Von pfeifenden Spionen, lesenden Bauern, biertrinkenden Schnöseln und einem Förster |
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Jetzt schon ein Klassiker: Moromeții 2 eröffnet das Rumänische Filmfestival |
Von Dunja Bialas
»I’m a passenger«, grölt Iggy Pop ins Bild. Ein finster dreinblickender Mann schippert auf einer kleinen Fähre durch eine karge Inselgruppe, dunkler Trenchcoat und graues Hemd verraten, dass er nicht auf Urlaubsreise ist. Als er in einer Militäranlage ankommt, muss er als erstes das Mobiltelefon abgeben. »The police is listening«, sagt ein ebenfalls finster dreinschauender Mann. Alles ist sehr James Bond. Kommt gleich eine Blondine im Bikini aus dem Wasser aufgetaucht?
La Gomera, der neue Film des rumänischen Starregisseurs Corneliu Porumboiu hat auf dem Münchner Filmfest überrascht – und auch enttäuscht. Mit 12:08 East of Bucharest (2006), Politist, adjectiv (2009) hat er Meilensteine der Rumänischen Neuen Welle geschaffen. In La Gomera bricht Porumboiu mit vielen unausgesprochenen Regeln dieses international so gefeierten Filmschaffens. Mit der Musik aus dem Off, mit der er seinen Film noch vor dem ersten Bild beginnt, macht er den Bruch deutlich: Hier gibt es nicht nur die diegetische Musik, die aus den Szenen selbst kommt, nein, hier bestimmt die Regie, nicht mehr die Figuren, was auf den Plattenteller kommt. Dann der Beginn auf der kanarischen Insel, die Rückblicke, das geordnete Erzählen. Porumboiu zeigt ein Verlangen danach, die narrativen Fäden in der Hand zu halten, während seine Filme sonst oft den Anschein hatten, driftend den Figuren zu folgen.
Schon immer aber waren die rumänischen Filmautoren offen für das Genre – vor allem der Polizei- und Gangsterfilm erhielten von ihnen einen neuen realistischen, ironischen und wahrhaftigen Drive. In La Gomera, in dem es im Übrigen um den Erwerb der kanarischen Pfeifsprache »el silbo« geht – dem folgt man gerne – werden Versatzstücke des Spionagefilms ins Spiel gebracht – und vielleicht werden mit der streckenweise arg konventionellen Genre-Erfüllung indirekt auch die Marotten der Rumänischen Neuen Welle konterkariert: der Pope, der ins Haus kommt, der Plattenteller, der sich dann doch einmal dreht und konzertante Musik abspielt, auch ohne, dass sich dies durch die Handlung motivieren würde. Der Hotelportier, der ein Musikliebhaber ist, ist gerade nicht in der Lobby.
Porumboiu will mit La Gomera sichtlich mit dem in die Jahre gekommenen Rumänien-Style brechen, mit den langsamen Geschichten über die Menschen in den Wohnungen von Bukarest, über die Familien, die Mütter und Söhne, die Verwerfungen, die politischen Diskussionen. Hier lässt er ähnliche Konstellationen im Plot aufgehen, und verabschiedet die virtuose Choreographie der Figurenkonstellationen und Dialoge.
Über La Gomera kann man sich jetzt selbst ein Urteil bilden, beim Rumänischen Filmfestival im Filmmuseum, das diesen Donnerstag eröffnet. Es ist nach eigenen Aussagen das größte außerhalb Rumäniens, und es ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass in München Namen wie Corneliu Porumboiu, Cristi Puiu, Radu Jude und Cristian Mungiu flüssig über die Lippen gehen. Seit 14 Jahren tragen der Filmkritiker Bert Rebhandl und der Filmhistoriker Klaus Volkmer neue Filme aus Rumänien zusammen, das als eines der aufregendsten Filmländer Europas gilt, seit dem Einsetzen der Rumänischen Neuen Welle im Jahr 2005. Es wird jedoch leicht übersehen, dass sich das aus nationaler Sicht anders darstellt. Im Jahr 2009 war die Zahl der Kinos landesweit auf 74 geschrumpft, man ging 0,24 Mal im Jahr ins Kino. Fast ein Jahrzehnt später, 2016, titelte eine französische Zeitung: »Die Kinosäle verfallen.« Neu hinzugekommene Säle sind Multiplexe für internationale Blockbuster.
