Kinos in München – Die neuen Betreiber des Theatiner
Stabübergabe |
||
Glücklich in »ihrem« Theatiner: Claire Schleeger und Bastian Hauser | ||
(Foto: artechock) |
Von Dunja Bialas
Sie sind die neuen Gesichter der Theatiner Filmkunst: Claire Schleeger, 27, und Bastian Hauser, 38, betreiben seit dem 1. Januar 2024 das Kino unweit des Münchner Odeonsplatzes. Als jüngste Kinobetreiber der Stadt übernehmen sie das Theatiner von Marlies Kirchner, der über neunzigjährigen Grande Dame du Cinéma. Weil Schleeger und Hauser schon lange in dem Kino gearbeitet und es bei offiziellen Anlässen auch repräsentiert haben, hatten Beobachter auf diesen Schritt gehofft und auch dass das Kino nicht in andere, weniger cinephile Hände gerate. Der Betreiber des ABC und der Leopold-Kinos Thomas Kuchenreuther sagte einmal, in den beiden würde er sich und seine Frau sehen, in jungen Jahren, als sie mit dem Kinomachen anfingen. Er schien da ganz verliebt in die zwei.
Auch Marlies Kircher mag sich mit den beiden an ihre eigenen Anfänge erinnert haben. Sie begann zunächst an der Seite ihres Mannes Walter Kirchner, der den gleichnamigen Verleih führte, und fuhr mit ihm nach Cannes, wo sie für die Vertragsabschlüsse dolmetschte. Ab 1958, ein Jahr nach der Kino-Eröffnung, betrieben sie zusammen das Theatiner. Marlies Kirchner leitete es ab 1976 in Eigenverantwortung, bis zum 31. Dezember 2023. Und übergab dann an Claire Schleeger und Bastian Hauser. Diese treten nun ein kulturelles Erbe an, das auch schwer auf ihnen lasten könnte. Groß ist die Bürde, die ihnen Marlies Kirchner überträgt: Sie wurde mit dem Ehrenbären der Berlinale ausgezeichnet und mit dem Offiziers-Orden des französischen Kultusministeriums geehrt. Doch beim Treffen im Foyer »ihres« Theatiner wirken sie gelassen, optimistisch und ihrer neuen Aufgabe rundum gewachsen.
Denn: So neu ist die Aufgabe nicht, die jetzt auf sie zukommt, auch wenn natürlich die finanzielle Verantwortung in der Top-Innenstadt-Lage eine ziemliche Herausforderung sein muss. Bereits seit 2019 gestalten sie in Absprache mit Marlies Kirchner das Theatiner-Programm. Das intensivierte sich in und nach den schwierigen Corona-Jahren. Bastian Hauser war der Ansprechpartner und radelte immer in die Privatwohnung von Marlies Kirchner, um mit ihr das Programm zu besprechen oder Finanzen zu klären; er arbeitet schon seit dreizehn Jahren im Theatiner. Begonnen hatte er als Vorführer am 35mm-Projektor und suchte sich nach der Digitalisierung des Kinos (einen Projektor konnte er sichern) sukzessive neue Aufgaben. Dazu gehörte bald, E-Mails zu beantworten und bei den Abrechungen einzuspringen. So konnte er sich als zuverlässiger, gewissenhafter und kenntnisreicher Mitarbeiter von Frau Kirchner etablieren.
Dergleichen jedoch sagt er im Gespräch nicht. Bastian Hauser ist wie seine Partnerin Claire Schleeger zu höflich und zu zuvorkommend, um sich selbst groß in den Mittelpunkt zu stellen. Die Kinobesucherinnen und -besucher kennen sie von zahlreichen Veranstaltungen im Haus als galante und sich selbst zurücknehmende Gastgeber, sei es beim Empfang von französischen Regie-Stars wie Christophe Honoré oder Opernsängern aus dem benachbarten Nationaltheater. Claire Schleeger trumpft – in aller Bescheidenheit – dabei stets durch französischen Vogue-Schick auf, sie trägt trotz ihrer jungen Jahre eine sehr klassische Eleganz, oft garniert von einer extravaganten Kopfbedeckung. Das mag sich ihrem ersten Standbein verdanken, das sie trotz der Kinoübernahme behält: Derzeit promoviert sie bei der Romanistin und Modetheoretikerin Barbara Vinken zum Thema »Theaterfeindlichkeit«. »Was theaterfeindlichen Bewegungen immer gemeinsam war, ist, dass sie dann oft sehr kinofreundlich sind, deshalb passt das vielleicht auch ganz gut zusammen«, sagt sie.
