17.06.2021
Kinos in München – Arena

Einladung zur Zeitreise

Arena
Gemütlich und elegant: der reno­vierte Kino-Saal, mit Kino­be­treiber Christian Pfeil
(Foto: artechock)


Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von Strea­ming­diensten und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

In der langen Kinopause wurde das Arena im Münchner Glockenbachviertel noch einmal neu gedacht und taucht jetzt mit vielen Details atmosphärisch in die Ära des Art Déco ein – eine Ortsbegehung

Von Dunja Bialas

Obwohl endlich der Sommer ange­fangen hat, zieht es mich an diesem strah­lenden Diens­tag­morgen nicht vor die Tür. Mit Christian Pfeil, einem der beiden Kino­be­treiber des Arena im Münchner Glocken­bach­viertel, sitze ich im Kinosaal. Das Licht ist an, die Leinwand ist weiß. Da läuft gerade kein Film, und doch geht ein ganz anderer Film ab, irgend­einer zwischen Zurück in die Zukunft, Midnight In Paris, Die schönste Zeit unseres Lebens oder Hugo Cabret. Das Vehikel dieser Zeitreise ist der frisch reno­vierte große Kinosaal des Arena. Wie ein Art-Déco-Interieur-Schmuck­käst­chen wirkt er, elegant und aufregend, wie einst, als man Filme als bewusst­seins­er­wei­ternde Trans­port­mittel in imaginäre Welten ganz neu entdeckte.

Über die Wände des Saals spannt sich in kleine Falten geworfen ein tauben­grauer Stoff. Auf anstei­genden Stufen reihen sich mit rotem Samt über­zo­gene Pols­ter­klapps­tühle. Ganz hinten im Saal findet sich eine kleine Garderobe für Klei­dungs­stücke, die man gerne loswerden will, und eine durch­ge­zo­gene Pols­ter­bank. Vorne spannt sich die Leinwand über die ganze Breite des Saals, einge­rahmt von feinem Intar­si­en­holz. Darunter: eine Rosette, aufge­fächert aus dem Stoff der Wand­ver­klei­dung. Alles wirkt ruhig, elegant, im Stuhl sitzt man weich, aber aufrecht. Hier will man sich benehmen, hier erwartet man hohe Filmkunst. Mindes­tens Metro­polis.

»Hinter der Verklei­dung unter der Leinwand verbirgt sich der Subwoofer«, holt mich Christian Pfeil in die schnöde Gegenwart der Technik zurück. Er weist auf die funk­tio­nalen Notaus­gang-Hebel hin, und auf die leider in Silber­blech und nicht in Messing ange­lie­ferten Sitz­num­mern. Nichts ist perfekt, will er mir sagen, viel­leicht auch: der Teufel steckt im Detail. Eigent­lich gibt es im Jahr 1912, als das Arena im Zuge des ersten großen Kinobooms in München öffnete, auch keine anstei­genden Kinosäle, alles war ebenerdig. Die Stufen hat er eingebaut, damit man anders als früher »von jedem Platz aus gut sieht«.

Im Kino, nicht im Fitness­studio

Ich mache die Probe. Die ersten beiden Reihen warten mit leicht nach hinten geneigten Rücken­lehnen auf. Kein Grund also, für den Blick auf die Leinwand eine starke Nacken­mus­ku­latur haben zu müssen. Der Sitz­rei­hen­ab­stand wurde auf bis zu 1,30 Meter erhöht, was Bein­kom­fort bietet. Man sieht nicht nur auf die große Leinwand, sondern auch auf die Holz­lehnen der Vorder­sitze, die aus gebeizter Buche gefertigt wurden. Pfeil und sein Compagnon Markus Eisele, die zusammen die Firma »Unser Kino« mit etlichen Kinos an unter­schied­li­chen Stand­orten führen, haben zwar das Kinorot für die Bezüge gewählt, aber tunlichst darauf verzichtet, die Sessel von der Stange zu bestellen. Schmale Holz­arm­lehnen, wie man sie in München bislang nur aus dem Theatiner kannte, reichen ihnen aus, auch kann man in den Stühlen einfach nur sitzen, ohne immer seine Bauch­mus­keln anspannen zu müssen, damit die mobile Rücken­lehne, die jetzt neuer­dings im Kino in Mode gekommen ist, in Position bleibt. Die Folge davon: dauerndes Sit-up statt unge­störtem Film­ge­nuss.