Der rumänische Film führt in Rumänien ein Nischendasein. 2018 wurden lediglich 28 Spielfilme produziert, davon zehn in Co-Produktion, wie dem Anuarul statistical cinematografiei zu entnehmen ist. Auch La Gomera ist eine Co-Produktion, mit dem deutschen Komplizenfilm um Maren Ade und mit Sylvie Pialat aus Frankreich. Was andererseits international gefeiert wird und beliebt ist, wird in Rumänien nicht gesehen, davon erzählt die aufschlussreiche Studie »Qui regarde les films roumains?« Vielleicht ändert sich das mit stärker die Konventionen bedienenden Filmen.
Ein Klassiker der rumänischen Literatur ist der 1955 erschienene Roman »Moromeții« von Marin Preda, der unter ungeklärten Umständen 1988 verstarb – ein gewalttätiger Tod durch die Securitate wird nicht ausgeschlossen. 1987 verfilmte Stere Gulea, Jahrgang 1943, die Handlung in Moromeții, die in der Vokriegszeit vom Erstarken des Faschismus in der ländlichen Gegend spielt. Protagonisten sind Ilie Moromete und seine Familie, die jetzt auch im zweiten Teil wiederkehren. Der erste Teil war bis 2013 unter Verschluss, die Fortsetzung, mit der das Rumänische Filmfestival eröffnet, ist daher auch ein Politikum und eine starke Auseinandersetzung mit der Geschichte Rumäniens.
Moromeții 2 (Die Familie Moromete – Am Rand der Zeit) erzählt davon, wie im Rumänien der Nachkriegszeit der Kommunismus einzieht und die Äcker und Bauernhöfe in Kolchosen umgewandelt werden. Ilie ist über seine Bücher gebeugt, er hat es auf die Universität geschafft und lernt Russisch, während er im Schatten der Bäume sitzt. Die einfachen Bauern können die neuen Wörter wie »Komitee« nur schlecht aussprechen. Meistens unterhalten sie sich über den Hund, das Pferd, das Schaf, die Kuh und sind wie die Tiere, einsilbig. Und es werden die Traditionen hochgehalten. Am Weißen Sonntag waschen die Frauen den Männern die Füße. Man verliebt sich. Bis die Zeit nicht mehr aufgehalten werden kann. Das Verschwinden der alten Welt zelebriert der Film in lichtvollem Schwarzweiß. Die einfühlsame Beobachtung der Veränderungen im Gang der Jahre, das erinnert auch an Edgar Reitz' Heimat-Chronik. (Do, 7.11., 19 Uhr, Eröffnung, zu Gast: Darsteller Horaţiu Mălăele, Einführung: Bert Rebhandl)
Die Regisseurin Anca Damian zeigt in Moon Hotel Kabul, wie sich Genre und Familienerzählung verbinden lassen und gleichzeitig vom heutigen Rumänien erzählt werden kann, ohne aufgesetzten Spannungs-Plot. Man kennt Damian, 2011 wurde der animierte Dokumentarfilm Crulic – Weg ins Jenseits auf den Festivals mit Preisen überhäuft. Ihr Film bleibt einfach, kein Score unterfüttert künstlich die langen Einstellungen, Damian vertraut auf die Anziehungskraft ihrer Figuren. Alles beginnt in Kabul. Der Reporter Ivan recherchiert für eine Story im militärischen Sperrgebiet, hat eine Liebesnacht mit der Übersetzerin Ioana, die ihm einen Stick in sein Waschzeug schummelt. Sie stirbt, Ivan bringt ihre Leiche an den Heimatort. Auf der Fahrt durch das Hinterland von Bukarest trifft er auf ein scheinbar intaktes Rumänien, eine Hochzeit wird mitten auf der Straße gefeiert, Kühe gehören zum pittoresken Bild vom Lande, aber auch eine junge Prostituierte, die Ivan aufliest. Dann bei der Familie die Totenwache, der Pater kommt ins Haus, es kommt zu einem Konflikt, weil er die Beisetzung auf dem Friedhof verweigert. Durchgängig in braun-grün-grauen Tönen gehalten, skizziert der Film vor dem Hintergrund globaler Krisenherde die Dystopie einer unterkühlten Welt, in der die Pittoreske nur noch falscher Lebensdekor ist. (Sa, 9.11., 18:30 Uhr, zu Gast: Anca Damian)