Theaterfeinde oder gar Feinde der Hochkultur jedoch sind Schleeger und Hauser nicht. Seitdem sie das Programm mitgestalten, sind neue Impulse im Haus spürbar, die sich zahlreichen Kooperationen auch mit hochkulturellen Institutionen verdanken. Hervorzuheben sind die Staatsoper und das Theatermuseum, sowie die Pinakotheken und die Gemäldesammlungen Münchens. Wichtig war hier der Kontakt zum Festival »Kino der Kunst« und dessen Leiter Heinz Peter Schwerfel, betont Hauser. Er hat viele Jahre für das Festival gearbeitet, beratend für die Kopienbeschaffung und Technik. Claire Schleeger wiederum bringt Kontakte zur Ludwig-Maximilians-Universität mit; die letztes Jahr begonnene Kooperation mit dem Institut für Slawistik wird dieses Jahr fortgeführt. »Wir wollen das Theatiner als Kulturort in einem Netzwerk für Hochkultur etablieren«, erläutert Schleeger. Fast nebenbei bedeutet das ein neues und zunehmend jüngeres Publikum.
Kennengelernt haben sich Claire und Bastian beim U-Kino der LMU München. Nicht etwa als Besucher, sondern schon dort auf Veranstalterseite. Gemeinsam haben sie ein Programm kuratiert, das »möglichst vielfältig und international« sein sollte, erinnert sich Schleeger. »Da haben wir sozusagen studentisch vorgeübt« – und Filme von 35mm gezeigt, ergänzt Hauser. Nach einiger Zeit ist Schleeger dann auch zum Theatiner gekommen und hat dort erst einmal an der Kasse gearbeitet. Bald hat auch sie weitere Aufgaben übernommen, wie zum Beispiel die Pressearbeit oder den Instagram-Account.
Irgendwann begann das Gedankenspiel: Wie könnte es sich anfühlen, das Theatiner gemeinsam zu gestalten? Daraus entstand im Laufe der Jahre der anfänglich zaghafte, später immer stärker werdende Wunsch, das Kino von Marlies Kirchner zu übernehmen. Und jetzt ist Claire Schleeger Co-Betreiberin des Kinos, in dem sie schon als Heranwachsende ein und aus ging: Sie hat hier als Teenager das europäische Kino kennengelernt und dabei Fremdsprachenkenntnisse vertieft. Bastian Hauser, der aus der anderen Isarstadt Landshut stammt, hat im legendären Kinoptikum bei Roland Hartig seine Jugend verbracht. Beide bringen eine tiefe Leidenschaft zum Kino mit, die sich in Kenntnis, Engagement, aber auch Visionen übersetzt. Umso schöner, dass ihnen trotz einer kleinen Zitterpartie gegen Ende hin tatsächlich das Theatiner übergeben wurde. Wünsche gehen ja nicht immer in Erfüllung.
Hier könnte dieses traumhafte Kino-Märchen enden. Aber: Natürlich geht es erst jetzt richtig los. Als ersten Akt haben sie sich eine Rechtsform gegeben und die »BC Filmtheater Betriebs-GmbH« gegründet. »BC steht für bon cinéma«, sagen sie geheimnisvoll. In der GmbH sind sie weiterhin angestellt, wie andere der elf Mitarbeiter auch, die zu ihrer Freude alle bleiben wollen. Claire und Bastian übernehmen wie bisher Dienste, dazu gehört auch der Ticketverkauf an der Kasse und das Stapeln von Getränkekisten. Der ganz normale Kinoalltag eben.
Für den geschäftsführenden Kinobetrieb behalten sie die Aufteilung, die sie schon in den letzten Jahre erprobt haben. Die Personalplanung und die Abrechnungen bleiben bei Bastian Hauser, bei Claire Schleeger die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und das Verfassen von Texten. »Das Programm aber machen wir zusammen«, betont Hauser. Es ist das Herzstück ihrer Kinoarbeit und überhaupt der Grund, weshalb sie, zwei Cinephile mit einem großen historischen Interesse, zum Kinomachen gekommen sind. So wollen sie auch das Theatiner in der Ausstattung genau so belassen, wie es ist. »Wir sind totale Fans vom Original-Fünfzigerjahre-Stil«, sagt Hauser, der denkmalgeschützte Saal mit seinem besonderen Charme werde nicht angetastet.