Das Sitzen im Arena-Schmuck­s­tück­chen verspricht dagegen konzen­trierte Aufmerk­sam­keit, umso mehr, als es in den Kinos von Pfeil und Eisele (in München betreiben sie außerdem bislang noch das Monopol), kein Popcorn gibt. »Kino ist eine Kultur­s­tätte, das wollten wir mit diesem Umbau ausdrü­cken«, sagt Pfeil. Und: »Wir haben uns bei den Stühlen am Theater orien­tiert.«

Die Zukunft des Kinos hat begonnen

So ganz geheuer scheint ihm die neue Anmutung des Kinos noch nicht zu sein, sonst hätte er bei Beginn der Begehung nicht behutsam vor »ein ganz klein wenig Kitsch« gewarnt. Vorzu­finden ist in allen Details reines Art Déco, so hätte man das Kino in den 20er Jahren renoviert, wenn man das Geld gehabt hätte. Sogar Bake­litsteck­dosen hat Pfeil noch auf Verlangen des Raum­ge­stal­ters Christian Schaberl besorgt. Die Liebe zum Kino steckt hier wahrlich in jedem Detail: ein geschwun­gener Handgriff zum Erklimmen der Stufen, dezente Boden­be­leuch­tung, für die Griffe von Bieder­meier-Kommoden zu kleinen Lampen­schirmen umfunk­tio­niert wurden. Sogar das dezent schim­mernde Notaus­gangs­schild wurde mit Messing einge­fasst. Geschwun­genes Nuss­baum­holz rahmt die Leinwand und setzt sich an den Wänden als Gestal­tungs­mittel fort. Alles wirkt hoch­wertig, alles ist große Hand­werks­kunst. Vermut­lich wie es damals gewesen wäre.

Zuletzt hatten Pfeil und Eisele das Arena 2006 umgebaut, als sie das Kino von den damaligen Betrei­bern Christoph Ott und Joseph Vilsmaier über­nahmen. Damals hatte das Arena noch, wie alle hundert­jäh­rigen Kinos, nur einen Saal. Pfeil und Eisele, die im Monopol schon auf mehrere Säle gesetzt hatten, um die Program­mie­rung zu erleich­tern, zogen kurzer­hand noch eine Wand ein. Als Relikt blieb damals eine mit Palmen bemus­terte schwarze Tapete übrig, die sich vormals um die Leinwand gerankt hatte. (Mehr dazu steht in unserem Kino­por­trait von 2012.)

Und nun, mitten in der allent­halben beschrie­benen Kinokrise dieser neuer­liche, detail­ver­ses­sene Umbau. Möglich war das, sagt Pfeil, allein durch das »Zukunfts­pro­gramm Kino« des Bundes (BKM), die für die Kino­reno­vie­rungen 80 Prozent als echten Zuschuss beisteuert. (Wir berich­teten.)

Das Zukunfts­pro­gramm hatte es bereits gegeben, wurde aber unter dem Eindruck von Corona stark erweitert. Der Zuschuss­an­teil wurde verdop­pelt, neben Kinos in der Fläche (d.h. auf dem Land) waren nun auch Licht­spiel­häuser in größeren Städten antrags­be­rech­tigt. Mit Eigen­ka­pital und weiteren Dritt­mit­teln kamen am Ende 150.000 Euro für die Reno­vie­rung zusammen, erzählt Pfeil. So war es möglich, sich nicht mit Flickwerk – dort ein neuer Sessel­bezug, hier eine Aufpols­te­rung, dort eine neue Wand­be­span­nung – aufzu­halten, sondern endlich mal das große Ganze anzugehen. Dazu gehörte auch der Einbau einer potenten Entlüf­tungs­an­lage, aber vor allem: den Saal von Grund auf neu zu denken.

Die Welt als Kino und Vorstel­lung

Für den gestal­te­ri­schen Wurf, der unmit­telbar zur Zeitreise in die 1920er Jahre einlädt, ist Raum­ge­stalter und Szenen­bauer Christian Schaberl verant­wort­lich. Während wir im Kinosaal sitzen, schleift er im Foyer noch das Parkett ab. Ein neuer Tresen kommt her, zwei Wochen vor Wiede­r­eröff­nung hat man sich dazu entschlossen, gemäß dem Motto: Wenn das eine erneuert wird, stinkt das andere ab.

