27.01.2022
Cinema Moralia – Folge 264

Junker­land in Bauern­hand!

Wikipedia
Wir alle lieben Wikipedia! Wikipedia ist toll, oder?
(Foto: Wiki Commons, CC BY-SA 3.0)

Kann man Filme kostenlos ins Netz stellen und damit Geld verdienen? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 264. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Impfen schützt! Auch die Kultur.

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Was für eine Woche! Überhaupt – wie viele Film­men­schen in diesem Monat schon gestorben sind: Peter Bogd­a­no­vich und dann ausge­rechnet am gleichen Tag Sidney Poitier, so dass der ihn in den Schatten stellte und Bogd­a­no­vich einmal mehr nicht ange­messen gewürdigt wurde. Herbert Achtern­busch. Michel Subor. Und dann wieder quasi am gleichen Tag Hardy Krüger und der fran­zö­si­sche Schau­spieler Gabriel Ulliel. Nein, Ulliel war kein fran­zö­si­scher Hardy Krüger, aber er war ein junger, begabter, wichtiger Darsteller.

Das findet auch Jean Castex, der fran­zö­si­sche Premier­mi­nister.

»Gaspard Ulliel a grandi avec le cinéma et le cinéma a grandi avec lui. Ils s'aimaient éperd­ument.
C'est le cœur serré que nous reverrons désormais ses plus belles inter­pré­ta­tions et croi­se­rons ce certain regard.
Nous perdons un acteur français.«

So was twittert in Frank­reich ein Premier­mi­nister. Das ist groß.

Was hat Olaf Scholz zu Hardy Krüger getwit­tert? Oder wenigs­tens Claudia Roth? Natürlich wird von ihr die richtige poli­ti­sche Einstel­lung Krügers gelobt: »bewun­derns­wertes Enga­ge­ment gegen Rechts­extre­mismus«. Aber Kino? Fehl­an­zeige.
Jesses! Weiß Roth nicht, wie Pathos geht? Pathos hat aber etwas mit Liebe zu tun. Siehe die Franzosen. Wir dagegen lieben unser Kino nicht, sondern nehmen es in Kauf.

Nur Hamburgs Kultur­se­nator Carsten Brosda, der beinahe auf Roths Stuhl säße, lobt Krüger auch als »eine der wich­tigsten Stimmen Nach­kriegs­deutsch­lands«.

Nächste Woche schreiben wir mehr über Krüger. Bis dahin die Frage an alle Leser: Welches waren eigent­lich seine schönsten und besten Filme?

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Wir alle lieben Wikipedia! Wikipedia ist toll, oder? Wer hat nicht schon mal gespendet für Wikipedia? Denn so etwas muss man doch unter­s­tützen. Die Frage ist nur, wofür man da spendet. Sie hat jetzt in einem hoch­in­ter­es­santen Text, ausge­rechnet in der FAZ, die nicht gerade berühmt für ihr kriti­sches Verhältnis zu Wirt­schafts­kon­zernen ist und auch nicht übermäßig bekannt für inves­ti­ga­tive Recherche, Gastautor David Bernet gestellt. Erstmals rückt er dort in einem Main­stream-Medium und nicht in einer Fach­zeit­schrift fürs breite Publikum die ökono­mi­schen Hinter­gründe der Lexikon-Betrei­ber­or­ga­ni­sa­tionen und die dazu­gehö­rige massive Lobby-Arbeit in den Fokus.

Denn was droht, ist die Kommer­zia­li­sie­rung von unkom­mer­zi­ellen Inhalten durch den globalen Konzern, der Wikipedia de facto längst ist. Tatsäch­lich finan­zieren Wikipedia-Spender, die öffent­li­ches Wissen und Gemein­wohl-Ideen unter­s­tützen wollen, vor allem die Lobby­ar­beit, die PR-Leute und die Haus­ju­risten eines Konzerns und deren tagtäg­liche Angriffe auf die Säulen des klas­si­schen Urhe­ber­rechts.

Bernet, ein in Berlin lebender Schweizer, ist Filme­ma­cher und im Vorstand des Doku­men­tar­film-Verbandes AG Dok. 2015 hat er den Film Democracy – Im Rausch der Daten gedreht, in dem es um die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung, und um den Kampf für infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung innerhalb der EU ging. Er ist also »drin« im Thema.

»Wikimedia perver­tiert das Gemein­wohl« schreibt Bernet und erklärt, das Wikipedia vor allem durch Spenden von Silicon Valley-Giganten finan­ziert wird: Google, Facebook, Apple. Das lohnt sich für sie, denn sie verdienen durch Traffic mit Inhalten aus Wikipedia sehr viel Geld. Das reicht dem Wikipedia-Konzern aber nun nicht mehr.