Fürs Programm haben sie sich vorgenommen, das Kino für weitere Kooperationen und Festivals zu öffnen und auch vermehrt Gäste einzuladen. Auch wollen sie das weibliche Filmschaffen mit Sonderreihen und Klassiker in den Vordergrund stellen und den 35mm-Projektor öfter einsetzen. Ein gutes Programm zu machen ist jedoch kein Selbstläufer, betont Schleeger, die Filmreihen wollen intensiv beworben sein. Das Theatiner ist, trotz seiner 164 Sitzplätze und der imposanten internationalen Bedeutung, die mit der Verleihung des »Cinema Europas Award« 2018 sozusagen amtlich wurde, mit nur einer Leinwand ein kleines Kino. »Die kleinen Arthouse-Kinos sind auf Förderprogramme und Kinoprogrammpreise angewiesen«, betont Bastian Hauser. In München stelle sich die Situation aber vergleichsweise günstig dar, weil das Kulturreferat ein großes Augenmerk für die Kinos habe und viele Sonderprogramme ermögliche. Auch die Kulturinstitute seien für das Theatiner wichtige Partner.
Sie sind schon ganz eingefleischte Kinobetreiber, wenn sie im Gespräch die Erleichterung spüren lassen, dass im Januar, im ersten von ihnen verantworteten Monat, einzelne Titel sehr gut gehen. Aus langjähriger Theatiner-Erfahrung wissen sie, dass auch Dokumentarfilme gut laufen. Dass sich das Fremdsprachenkino seit der Digitalisierung Originalversionen mit anderen Kinos teilen müsse, habe sich als weniger schlecht herausgestellt, als anfangs befürchtet, teilweise bekäme ein Film dadurch sogar größere Strahlkraft. »Nur Almódovar mit anderen Kinos zu teilen, war schmerzhaft«, gibt Hauser zu. Der Star des spanischen Kinos hatte früher wochenlang für ausverkaufte Vorstellungen gesorgt, nun verteile sich der Besuch über der gesamten Stadt. Auch gab es früher Absprachen zwischen den Kinos, wer welchen Film wann einsetzen solle, um sich nicht in die Quere zu kommen. Das ist heute anders. »Wenn man viele interessante Kinos in der Stadt hat, bleibt es eine niederschwellige Aktivität, sich viel anzuschauen, wie in Frankreich«, meint die Viertelfranzösin Schleeger.
Fast beiläufig erwähnt sie damit eine neue Cinephilie, die gerade von den Münchner Kinos entdeckt wird, nicht nur vom Theatiner. Auch das ABC, die City-Kinos und das Arena legen Klassiker neu auf, Retro-Reihen ergänzen neue Filme, Spätvorstellungen garnieren das Programm mit Abseitigem, was einst dem Werkstattkino vorbehalten war. Es gibt in dieser Richtung schon erste, sehr konkrete Programmpläne: Mit Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther wollen Schleeger und Hauser in Zukunft punktuell für gemeinsame Retro-Programme zusammenarbeiten, die dann auch in seinen Kinos laufen. Bereits für kommendes Frühjahr ist eine Filmreihe zu Jean Eustache geplant, dessen La Maman et la putain letztes Jahr in Cannes zum 50. Jubiläum des Films wiederaufgeführt wurde. »Herrn Kuchenreuther trifft man eigentlich immer mit den 'Cahiers du Cinéma' unterm Arm«, sagt Schleeger. »Gemeinsam haben wir mit ihm, dass wir alle sehr frankophil sind und ein sehr großes Interesse am französischen Kino haben.«
Eine wichtige Inspirationsquelle für »ihr« Theatiner werden für Claire Schleeger und Bastian Hauser auch in Zukunft die Kinos des 5. Arrondissement in Paris sein, denen sie regelmäßig Besuche abstatten. Und nach Cannes wollen sie jetzt auch fahren, möglichst schon in diesem Jahr und sich auf den großen Jahrmarkt des Kinos begeben, Filme sehen, Verleihverhandlungen anstoßen, Kontakte knüpfen und französisch sprechen. Ganz in den Fußstapfen von Walter und Marlies Kirchner.