neue Projekte super. Und so verkün­dete Kosslick bereits Anfang des Jahres, auch dies im Tages­spiegel, er würde gern »den Übergang begleiten.«
Wer ansonsten wirklich ein Filmhaus will, ist schwer zu sagen.

Heftiger Streit über dieses Thema ist sowieso vorpo­gram­miert: SPD-Senats­kanz­lei­chef Björn Böhnung behaup­tete vor zwei Wochen in einem Zeitungs­ar­tikel, ein Filmhaus sei nicht genug, es müsse wenn schon, dann gleich ein ganzes »Medi­en­haus« her.
Dann der Standort: Warum muss ein solches Gebäude eigent­lich ausge­rechnet direkt neben dem wunder­schönen, denk­mal­ge­schützen Gropi­usbau stehen? Und nur ein paar Schritte von Gedenkort der »Topo­gra­phie des Terrors« entfernt.
Muss eigent­lich auch die letzte luftige Freifläche in Berlin zugebaut werden?

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Die vor allem entschei­dende Frage ist aber nicht, was Frau Grütters will und was Dieter Kosslick sich wünscht, sondern: Wer zahlt? Wofür? Und wer bestimmt über das zukünf­tige Filmhaus. Hoffent­lich nicht Dieter Kosslick, hoffent­lich nicht die Berlinale-Leitung. Und hoffent­lich nicht Monika Grütters.
Denn ein solches Filmhaus ist zu wichtig, als das die Karrie­re­wün­sche einer Poli­ti­kerin und eines schei­denden Festi­val­lei­ters den Ton angeben dürfen.

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Immerhin in einem Punkt zeigt Monika Grütters Flagge: In der Frage der skan­dalösen Besetzung der Berliner Volks­bühne. Als die Fach­zeit­schrift »Theater heute« die Volks­bühne vor zwei Wochen zum zweiten Mal in Folge zum »Theater des Jahres« kürte, nutzte Grütters die Gele­gen­heit: Eine »groß­ar­tige und hoch­ver­diente Auszeich­nung« sei dies, »diese Verbeu­gung gilt der großen Insze­nie­rungs­leis­tung Frank Castorfs ebenso wie seinem starken Schau­spieler-Ensemble, das in perfekt insze­niertem Spiel und mit kraft­vollen und fulmi­nanten Auftritten die Thea­ter­kri­tiker nach­haltig beein­druckt und überzeugt hat. Trotz provo­kanter und umstrit­tener Insze­nie­rungen ist es der Volks­bühne mit ihrer so typischen Kultur der Kommu­ni­ka­tion gelungen, ein breites Publikum, Jung und Alt, an sich zu binden. Als kultu­reller Gesamt­kosmos ist diese einzig­ar­tige Bühne ein starker Player in der Stadt und inter­na­tional ein großer Botschafter für die deutsche Thea­ter­land­schaft. ... Diese Auszeich­nung darf man getrost als Ohrfeige für die Berliner Kultur­po­litik verstehen, die den Übergang von der Ära Castorf zu seinem Nach­folger bemer­kens­wert unsen­sibel gehand­habt hat. Die Volks­bühne mit ihrer eindrucks­vollen Geschichte und Tradition ist mehr als 'nur' ein beson­deres Theater. Sie hat einen wesent­li­chen Teil dazu beigetragen, dass Berlin kulturell so attraktiv, so avant­gar­dis­tisch, so spek­ta­kulär ist. Wenige Häuser sind in der Stadt­ge­sell­schaft so verankert wie die Volks­bühne. Die Berliner Kultur­po­litik hat dies beherzt ignoriert. Ich gratu­liere der Volks­bühne herzlich zu der Auszeich­nung. Sie stärkt noch im Nach­hinein Frank Castorf und dem Ensemble der Volks­bühne den Rücken. Das haben sie alle verdient.«

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»...große Insze­nie­rungs­leis­tung ... kultu­reller Gesamt­kosmos ... starker Player« – na gut, die Sprache. Daran kann man noch feilen.

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Natürlich ist auch das Wahlkampf. Natürlich zielt das gegen die Berliner SPD. Aber man muss zumindest allen Berliner Lesern sagen: Wenn es auch nur Grund gäbe, nicht SPD zu wählen, ist es Tim Renner, der bis letztes Jahr im Senat verant­wort­liche SPD-Ehrgeiz­ling, der sich jetzt um ein Direkt­mandat in Berlin bewirbt. Da kann ich es nicht dezenter sagen, als so: Berliner, auch wenn ihr SPD wählen solltet, wählt NICHT Tim Renner! Er ist der, der wirklich nicht gewinnen darf, er ist das Aller­letzte! Tim Renner steht für unbe­fan­gene Dummheit, für das Gegenteil von Demut, für das es kein Wort gibt.

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Zur Volks­bühne nochmal die Erin­ne­rung an die Petition, die bereits über 40.000 Leute, längst nicht nur Berliner, unter­schrieben haben (in München gäbe es natürlich auch Dinge für und gegen die man unter­schreiben könnte), und die mir wirklich am Herzen liegt – nicht »weil wir unseren Frank Castorf wieder­haben wollen«, um den geht’s gar nicht.
Sondern es geht um die Freiheit und Unab­hän­gig­keit der Kunst gegenüber Eingriffen der Politik. Das sollte uns allen am Herzen liegen. An den Erst­un­ter­zeich­nern sieht man, dass man mit seiner Unter­schrift auch in guter Gesell­schaft ist. Das Beispiel des Filmerbe-Aufrufs hat gezeigt, dass solche Peti­tionen tatsäch­lich etwas bewirken können.

Monika Grütters hab ich da übrigens nicht gefunden.

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Drei Jahre nach Harun Farockis plötz­li­chem Tod im Sommer 2014 gibt es jetzt eine umfang­reiche Schau zu diesem einzig­ar­tigen Filme­ma­cher im Berliner Arsenal: »Harun Farocki: Nach­ein­ander / Neben­ein­ander« wird an diesem Freitag eröffnet.

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Zu guter Letzt: »Holly­woods unge­zähmtes Ausnah­me­ta­lent: Jennifer Lawrence in der Rolle ihres Lebens!« So jubelte eine Pres­se­mit­tei­lung heute zum nerv­tö­tendsten Film des Jahres – Darren Aronof­skys mother!, der morgen startet. Meiner Kritik aus Venedig zum Film habe ich nichts hinzu­zu­fügen.
Sehr subtil, wie Verleih-Pres­se­mit­tei­lungen so sind, wird aber auch in der werbend-wertenden Form ange­deutet, um was für einen ärger­li­chen Hammer­schrott es sich handelt. Es lohnt, sich die Formu­lie­rungen anzu­gu­cken: »In Darren Aronof­skys scho­nungs­losem Psycho­thriller mother! verschreibt sich Jennifer Lawrence ihrer Rolle als aufop­fe­rungs­volle Ehefrau und Muse nun mit Leib und Seele und liefert damit die eindring­lichste und zugleich dras­tischste Perfor­mance ihrer bishe­rigen Karriere.«

(to be continued)