21.12.2017
Cinema Moralia – Folge 168

We too: Substanz statt Schmuh!!

Familienfest
Nicht mal Kraume, Eidinger & Elsners Familienfest – einer von allen Filmen, die beim FFF in Baden-Baden leer ausgingen...
(Foto: Lars Kraume)

Gegen Länder und Sender: Brandbriefe der Nachwuchsfilmer und unabhängigen Studenten – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 168. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Antwort eines sowje­ti­schen Künstlers auf gerechte Kritik«
Dimitri Shost­a­ko­witsch, Unter­titel zur 5. Symphonie, im November 1937

»Was die Männer für ihre Über­zeu­gung leiden und dulden, werden die Frauen auch zu ertragen wissen. ... Die Teilnahme der Frauen an den Inter­essen des Staates ist nicht allein' ein Recht, sondern eine Pflicht aller Frauen.«
Louise Otto (1819-1895), Frau­en­recht­lerin, 1843

»Die FFA sollte – im Rahmen der gesetz­li­chen Vorschriften – Kinofilme fördern, die einen hohen quali­ta­tiven Anspruch haben sowie glei­cher­maßen absolut und/oder relativ wirt­schaft­lich erfolg­reich im In- und Ausland ausge­wertet werden können.«
aus den FFA »Leit­li­nien«, 13.06.2017

»Es war in diesen Tagen beun­ru­hi­gend zu sehen, dass manche Kreative ihr Werk nicht einmal vertei­digten.«
Aus der Jury­be­grün­dung in Baden-Baden, 2017

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Vor ein paar Wochen, gab es eine auffäl­lige Wort­mel­dung beim »Fern­seh­fil­mFes­tival Baden-Baden«. Da verzich­tete die dies­jäh­rige Studen­ten­jury – bestehend aus Studie­renden der Film­schulen in Babels­berg, Ludwigs­burg und München – darauf, überhaupt irgend­einen einen Preis zu vergeben.
Man fragt sich nicht lange warum, wenn man auf die Liste der Wett­be­werbs­filme blickt. Ein trauriges Bild schon von den Themen und den 08/15-Bildern her. Manches kenne ich, anderes glück­li­cher­weise nicht.

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In der Begrün­dung der Studenten, die man hier komplett nachlesen kann, heißt es: »Vieles war Stückwerk statt Kunstwerk, Konsens statt Krawall, Bravheit statt Braveness, Asthma statt Aufbruch. Es war in diesen Tagen beun­ru­hi­gend zu sehen, dass manche Kreative ihr Werk nicht einmal vertei­digten. Teilweise entstand der Eindruck der Unei­nig­keit zwischen den Verant­wort­li­chen – darüber, von welcher gemein­samen Vision einzelne Filme ange­trieben wurden.
Das ist, was wir beob­achtet haben, und das reicht uns so nicht.
Ein Film, der ausge­zeichnet wird, muss nicht makellos sein.
Er muss uns jedoch grund­le­gend begeis­tern und in die Zukunft weisen.
Keiner der Filme hat dies für uns in ausrei­chender Weise getan.
Aus diesem Grund hat sich die Studen­ten­jury mehr­heit­lich dazu entschieden, dieses Jahr keinen Preis zu vergeben.
Uns trieb nicht Unei­nig­keit zu dieser Entschei­dung. Vielmehr war es die Erkenntnis, dass nicht ein einziger Film auch nur ein einziges Jury­mit­glied wirklich zu begeis­tern vermochte.«

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Bravo! Bravo erst recht für die schla­genden Bemer­kungen: »Wir sind überzeugt, dass Fernsehen mehr kann und mehr muss. Nicht nur Filme, auch Preise haben eine Verant­wor­tung.«

