18.05.2018
Cinema Moralia – Folge 176

Cameron Bailey soll neuer Berlinale-Direktor werden?

Zukunft der Berlinale
Wird Cameron Bailey »es«?

Entscheidungen bei der Berlinale: Doppelspitze und noch ein Brite in Berlin. Aber wer wird die zweite Säule der Doppelspitze? Auch Christoph Terhechte geht – nach Marrakesch? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 176. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Wir sitzen noch an der Croisette, bei fast berli­na­le­hafter Kälte, freuen uns, weiterhin ausge­zeich­nete Filme zu sehen – da über­schlagen sich die Nach­richten aus Berlin.
Gerade erst wurden wir gestern Mittag in einer offi­zi­ellen Pres­se­mit­tei­lung des Arsenal darüber infor­miert, dass Christoph Terhechte die Leitung des Forums recht über­ra­schend bereits im Juni diesen Jahres verlässt, da bekamen wir aus Deutsch­land noch weitere, weitaus wich­ti­gere Nach­richten: Sie bestä­tigen sehr glaub­würdig jene Infor­ma­tionen, die an den Café-Tischen in Cannes bereits während der letzten Tage die Runde machten: Danach hat sich die Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters in der vakanten Frage der Zukunft der Berlinale-Leitung nun entschieden. Offenbar soll die bisherige Leitungs­struktur derart verändert werden, dass die Berlinale in Zukunft von einer Doppel­spitze geführt werden wird.
Und die eine Hälfte dieser Doppel­spitze steht allem Anschein nach fest: Cameron Bailey soll neuer Berlinale-Direktor werden! Bislang war Bailey der künst­le­ri­sche Leiter des Film­fes­ti­vals von Toronto (TIFF). Erst Mitte April war gemeldet worden, dass Bailey das TIFF, für das er bereits seit 2008 arbeitet, in Zukunft als Co-Direktor führen werde. Aber wir wissen ja vom Fußball, dass Verträge manchmal nur deswegen verlän­gert werden, um die Ablö­se­summe hoch­zu­treiben.
Bailey ist geborener Brite, seine Eltern stammen aus Barbados. Als Bailey acht Jahre alt war, zog die Familie nach Kanada. Insofern wäre es zu ober­fläch­lich, die Entschei­dung für ihn nur darauf zurück­zu­führen, dass die Berliner Kultur­po­litik offen­kundig eine besondere Neigung für Groß­bri­tan­nien hat.

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Die Entschei­dung für Bailey ist in vieler Hinsicht eine positive und spannende Über­ra­schung: Zum einen, weil der Brite es verstanden hat, das Amerika-lastige TIFF inter­na­tional breiter aufzu­stellen, und den einseitig kommer­zi­ellen und indus­triehö­rigen Ort Toronto auch künst­le­risch aufzu­werten, indem er quali­tät­volle Filme von anderen Festivals abwarb.
Das ästhe­ti­sche Profil, die Lust, das Kino jenseits von Hollywood-Drama­turgie, Euro­pud­ding und TV-Ästhe­tiken wieder sichtbar zu machen oder es überhaupt erst zu entdecken und zu Hollywood Alter­na­tiven zu formu­lieren – all dies wird von einem neuen Berlinale-Chef aber im Gegensatz zu Toronto unbedingt erwartet.
Die Entschei­dung für den neuen Berlinale-Chef ist auch deshalb sehr erfreu­lich, weil es damit tatsäch­lich eine Entschei­dung jenseits der provin­zi­ellen deutschen Bran­chen­netz­werke geworden ist: Keine Nachfolge aus dem Bereich der deutschen Förderung, der Sender, der Verbände, der Film­kritik. Sondern ein Ausländer, der im Verhältnis zu den einge­schlif­fenen Verfah­rens­weisen in Deutsch­land auch ein Außen­seiter ist, der frischen Wind bringen wird, der nicht weiß »wie man etwas zu machen hat«, wer »wichtig« ist, oder »mit wem man sprechen muss« im deutschen Filmsumpf, der zugleich eine inter­na­tional bekannte und Persön­lich­keit ist – aber natürlich nicht undi­plo­ma­tisch und unge­schickt.
Mit dem Fall Chris Dercon über den man ähnliche Sätze formu­lieren konnte, bevor er an der Volks­bühne krachend schei­terte, kann man Baileys voraus­sicht­liche Berufung trotzdem nicht verglei­chen – schon deswegen, weil die Berlinale nicht wie die Volks­bühne eine unver­gleich­liche Tradition hat, und weil sie weitaus weniger funk­tio­niert. Die Berlinale braucht in Zukunft eine klare Umori­en­tie­rung gegenüber den letzten 15 Jahren.
Am ehesten wird Bailey in Berlin dem Verdacht entge­gen­wirken müssen, zu indus­triehörig und zu angelsäch­sisch orien­tiert zu sein.

