11.01.2024
Kinos in München – Die neuen Betreiber des Theatiner

Stabübergabe

Claire Schleeger und Bastian Hauser
Glücklich in »ihrem« Theatiner: Claire Schleeger und Bastian Hauser
(Foto: artechock)

Das Theatiner Filmtheater hat neue Betreiber. Wir stellen Claire Schleeger und Bastian Hauser vor – Portrait der Münchner Kinomacher, Teil 1

Von Dunja Bialas

Sie sind die neuen Gesichter der Theatiner Filmkunst: Claire Schleeger, 27, und Bastian Hauser, 38, betreiben seit dem 1. Januar 2024 das Kino unweit des Münchner Odeons­platzes. Als jüngste Kino­be­treiber der Stadt über­nehmen sie das Theatiner von Marlies Kirchner, der über neun­zig­jäh­rigen Grande Dame du Cinéma. Weil Schleeger und Hauser schon lange in dem Kino gear­beitet und es bei offi­zi­ellen Anlässen auch reprä­sen­tiert haben, hatten Beob­achter auf diesen Schritt gehofft und auch dass das Kino nicht in andere, weniger cinephile Hände gerate. Der Betreiber des ABC und der Leopold-Kinos Thomas Kuchen­reu­ther sagte einmal, in den beiden würde er sich und seine Frau sehen, in jungen Jahren, als sie mit dem Kino­ma­chen anfingen. Er schien da ganz verliebt in die zwei.

Auch Marlies Kircher mag sich mit den beiden an ihre eigenen Anfänge erinnert haben. Sie begann zunächst an der Seite ihres Mannes Walter Kirchner, der den gleich­na­migen Verleih führte, und fuhr mit ihm nach Cannes, wo sie für die Vertrags­ab­schlüsse dolmetschte. Ab 1958, ein Jahr nach der Kino-Eröffnung, betrieben sie zusammen das Theatiner. Marlies Kirchner leitete es ab 1976 in Eigen­ver­ant­wor­tung, bis zum 31. Dezember 2023. Und übergab dann an Claire Schleeger und Bastian Hauser. Diese treten nun ein kultu­relles Erbe an, das auch schwer auf ihnen lasten könnte. Groß ist die Bürde, die ihnen Marlies Kirchner überträgt: Sie wurde mit dem Ehren­bären der Berlinale ausge­zeichnet und mit dem Offiziers-Orden des fran­zö­si­schen Kultus­mi­nis­te­riums geehrt. Doch beim Treffen im Foyer »ihres« Theatiner wirken sie gelassen, opti­mis­tisch und ihrer neuen Aufgabe rundum gewachsen.

Hoch­kul­tu­relle Impulse

Denn: So neu ist die Aufgabe nicht, die jetzt auf sie zukommt, auch wenn natürlich die finan­zi­elle Verant­wor­tung in der Top-Innen­stadt-Lage eine ziemliche Heraus­for­de­rung sein muss. Bereits seit 2019 gestalten sie in Absprache mit Marlies Kirchner das Theatiner-Programm. Das inten­si­vierte sich in und nach den schwie­rigen Corona-Jahren. Bastian Hauser war der Ansprech­partner und radelte immer in die Privat­woh­nung von Marlies Kirchner, um mit ihr das Programm zu bespre­chen oder Finanzen zu klären; er arbeitet schon seit dreizehn Jahren im Theatiner. Begonnen hatte er als Vorführer am 35mm-Projektor und suchte sich nach der Digi­ta­li­sie­rung des Kinos (einen Projektor konnte er sichern) sukzes­sive neue Aufgaben. Dazu gehörte bald, E-Mails zu beant­worten und bei den Abre­chungen einzu­springen. So konnte er sich als zuver­läs­siger, gewis­sen­hafter und kennt­nis­rei­cher Mitar­beiter von Frau Kirchner etablieren.

Derglei­chen jedoch sagt er im Gespräch nicht. Bastian Hauser ist wie seine Partnerin Claire Schleeger zu höflich und zu zuvor­kom­mend, um sich selbst groß in den Mittel­punkt zu stellen. Die Kino­be­su­che­rinnen und -besucher kennen sie von zahl­rei­chen Veran­stal­tungen im Haus als galante und sich selbst zurück­neh­mende Gastgeber, sei es beim Empfang von fran­zö­si­schen Regie-Stars wie Chris­tophe Honoré oder Opern­sän­gern aus dem benach­barten Natio­nal­theater. Claire Schleeger trumpft – in aller Beschei­den­heit – dabei stets durch fran­zö­si­schen Vogue-Schick auf, sie trägt trotz ihrer jungen Jahre eine sehr klas­si­sche Eleganz, oft garniert von einer extra­va­ganten Kopf­be­de­ckung. Das mag sich ihrem ersten Standbein verdanken, das sie trotz der Kinoü­ber­nahme behält: Derzeit promo­viert sie bei der Roma­nistin und Mode­theo­re­ti­kerin Barbara Vinken zum Thema »Thea­ter­feind­lich­keit«. »Was thea­ter­feind­li­chen Bewe­gungen immer gemeinsam war, ist, dass sie dann oft sehr kino­freund­lich sind, deshalb passt das viel­leicht auch ganz gut zusammen«, sagt sie.