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Wann gibt es eigent­lich endlich einen »Me Too«-Hashtag für Ästhetik? Wann erzählen »Kreative« öffent­lich und massen­haft davon, wie ihre Krea­ti­vität von Funk­ti­onären und Drama­turgen erstickt wurde? Fehlt der Mut? Oder sind wir alle glücklich? Solange es wichtiger ist, wenn Harvey Weinstein mit einem Duschen gehen will, als wenn ein Fern­seh­re­dak­teur oder Förde­rungs-Söldner einem das Drehbuch massa­kriert, liegen die Prio­ri­täten falsch.
Viel­leicht muss man das aber gar nicht aufrechnen. Viel­leicht genügt es zu sagen, dass Ästhetik nicht weniger wichtig ist, als der Rest, und dass es mich irritiert, dass künst­le­ri­sche Inte­grität den Künstlern hier­zu­lande immer vergleichs­weise unwichtig zu sein scheint.

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»Die Studie­renden Ihrer Hoch­schule für Fernsehen und Film München« richteten soeben einen offenen Brief an die CSU, bzw die baye­ri­sche Staats­re­gie­rung, der »Für einen starken öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk« eintritt, und den Verant­wort­li­chen eine klare Mängel­liste vorhält.
Der Brief ist leider für mich gerade einst­weilen nur beim »Blick­punkt Film« nach­zu­lesen, insofern kann ich für die Rich­tig­keit der Zitate in diesem Fall nicht verbürgen.

»Sehr geehrter Herr Minis­ter­prä­si­dent Seehofer, sehr geehrter Herr Staats­mi­nister Dr. Spaenle, sehr geehrte Frau Staats­mi­nis­terin Aigner,« schreiben die Studis »mit großer Sorge«.
Sie rekur­rieren auf den »Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag und die damit lauter werdenden Stimmen nun auch im Parlament, den öffent­lich-recht­li­chen Rundfunk zu schwächen oder gar abzu­schaffen.« Da genügte es zwar auch, die FAZ und andere soge­nannte »Quali­täts­me­dien« zu konsul­tieren, aber die Grundidee stimmt natürlich:

»Wir erkennen ... durchaus, dass die öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­an­stalten seit jeher die mit Abstand wich­tigsten Partner für die deutschen Film­hoch­schulen und damit den gesamten deutschen Film- und Fern­seh­nach­wuchs waren und sind.«
Dann werden Pres­ti­ge­filme aufge­listet, »Filme ..., die mit Oscars oder anderen bedeu­tenden Preisen bedacht wurden und den Studie­renden den erfolg­rei­chen Eintritt in die Branche ermög­licht haben«, um die Politiker zu beein­dru­cken, die »Strahl­kraft des Baye­ri­schen Rundfunks«

Dann kommt die Substanz: »immer kleiner werdende Budget­töpfe«, auch durch die Nicht­bayern, die im Bayern-Reservat wildern, »deutliche Reduk­tionen in der Anzahl und Ausstat­tung von Produk­tionen«, die »beim BR besonders drama­tisch zu sein« scheinen. Die »ohnehin bereits enorm einge­schränkte Nach­wuchs­för­de­rung« werde »de facto abge­schafft.« Die Folgen der allge­meinen Spar­maß­nahmen führen zur Reduktion der BR-Betei­li­gungen im Nach­wuchs­be­reich um etwa 70%!