Bernets Thema ist die zuneh­mende direkte und auto­ma­ti­sche Kommer­zia­li­sie­rung von Wikipedia-Content. Zum Beispiel wenn Sprach­as­sis­tenten wie Siri oder Alexa »über Wikipedia auf Inhalte zugreifen«. Das oben beschrie­bene Spen­den­ge­schäft auf Gegen­sei­tig­keit würde damit in eine ordent­liche Geschäfts­be­zie­hung umge­wan­delt werden. Damit sich das Geschäft lohnt, müssen die Wikipedia-Inhalte möglichst kostenlos und rech­te­frei sein.

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»In diesem Zusam­men­hang ist auch die seit einigen Jahren anhal­tende intensive Lobby-Kampagne von Wikimedia Deutsch­land für soge­nannte 'freie Lizenzen' zu verstehen«, schreibt Bernet in der FAZ. Die gern verwen­dete Formel »Öffent­li­ches Geld = Öffent­li­ches Gut« sei »eine Vulga­ri­sie­rung des Gemein­wohl­ge­dan­kens, die den recht­li­chen Status von Gütern abwertet«, auch solchen, die ohne den Gedanken an ökono­mi­sche Auswer­tung produ­ziert wurden.

Bernet warnt, dass der Wikipedia-Kapi­ta­lismus hier von einer typischen Internet-Menta­lität profi­tiere, der »Verqui­ckung von liber­tärer Staats­ver­ach­tung und Kollek­ti­vismus-Idealen, die sich in diesem Fall recht schamlos hinter Gemein­wohl-Rhetorik und flim­mernden Fantasien vom 'freien Internet' versteckt.« Die briti­schen Sozio­logen Richard Barbrook und Andy Cameron haben diese Menta­lität und ihre Folgen bereits vor 25 Jahren klar­sichtig mit dem Schlag­wort »Kali­for­ni­sche Ideologie« beschrieben.

Bernet geht es klarer­weise vor allem um die Situation der Filme­ma­cher. Die Taktik der Wikipedia-Betrei­ber­or­ga­ni­sa­tionen und die dazu­gehö­rigen Propa­ganda-Feuer­werke mit ihrem Getöse von der »Befreiung« des Wissens verfangen auch in medi­en­po­li­ti­schen Kreisen in Deutsch­land und bei deutschen Filme­ma­chern. So kursieren unter dem Schlag­wort Docs for Democracy in der Szene gerade Vorschläge dafür, die Finan­zie­rung von Doku­men­tar­filmen auf komplett neue Grund­lagen zu stellen. Einst­weilen nur »in Ergänzung zum bestehenden öffent­lich-recht­li­chen Beauf­tra­gungs- und Lizenz­system«.

Man sollte diese Ideen nicht voreilig abtun. Im Gegenteil stoßen sie eine nützliche Debatte an. Die Initia­toren werden viele Fragen zu beant­worten haben und man sollte ihnen die Chance dazu geben. Die Gefahr ist aller­dings groß, mit dem lauwarmen Bad der zugegeben unzu­rei­chenden, oft schlechten Film­för­de­rung auch das Kind der Freiheit auszu­schütten und sich selbst im Creative-Commons-Kosmos zu preka­ri­sieren.

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Darum greift Bernet in seinem Text auch die öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­sender an, die im Gegensatz zur deutschen Film­branche über »creative commons«-Lizenzen einen schmut­zigen Pakt mit Wikimedia geschlossen haben: »Warum benötigt Wikimedia überhaupt CC-lizen­zierte öffent­lich-recht­liche Inhalte?« fragt er, »Wikimedia könnte auch ganz einfach eine Pauschal­li­zen­zie­rung mit den zustän­digen Verwer­tungs­ge­sell­schaften wie der VG Bild-Kunst abschließen. Genauso wie das Schulen, Univer­si­täten und Biblio­theken tun.«

Profes­sio­nelle Filmwerke, so Bernet weiter, »stellen immer Bünde­lungen von gesetz­lich garan­tierten Rechts­an­sprüchen für Drehbuch, Regie, Produk­tion, Kamera, Musik et cetera dar. Filme, die unter profes­sio­nellen Markt­be­din­gungen entstehen, eignen sich schlicht nicht für die verein­fachte Publi­ka­tion per Creative-Commons-Lizen­zie­rung.«

Bernet fordert den »inten­siven Dialog mit den Film­schaf­fenden« um »stabile recht­liche Grund­lagen und faire Markt­stan­dards« einzu­führen.

In der gegen­wär­tigen Lage ist das offenbar bereits zu viel.

(to be continued)