Schaberl erzählt mir von seiner Innenraum-Philo­so­phie, aber erst erwähnt er, die Schleif­ma­schine in der Hand, dass er auch zwei Splat­ter­filme ausge­stattet hat. »Für mich ist das alles hier ein Film«, sagt er und zeigt um sich. »Wir müssten alles so gestalten, als wäre es ein Set von einem Film – unserem Film! Den werden wir am längsten sehen. Das Arena ist eines der ältesten Kinos. Wenn man hier­her­kommt, will man in einen Saal gehen, der uns in diese Zeit zurück­bringt. Das ist mein Set, das ich für das Drehbuch eines Kino­gän­gers entworfen habe, der hierher kommt.«

Den »hinge­schmis­senen 60er-Jahre-Charakter« des Foyers, wie er begeis­tert sagt, will er unbedingt erhalten. Die Stoff­be­span­nung der Wand wirft sichtbare Falten, die sich ein Wiene­ri­sches »Mei, ist des schön« verdient hätten. Sagt der Raum­aus­statter, der auch schon das legendäre Atomic Café mitge­staltet hat.

Wenn man derart in Reno­vier­laune ist, sollte dann nicht auch noch der kleine Saal dran­kommen? Christian Pfeil präzi­siert: Mit dem Umbau sind die Unter­schiede zwischen den Sälen geschrumpft, zehn Sitz­plätze habe er geopfert, damit der große Saal sich erneuern konnte. »Das ist eine Menge bei einem Saal dieser Größen­ord­nung und unserer hohen Auslas­tung.« 50 Plätze hat jetzt der »große«, 40 der kleinere. Weshalb man die Säle bei Andrang auch nicht mehr tauschen werde. Im ehemals kleinen Saal haben sich Pfeil und Eisele am Credo der Multi­plexe orien­tiert. Die Leinwand ist hier sogar größer als im Art-Déco-Saal, weil der Raum breiter ist, und Pfeil und Eisele der Leinwand stets die größt­mög­liche Spanne geben. Nach mehr­fa­chem Umbau und Opti­mie­rung, nicht zuletzt durch die Einrich­tung einer Unisex-Toilette, mit der drei Quadrat­meter gewonnen wurden, gleicht der kleine Saal jetzt einem »gut orga­ni­sierten Multiplex«, findet Pfeil. Für die erste Reihe gibt es Fußschemel, damit man es sich gemütlich machen kann – und in den Sitzen etwas tiefer rutscht, für dieje­nigen, die hinter einem sitzen.

Coming soon: Rio Film­pa­last!

Von nun an können die Menschen, die in das älteste Kino im Glocken­bach­viertel kommen, also nicht nur zwischen den Must-See-Arthouse-Filmen wählen, die Thea­ter­leiter Kilian Plank ausge­wählt hat, sondern müssen sich zusätz­lich zwischen New Art Déco und funk­tio­naler Über­mo­derne entscheiden. Garan­tiert ist in beiden Sälen beste Sicht und 4K-Projek­tion. Christian Pfeil und Markus Eisele wollen es den Film­be­geis­terten leicht­ma­chen, ihre Kinos möglichst oft zu besuchen. Neben verschie­denen Eintritts­preisen, die unter anderem für U21 nur 5 Euro vorsehen, gibt es auch die monat­liche Kino­flat­rate für 20 Euro, die in allen Häusern von »Unser Kino« gilt.

Für »Heavy Users« ein echtes Schnäpp­chen, für alle anderen lohnt es sich schon bei zwei Besuchen im Monat. Über den Komfort und die Schau­werte des neuen Arena-Saals hinaus wird sich der Besuch ihrer Kinos künftig noch einmal mehr lohnen: Christian Pfeil und Markus Eisele werden ab dem 1. Juli ein weiteres altein­ge­ses­senes Münchner Licht­spiel­haus betreiben: den Rio Film­pa­last in Haid­hausen. Dazu mehr demnächst auf »artechock«.