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»Der Film- und Fern­seh­nach­wuchs generell, aber auch speziell in Bayern, braucht daher die Unter­s­tüt­zung der Politik, damit die sehr hoch­wer­tige und kost­spie­lige Ausbil­dung moti­vierter und kreativer junger Leute an der HFF in Zukunft nicht ins Leere läuft. ...
Es ist unserer Ansicht nach auch die Aufgabe der Politik und eines starken öffent­lich-recht­li­chen Rundfunks, den aktuellen Entwick­lungen entge­gen­zu­wirken und sicher­zu­stellen, dass das öffent­lich-recht­liche Fernsehen aufgrund seiner Finan­zie­rung über Rund­funk­bei­träge Frei­heiten haben soll und muss, wie es rein markt­wirt­schaft­lich operie­rende Unter­nehmen sich nicht immer erlauben können. Dabei geht es nicht nur darum, kultu­relle Minder­heiten zu reprä­sen­tieren, sondern auch und vor allem darum, dem noch nicht etablierten Nachwuchs Chancen und Möglich­keiten für seine Entfal­tung zu geben, die den künst­le­risch-kreativen und wirt­schaft­li­chen Standort auch in Zukunft erfolg­reich prägen sollen.
Die öffent­lich-recht­li­chen Sender werden immer wieder für ihr angeblich wenig origi­nelles und auf ein älteres Publikum ausge­rich­tetes Programm kriti­siert. Wir erkennen die Bemühungen der öffent­lich-recht­li­chen Anstalten, ihre Programme zu refor­mieren und zu moder­ni­sieren. Zeit­ge­mäßes, hoch­wer­tiges und mutiges filmi­sches Erzählen kostet aber Geld!
...
Eine viel­fäl­tige und florie­rende Kultur­land­schaft ist kein Luxus, sie ist ein Bürger­recht und einer der großen Werte unserer west­li­chen Welt. Und gerade Bayern zeigt vorbild­haft, wie hoch­wer­tige kultu­relle Inhalte und wirt­schaft­liche Erfolge vereinbar sind.
Eine rück­wärts­ge­wandte und kultur­feind­liche Politik darf in einem Land wie Deutsch­land, gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte, keinen Nährboden haben. Die Diskus­sion über Rund­funk­bei­träge sollte die zu schüt­zenden Grund­werte dieses Systems nicht in Frage stellen und daher keines­falls den kurz­sich­tigen und popu­lis­ti­schen Kräften über­lassen werden.«

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Alles richtig. Einziges Problem: Die Studenten »bitten«, sie fordern nicht. Sie treten nicht als Staats­bürger auf, die die Dienst­herren des Minis­ter­prä­si­denten und seiner Staats­re­gie­rung sind, sondern als Unter­tanen. Wie immer.
Sie glauben allen Ernstes, dass sie mit Floskeln, die groß­kop­ferten Provinzler beein­dru­cken könnten: »Vorreiter und Trieb­feder ... für eine bedeu­tende und viel­fäl­tige Film- und Fern­seh­land­schaft.« Mensch, ihr Säckel! Das würde der Söder nicht anders sagen.
Was werden die Studenten tun, wenn ihnen seine Majestät abschlä­gige Bescheide ausstellt?

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»In einer Welt, in der die bewährten Finan­zie­rungs­struk­turen Abnut­zungs­er­schei­nungen aufweisen, jedoch nach wie vor die Arbeits­rea­lität der produ­zen­ti­schen Tätigkeit bestimmen und gleich­zeitig neue Modelle und Player viel­sei­tige Möglich­keiten bieten, ist die Stärkung der Position der unab­hän­gigen Produ­zenten eine essen­zi­elle Notwen­dig­keit, um Inno­va­tion, Qualität und Vielfalt der deutschen und europäi­schen Film­land­schaft zu garan­tieren.«
Hammer ey! Das ist nicht der neue Toco­tronic-Song, sondern ein Satz aus den »Leit­li­nien« des »Verband Deutscher Film­pro­du­zenten« (VDFP), vulgo »Altpro­du­zen­ten­ver­bands«, de facto der Jungen Unab­hän­gigen der deutschen Produ­zen­ten­szene. Ist schon lustig, dass die jetzt die in der Branche mehr als umstrit­tenen »Leit­li­nien« der FFA durch eigene Leit­li­nien kontern.
Viel­leicht ein listiger Schachzug. Kurz vor Weih­nachten traf sich der VDFP jeden­falls in Köln, und verab­schie­dete ein Papier.

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Was wirklich darin­steht, ist Folgendes:

– Die bewährten Finan­zie­rungs­struk­turen haben Abnut­zungs­er­schei­nungen.
– Eine viel­fäl­tige Film­land­schaft ist notwendig.
– Neben den unab­hän­gigen Produ­zenten gibt es auch abhängige Produ­zenten.
– Unab­hän­gige Produ­zenten tragen das Haupt­ri­siko, sind aber die letzten in der Verwer­tungs­kette
– Risiken müssen flexibler und gerechter verteilt werden.

