Keine Frage: das Pantoffelkino ist verpönt unter uns
wahren Cinéphilen. Umso erwähnenswerter, wenn
man dann unvorbereitet große Momente erlebt vor der
Mattscheibe. Es gibt sie tatsächlich, diese Traumzeiten
zwischen grenzenloser Beglückung und tiefster Melancholie.
Wenn man zum Beispiel derzeit MTV einschaltet und zufällig
in das Video zu Enrique Iglesias HERO stolpert. Manchmal sind,
das ist ja nun längst kein Geheimnis mehr, die Musikclips
die besseren Filme, Instantversionen quasi, ein Sturm im Wasserglas.
Ganz neu ist das, was wir hier zu sehen bekommen, freilich
nicht, eine Mixtur aus Western und Roadmovie und Neo Noir
in verschleierten Sepia- und Sandtönen. Eine Wüstenlandschaft
im Südwesten der USA, hart an der Grenze zu Mexiko. Highway
und alte Gemäuer, Ruinen eigentlich, die in der prallen
Sonne liegen wie Tiergerippe. Ein Pärchen auf der Flucht.
Geld ist im Spiel und wahrscheinlich auch die ewige Geschichte
von der Frau zwischen zwei Männern. Natürlich gibt
Iglesias den jugendlichen Helden ab, das ist nicht schlecht
aber auch nicht weiter aufregend.
I can be your hero, Baby: für die jugendliche Zielgruppe
des Latinobarden mag das durchaus eine Option sein. Für
diejenigen unter uns, die ein etwas reiferes Alter erreicht
haben, wird's so richtig aufregend erst, als der bad guy die
Bühne betritt. Ein Mann in Schwarz, von einer finsteren
wild bunch begleitet. Mickey Rourke ist wieder da und er ist
ohne Zweifel der wahre Held hier. Nichts hat er zur Verfügung
als seine Präsenz. Keine Dialoge zu sprechen, logisch,
das liegt in der Natur der Sache. Und doch: was für eine
Ausstrahlung, was für ein Charisma. Kein Schauspieler,
ein Filmstar. Einer, der nicht spielt sondern einfach ist.
Daran sollt ihr die echten, die wahren Stars erkennen: wie
Rourke hier die kleinste, banalste Alltagsgeste nur reicht,
das Abnehmen der Sonnenbrille, das Zurückschlagen des
Mantels, eine Drehung unter der Wüstensonne, um die Leinwand
- pardon, den Bildschirm - ganz und gar zu füllen und
zu beherrschen. Eine große Mühelosigkeit und Lässigkeit
geht von ihm aus, eine Souveränität, eine Autorität,
dass man ihm den leader of the pack blind abkauft. In den
drei Minuten, die dieser clip dauert, erinnert man sich an
Rollen die er gespielt hat und die irgendwie in dieser Figur
sich spiegeln: der zwielichtige CIA Agent in WHITE SANDS,
der durchgeknallte Südstaatengeneral in THE LAST OUTLAW.
Rourke ist der letzte Rebell in Hollywood, einer, dessen erotische
Ausstrahlung immer definiert war über das Dämonische,
das Gefährliche, das latent Gewalttätige. Ein Anachronismus,
heute, da alles, was als sexy verkauft wird nur mehr fake
ist, whitewashed und weichgespült und total asexuell
eigentlich. Das gilt natürlich gerade auch in der Popbranche,
gilt für die Rickeys und Brittneys und wie sie alle heißen.
Grenzenlose Beglückung also ob dieses Wiedersehens. Und
tiefste Melancholie, weil plötzlich deutlich wird, was
man vermisst. Wir hoffen, dass man auch in Hollywood MTV schaut
und dem Meister endlich wieder den Platz zuweist, der ihm
gebührt: raus aus dem Pantoffelkino und wieder rauf auf
die Leinwand.
Regine Welsch
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