31.05.2012

Das Hindernis als künst­le­ri­sches Prinzip

Lars von Trier, ANTICHRIST
Auch Schönheit kann ein Hindernis sein

Zur Lars von Trier-Retrospektive im Filmmuseum

Von Michael Haberlander

Retro­spek­tiven und Werk­schauen bieten neben der ganz prak­ti­schen Möglich­keit, Verpasstes und Unbe­kanntes nach­zu­holen, auch die seltene Gele­gen­heit, sich (ungewohnt) konzen­triert und kompakt mit dem Schaffen eines Künstlers zu beschäf­tigen und somit durch­gän­gige Motive, Arbeits­weisen, stilis­ti­sche Mittel und kreative Prin­zi­pien zu erkennen.

Die Lars von Trier-Retro­spek­tive im Film­mu­seum ist zwar schon halb vorbei, die verblei­benden Werke bieten aber noch ausrei­chend Gele­gen­heit, die Grund­lagen eines der faszi­nie­rendsten filmi­schen Oeuvres unserer Zeit zu ergr ünden.

Im einfüh­renden Text zu dieser Retro­spek­tive geht Gerhard Midding im Programm­heft des Film­mu­seums auch der Frage nach, was die Filme von Lars von Trier ausmacht, was die große, verbin­dende Klammer ist, welchen Prin­zi­pien und Regeln er bei seiner Arbeit folgt. Am Schluss seines Textes kommt Midding auf die »Beschrän­kung der filmi­schen Mittel« im Werk von Triers zu sprechen und tatsäch­lich liegt es nahe, darin ein zentrales Element seiner Arbeits­weise zu sehen. Die von ihm mitbe­grün­deten Dogma-Regeln, die er selber nur im Film Idioten ange­wendet hat, sind von zahl­rei­chen Beschrän­kungen ebenso geprägt wie Dogville und Manderlay, die nahezu voll­s­tändig auf die üblichen Dekors und Ausstat­tungen verzichten.

Auch in anderen Film von Triers finden sich (weniger offen­sicht­liche) Beschrän­kungen im tech­ni­schen wie im drama­tur­gi­schen wie im narra­tiven Bereich und doch ist die Beschrän­kung alleine nicht der Dreh- und Angel­punkt in der Arbeits­weise von Triers, das erkennt man schon an den vielen anderen Film­pas­sagen, die keines­wegs beschränkt, sondern vielmehr über­bor­dend, verschwen­de­risch und exzessiv sind. Das wahre Grund­prinzip im Schaffen von Triers ist das Hindernis, das glei­cher­maßen aus einer Beschrän­kung, einem Überfluss oder einer ergän­zenden Bedingung bestehen kann.

Die totale Freiheit, die viele als Ideal des künst­le­ri­schen Schaffens verehren und fordern, hat auch seine Tücken. Im stetigen Kampf gegen Einfluss­nahme (durch den Staat, durch Geldgeber, durch Moral­wächter, durch Mitwir­kende), im Ringen um finan­zi­elle Mittel, im Umgang mit dem Mangel, haben viele Regis­seure große Werke geschaffen. Gibt man diesen Regis­seuren schließ­lich Carte Blanche, gibt ihnen also ausrei­chend Geld, alle tech­ni­schen Möglich­keiten und lässt sie machen was sie wollen, dann ist das Ergebnis oft nicht so glorios, wie erhofft. In der Kunst gilt somit das, was auch im poli­ti­schen, gesell­schaft­li­chen Leben täglich zu beob­achten ist, dass mehr Freiheit nicht zwangs­läufig mehr Glück und Zufrie­den­heit bedeutet.