- Der VDFP will ange­mes­sene Verwer­tungs­fenster, einen klaren Platz für Kino und den Nachwuchs sowie
– Quoten für nationale Produk­tionen,
– Quoten für europäi­sche Produk­tionen.
– Der VDFP ist bereit, »neuen Verwer­tern« – sprich: Strea­ming­diensten – Raum zu geben.

- Harmo­ni­sie­rungs­be­stre­bungen innerhalb der EU sind gut, müssen aber so orga­ni­siert werden, dass auch unab­hän­gige Produ­zenten weiterhin etwas verdienen können.
– Auch in einem vergleichs­weise potenten Kinomarkt wie dem deutschen kann man Filme nicht finan­zieren.
– Daher braucht man Subven­tionen in Form von Film­för­de­rung.
– Stoff­ent­wick­lung ist besonders riskant. Dafür wollen die Produ­zenten mehr Geld bzw. Absi­che­rung.
– Scheitern von Stoff­ent­wick­lung ist bran­chen­üb­lich.

– Derzeit können Produ­zenten mit Film nicht genug verdienen.
– Die Verleiher verdienen derzeit zu viel, die Produ­zenten zu wenig.

– Öffent­lich-recht­liche Sender haben immer weniger Geld für Kinofilme. Darum funk­tio­niert das an Sender gekop­pelte Förder­mo­dell nicht länger.
Sender sollten daher nicht länger die ersten Entscheider für einen Kinofilm sein.
– Die öffent­lich-recht­li­chen Sender enga­gieren sich zu wenig für quali­tativ hoch­wer­tige Filme.
– Das öffent­lich-recht­liche Fernsehen in Deutsch­land läuft Gefahr, seinen Kultur- und Bildungs­auf­trag zu vernach­läs­sigen.

– Film­för­de­rung darf nicht länger an Sender­be­tei­li­gung gekoppelt werden.
– Die Parti­ku­lar­in­ter­essen der Länder schaden den Inter­essen des natio­nalen Film­marktes.
– Das System der Länder­för­de­rung macht Filme unnötig teuer.
– Die Posten der Geschäfts­führer und Inten­danten und Gremien der Film­för­de­rung sollten zeitlich begrenzt werden.
– Gremien sollten deutlich verschlankt werden.
– Gremien sollten nicht länger abhängig besetzt werden.
– Gremien sollten deutlich verschlankt werden.

– Die angeb­liche »Film­schwemme« ist nicht das eigent­liche Problem.
– Wir brauchen Struk­turen, die das Neue nicht nur zulassen, sondern aktiv suchen.

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Im Prinzip fordert dieses Papier somit eine komplette Revo­lu­tion der derzei­tigen Verhält­nisse. Es sagt nur keiner. Will man nicht, oder weiß man nicht, wie?
Oder fehlt der Mut zu kämpfen?
Zudem taugt das Papier nicht zum Manifest. Es ist ein wenig lang geraten und hätte einen guten Redakteur vertragen: Die Sätze sind zu lang, und in der Aussage zu unklar, zu wischi­wa­schi, zu wenig zitier­fähig.
Wir haben es trotzdem versucht.
Und wenn es im nächsten Jahr noch jemanden gibt, der auch freien Jour­na­listen Pres­se­mel­dungen schickt, dann werden wir uns – verspro­chen – ganz viel Mühe geben, die Belange unab­hän­giger Produ­zenten zu stärken

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Fazit: Bei so hasen­füßigen Etablierten und so schüch­ternem Nachwuchs bleibt wenig Hoffnung. Außer der, dass die Verhält­nisse ohne Zutun aller Salon-Revo­luzzer implo­dieren und von selbst den tatsäch­li­chen Umsturz des Beste­henden erzwingen.

(to be continued)