Thea­ter­feinde oder gar Feinde der Hoch­kultur jedoch sind Schleeger und Hauser nicht. Seitdem sie das Programm mitge­stalten, sind neue Impulse im Haus spürbar, die sich zahl­rei­chen Koope­ra­tionen auch mit hoch­kul­tu­rellen Insti­tu­tionen verdanken. Hervor­zu­heben sind die Staats­oper und das Thea­ter­mu­seum, sowie die Pina­ko­theken und die Gemäl­de­samm­lungen Münchens. Wichtig war hier der Kontakt zum Festival »Kino der Kunst« und dessen Leiter Heinz Peter Schwerfel, betont Hauser. Er hat viele Jahre für das Festival gear­beitet, beratend für die Kopi­en­be­schaf­fung und Technik. Claire Schleeger wiederum bringt Kontakte zur Ludwig-Maxi­mi­lians-Univer­sität mit; die letztes Jahr begonnene Koope­ra­tion mit dem Institut für Slawistik wird dieses Jahr fort­ge­führt. »Wir wollen das Theatiner als Kulturort in einem Netzwerk für Hoch­kultur etablieren«, erläutert Schleeger. Fast nebenbei bedeutet das ein neues und zunehmend jüngeres Publikum.

Gedan­ken­spiele

Kennen­ge­lernt haben sich Claire und Bastian beim U-Kino der LMU München. Nicht etwa als Besucher, sondern schon dort auf Veran­stal­ter­seite. Gemeinsam haben sie ein Programm kuratiert, das »möglichst viel­fältig und inter­na­tional« sein sollte, erinnert sich Schleeger. »Da haben wir sozusagen studen­tisch vorgeübt« – und Filme von 35mm gezeigt, ergänzt Hauser. Nach einiger Zeit ist Schleeger dann auch zum Theatiner gekommen und hat dort erst einmal an der Kasse gear­beitet. Bald hat auch sie weitere Aufgaben über­nommen, wie zum Beispiel die Pres­se­ar­beit oder den Instagram-Account.

Irgend­wann begann das Gedan­ken­spiel: Wie könnte es sich anfühlen, das Theatiner gemeinsam zu gestalten? Daraus entstand im Laufe der Jahre der anfäng­lich zaghafte, später immer stärker werdende Wunsch, das Kino von Marlies Kirchner zu über­nehmen. Und jetzt ist Claire Schleeger Co-Betrei­berin des Kinos, in dem sie schon als Heran­wach­sende ein und aus ging: Sie hat hier als Teenager das europäi­sche Kino kennen­ge­lernt und dabei Fremd­spra­chen­kennt­nisse vertieft. Bastian Hauser, der aus der anderen Isarstadt Landshut stammt, hat im legen­dären Kinop­tikum bei Roland Hartig seine Jugend verbracht. Beide bringen eine tiefe Leiden­schaft zum Kino mit, die sich in Kenntnis, Enga­ge­ment, aber auch Visionen übersetzt. Umso schöner, dass ihnen trotz einer kleinen Zitter­partie gegen Ende hin tatsäch­lich das Theatiner übergeben wurde. Wünsche gehen ja nicht immer in Erfüllung.

Bon Cinéma

Hier könnte dieses traum­hafte Kino-Märchen enden. Aber: Natürlich geht es erst jetzt richtig los. Als ersten Akt haben sie sich eine Rechts­form gegeben und die »BC Film­theater Betriebs-GmbH« gegründet. »BC steht für bon cinéma«, sagen sie geheim­nis­voll. In der GmbH sind sie weiterhin ange­stellt, wie andere der elf Mitar­beiter auch, die zu ihrer Freude alle bleiben wollen. Claire und Bastian über­nehmen wie bisher Dienste, dazu gehört auch der Ticket­ver­kauf an der Kasse und das Stapeln von Geträn­ke­kisten. Der ganz normale Kino­alltag eben.

Für den geschäfts­füh­renden Kino­be­trieb behalten sie die Auftei­lung, die sie schon in den letzten Jahre erprobt haben. Die Perso­nal­pla­nung und die Abrech­nungen bleiben bei Bastian Hauser, bei Claire Schleeger die Presse- und Öffent­lich­keits­ar­beit und das Verfassen von Texten. »Das Programm aber machen wir zusammen«, betont Hauser. Es ist das Herzstück ihrer Kino­ar­beit und überhaupt der Grund, weshalb sie, zwei Cinephile mit einem großen histo­ri­schen Interesse, zum Kino­ma­chen gekommen sind. So wollen sie auch das Theatiner in der Ausstat­tung genau so belassen, wie es ist. »Wir sind totale Fans vom Original-Fünf­zi­ger­jahre-Stil«, sagt Hauser, der denk­mal­ge­schützte Saal mit seinem beson­deren Charme werde nicht ange­tastet.