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Eine offi­zi­elle Bestä­ti­gung dieser Nachricht steht noch aus. Erst Anfang Juni sollen nach jetzigem Stand die Ergeb­nisse dem Berlinale-Aufsichtsrat vorgelegt werden. Es ist aller­dings zu erwarten, dass er den »Empfeh­lungen« der Staats­mi­nis­terin folgen wird.
Dann wissen wir, wie gut unsere Infor­manten wirklich waren.

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Aber wer wird jetzt der zweite Teil der Doppel­spitze? Speku­liert wird über eine Fülle weiterer Persön­lich­keiten, vor allem aus Deutsch­land, und unter Berück­sich­ti­gung des ange­nom­menen wesent­li­chen äußeren Krite­riums: Es müsse ein Frau werden. Übrig bleiben zwei Namen. Maria Köpf, so heißt es von verschie­dener Seite, könnte von ihrer Position als Hamburger Förder­chefin wieder nach Berlin wechseln, wo sie viele Jahre bereits als Produ­zentin für X-Filme und Zentropa arbeitete.
Wahr­schein­li­cher aller­dings ist der Ernennung von Bettina Reitz. Reitz selbst hat sich zu diesen Speku­la­tionen, die es bereits seit über einem Jahr gibt, immer nur klug abwie­gelnd geäußert. Sie hat ihr Interesse aller­dings auch nie dezidiert ausge­schlossen. In Cannes fiel bei verschie­denen Gele­gen­heiten auf, wie präsent sie war: Inter­views gebend, sich zeigend und, wie ein Regisseur fand, »Hof haltend wie die Königin von Saaba«. Da fiel noch mehr auf, dass die Kultur­staats­mi­nis­terin in diesem Jahr nicht nach Cannes gekommen war – sie hatte den Deutschen Katho­li­kentag vorge­zogen, und damit auch die Gele­gen­heit verpasst, noch einmal am Beispiel von Cannes zu lernen, wie ein wirklich gut aufge­stelltes Festival funk­tio­niert und sich präsen­tiert.

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Wie soll eine solche Doppel­spitze aber überhaupt zusam­men­ar­beiten? Dazu werden sich in den nächsten Monaten noch viele Nach­fragen stellen. Man könnte auch einfach von der Macht­frage sprechen. Zuge­spitzt formu­liert: Nehmen wir einmal an, es gäbe die Über­le­gung, die Berlinale wieder auf ihren früheren Zeitpunkt, den Sommer zu verlegen – wer könnte solche Entschei­dungen treffen, wenn sich beide nicht sowieso einig sind? Möchte die Kultur­staats­mi­nis­terin dann das letzte Wort haben – »divide et impera«?
Zustän­dig­keiten wie Film­aus­wahl und Spon­so­ren­ge­win­nung kann man aufteilen, grund­sätz­liche Stra­te­gie­ent­schei­dungen aber nicht.

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Mit diesen neuen Nach­richten zerschlagen sich auch einige andere Über­le­gungen der letzten Wochen: Grütters sei nicht fündig geworden, es werde nun wieder »an eine interne Lösung« gedacht, hatte »Screen« erst kürzlich geschrieben und zugleich neue Namen ins Kandi­da­ten­ka­rus­sell geworfen: Torsten Neumann etwa, den bewährten Leiter des Film­fes­ti­vals Oldenburg, der dort seit Jahren einen hervor­ra­genden Job macht.

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Jetzt haben sich die Hoff­nungen mancher Mitar­beiter des abtre­tenden Direktors Kosslick zerschlagen. Die ersten Matrosen verlassen das Berlinale-Schiff: Christoph Terhechte, seit 18 Jahren Leiter des »Inter­na­tio­nalen Forums des Jungen Films«, und seit 1997 Mitglied im Forum-Auswahl­ko­mitee, seit 2002 zudem Mitglied im Auswahl­ko­mitee des Wett­be­werbs der Berlinale, gibt zum Juni 2018 die Forums-Leitung ab. Dazu hieß es, »Christoph Terhechte möchte sich nun neuen beruf­li­chen Aufgaben stellen.« Diese Aufgaben findet er dem Vernehmen nach in Marokko, wo Terhechte neuer Leiter des Film­fes­ti­vals von Marra­kesch werden soll.
Bereits im letzten Jahr war Wieland Speck, der Leiter des Panorama, der seit Anfang der 90 Jahre der Sektion vorstand, von seiner Position zurück­ge­treten – auf einem Bera­ter­posten zu bleiben, dazu hatte ihn Kosslick erst mühsam und mit sanftem Druck überreden müssen.
Aber auch andere Posi­tionen in der höheren Berlinale-Hier­ar­chie sind nach dieser Nachricht keines­wegs mehr sicher. Was wird unter einer neuen Leitungs­struktur zum Beispiel aus Frauke Greiner, die der Berlinale-Pres­se­ab­tei­lung bereits seit den letzten Jahren von Kosslick-Vorgänger Moritz de Hadeln vorsteht?

(to be continued)