Lars von Trier begegnet den Verlo­ckungen und Fall­stri­cken der zu großen Freiheit mit Hinder­nissen, die er sich und anderen auferlegt, was in reiner Form im »Schlüs­sel­werk« The Five Obstruc­tions zu beob­achten ist. Von Trier gibt seinem Regie-Kollegen Jorgen Leth fünfmal den Auftrag, ein Remake seines eigenen Kurzfilms The Perfect Human zu drehen und fünfmal stellt er ihm andere Hinder­nisse, die keines­wegs nur be- und einschränken, in den Weg. Auch wenn Leth mehr als einmal flucht und verzwei­felt, über­windet er alle Hinder­nisse mit höchst sehens­wertem Ergebnis. So wie mit Leth verfährt von Trier auch mit sich selbst. Anstatt sich in einem typischen Stil einzu­richten und nach festen Regeln, mit denselben Mitar­bei­tern, derselben Ästhetik, denselben Geschichten, ein geschlos­senes Werk zu schaffen (siehe z.B. einen Regisseur wie Tim Burton), stellt er sich immer wieder neuen Heraus­for­de­rungen, die möglichst weit von seinem bishe­rigen Schaffen entfernt sind. Das kann eine Fern­seh­serie (Hospital der Geister), eine mini­ma­lis­ti­sche Realitäts­schau (Idioten), ein Musical (Dancer in the Dark), ein expe­ri­men­telles Bühnen­s­tück (Dogville, Manderlay), eine absurde Komödie (The Boss of It All), ein meta­phy­si­scher Horror­film (Lars von Triers Anti­christ) oder eine apoka­lyp­ti­sche Bezie­hungs­ge­schichte (Melan­cholia) sein.

Filme können nur durch die Zusam­men­ar­beit von vielen Menschen gemacht werden. So bleibt es nicht aus, dass von Trier auch den Menschen, die an seinen Filmen beteiligt sind, Hinder­nisse in den Weg stellt, was vor allem berühmte Schau­spie­lerInnen nicht immer ganz verstehen bzw. goutieren und sich deshalb im Nachgang über ihn und seine Arbeits­weise beschweren.

Die von Trier­schen Hinder­nisse sind nun einmal keine Pseudo-Hürden, die man locker über­windet und die man sich setzt bzw. setzen lässt, um den öden Alltag etwas prickelnder zu machen. Die von Trier­schen Hinder­nisse versperren nach­haltig und störend den (einge­lau­fenen) Weg und zwingen zum Umdenken und Umleiten, was oft mühselig ist, aber meist erstaun­liche, faszi­nie­rende Ergeb­nisse hat. Konse­quen­ter­weise zwingt von Trier derart nicht nur sich selbst und seine Mitar­beiter zum unbe­quemen Umweg, sondern auch den Zuschauer, der hier mit seinen eingeübten Sehge­wohn­heiten immer wieder an Grenzen stößt. Ein leichter Weg ist das selten, ein gewinn­brin­gender aber allemal.

Unter diesen Vorzei­chen muss man wohl auch das gerne gezeich­nete Bild des Lars von Trier als bösar­tigem Sadisten, der gerne seine Mitar­beiter und Zuschauer quält, revi­dieren. Von Trier macht es sich und anderen nicht leicht, man mag darin stel­len­weise sogar eine Qual erkennen, reiner Selbst­zweck oder perverse Luster­fül­lung des Regis­seurs ist dies aber nicht (nur), sondern dient durchaus einem guten Zweck.

Wer nun grund­sätz­lich inter­es­siert ist, aber Vorbe­halte hat, da er gehört hat, Lars von Trier sei ein beken­nender Nazi, dem sei versi­chert, dass ziemlich genau das Gegenteil der Fall ist. Lars von Trier und seine Filme wären mit Gewiss­heit von Joseph Goebbels und seiner Reich­film­kammer mit dem (aus heutiger Sicht) Prädikat »entartet« versehen worden.

Um dies zu über­prüfen hat man noch bis 29.6.12 im Film­mu­seum Gele­gen­heit, alle hier genannten Filme (und noch einige mehr) sind dort zu sehen.
Vormerken kann man sich bereits jetzt auch den 15.6.12. Ab dann gibt es in der Hypo Kunst­halle eine Ausstel­lung des Malers Vilhelm Hammershøi, dessen kühl-klaren Bilder Einfluss auf die Ästhetik Lars von Triers hatten.