Fürs Programm haben sie sich vorge­nommen, das Kino für weitere Koope­ra­tionen und Festivals zu öffnen und auch vermehrt Gäste einzu­laden. Auch wollen sie das weibliche Film­schaffen mit Sonder­reihen und Klassiker in den Vorder­grund stellen und den 35mm-Projektor öfter einsetzen. Ein gutes Programm zu machen ist jedoch kein Selbst­läufer, betont Schleeger, die Film­reihen wollen intensiv beworben sein. Das Theatiner ist, trotz seiner 164 Sitz­plätze und der impo­santen inter­na­tio­nalen Bedeutung, die mit der Verlei­hung des »Cinema Europas Award« 2018 sozusagen amtlich wurde, mit nur einer Leinwand ein kleines Kino. »Die kleinen Arthouse-Kinos sind auf Förder­pro­gramme und Kino­pro­gramm­preise ange­wiesen«, betont Bastian Hauser. In München stelle sich die Situation aber vergleichs­weise günstig dar, weil das Kultur­re­ferat ein großes Augenmerk für die Kinos habe und viele Sonder­pro­gramme ermög­liche. Auch die Kultur­in­sti­tute seien für das Theatiner wichtige Partner.

Die neue Cine­philie

Sie sind schon ganz einge­fleischte Kino­be­treiber, wenn sie im Gespräch die Erleich­te­rung spüren lassen, dass im Januar, im ersten von ihnen verant­wor­teten Monat, einzelne Titel sehr gut gehen. Aus lang­jäh­riger Theatiner-Erfahrung wissen sie, dass auch Doku­men­tar­filme gut laufen. Dass sich das Fremd­spra­chen­kino seit der Digi­ta­li­sie­rung Origi­nal­ver­sionen mit anderen Kinos teilen müsse, habe sich als weniger schlecht heraus­ge­stellt, als anfangs befürchtet, teilweise bekäme ein Film dadurch sogar größere Strahl­kraft. »Nur Almódovar mit anderen Kinos zu teilen, war schmerz­haft«, gibt Hauser zu. Der Star des spani­schen Kinos hatte früher wochen­lang für ausver­kaufte Vorstel­lungen gesorgt, nun verteile sich der Besuch über der gesamten Stadt. Auch gab es früher Abspra­chen zwischen den Kinos, wer welchen Film wann einsetzen solle, um sich nicht in die Quere zu kommen. Das ist heute anders. »Wenn man viele inter­es­sante Kinos in der Stadt hat, bleibt es eine nieder­schwel­lige Aktivität, sich viel anzu­schauen, wie in Frank­reich«, meint die Vier­tel­fran­zösin Schleeger.

Fast beiläufig erwähnt sie damit eine neue Cine­philie, die gerade von den Münchner Kinos entdeckt wird, nicht nur vom Theatiner. Auch das ABC, die City-Kinos und das Arena legen Klassiker neu auf, Retro-Reihen ergänzen neue Filme, Spät­vor­stel­lungen garnieren das Programm mit Absei­tigem, was einst dem Werk­statt­kino vorbe­halten war. Es gibt in dieser Richtung schon erste, sehr konkrete Programm­pläne: Mit Kino­be­treiber Thomas Kuchen­reu­ther wollen Schleeger und Hauser in Zukunft punktuell für gemein­same Retro-Programme zusam­men­ar­beiten, die dann auch in seinen Kinos laufen. Bereits für kommendes Frühjahr ist eine Filmreihe zu Jean Eustache geplant, dessen La Maman et la putain letztes Jahr in Cannes zum 50. Jubiläum des Films wieder­auf­ge­führt wurde. »Herrn Kuchen­reu­ther trifft man eigent­lich immer mit den 'Cahiers du Cinéma' unterm Arm«, sagt Schleeger. »Gemeinsam haben wir mit ihm, dass wir alle sehr fran­ko­phil sind und ein sehr großes Interesse am fran­zö­si­schen Kino haben.«

Eine wichtige Inspi­ra­ti­ons­quelle für »ihr« Theatiner werden für Claire Schleeger und Bastian Hauser auch in Zukunft die Kinos des 5. Arron­dis­se­ment in Paris sein, denen sie regel­mäßig Besuche abstatten. Und nach Cannes wollen sie jetzt auch fahren, möglichst schon in diesem Jahr und sich auf den großen Jahrmarkt des Kinos begeben, Filme sehen, Verleih­ver­hand­lungen anstoßen, Kontakte knüpfen und fran­zö­sisch sprechen. Ganz in den Fußstapfen von Walter und Marlies Kirchner.