Bereits letztes Jahr konnte bei Constantin Popescus Pororoca erlebt werden, wie der rumänische Alltag sich in Gewalt entladen kann. Arest, der zweite Film des 47-jährigen Werbefilmers Andrei Cohn, spielt in den 1980er Jahren zur Zeit der späten Ceaușescu-Diktatur und geht in seiner Brutalität historisch bedingt einen radikalen Schritt weiter. Als Dinu verhaftet wird, ist er völlig nackt. Mit seiner Familie ist er am Schwarzen Meer, und er badet, wie das im Sozialismus alle taten, textilfrei. Die Staatssicherheit greift ihn ab, aus dem prallen Leben, so beginnt Arest. Dinu (Alexandru Papadopol), der Intelligentsia zuzurechnen, kommt in eine Gefängniszelle, wo er auf den Kleingangster Vali trifft. Der hat einen Inside-Job zu erledigen und wird ihn im weiteren, ungemütlichen Fortgang des Films aushorchen, foltern und zum Reden bringen. Als Dinu das nächste Mal nackt ist, kauert er in einem Verschlag, der eine Dusche sein soll, verprügelt und verdreckt, und er packt aus, was ihm einfällt: dass sie immer Radio Free Europe gehört haben, sich an die Eier gefasst haben, wenn der Name der Staatschefsgattin Elena Ceaușescu fiel, dass seiner Frau die ausländischen Zigaretten der jüdischen Nachbarn aufgefallen seien. Arest ist ein klaustrophobisches Kammerstück, das die Substanzlosigkeit der politischen Verfolgung unter Ceaușescu aufzeigt. Stilistisch bezieht sich Cohn auf die Rumänische Neue Welle: lange Einstellungen, kein Score, er vertraut auf die Dialoge und den dynamischen Wechsel von An- und Entspannung. Wobei – entspannen kann man sich hier kaum. (Sa, 16.11., 18:30 Uhr)
Das kann man dann in Povestea unui pierde-vară (The Story of a Summer Lover), dem zweiten Film mit Alexandru Papadopol. Die leichthändig gefilmte Konversationskomödie über die Nöte der Masculinity spielt in Bukarest. Papadopol ist Petru, ein leicht weinerlicher, selbstbezogener Macho, der zum wiederkehrenden Arsenal des rumänischen Kinos gehört, Corneliu Porumboiu hat ihm in When Evening Falls on Bucharest or Metabolism (2013) ein filmisches Denkmal geschaffen. »Ich bin immer jung«, sagt er, der Mathe-Prof, zu seiner Studentin. Gerade war er mit ihr im Bett, jetzt ist er k.o., »aber nur körperlich«. Die ewige Jugend will sich Petru auch mit seinen Kumpeln auf dem Basketballplatz im Stadtpark von Bukarest beweisen. Die Niederlage ist vorprogrammiert, es folgen Bier und die Zigarette danach. Regisseur Paul Negoescu, erst Mitte dreißig, hat sich komödiantisch in die Wehwehchen und das Aufbäumen des Mannes kurz vor der Midlife-Crisis hineinversetzt. In urbanen Spaziergängen durch Bukarest sezieren hier drei Buddys das Liebesleben von Petru, sein Freund, der mit hagerer Gestalt, beigen Klamotten und großer Brille sichtlich Woody Allen zum Vorbild hat, schreibt darüber einen Roman. (So, 17.11., 18:30 Uhr)
Der rumänische Film, so bleibt das Fazit, zeigt sich weniger homogen als früher. Die Rumänische Neue Welle mit den wiederkehrenden Sujets und Stilen scheint allmählich zu verblassen und von jüngeren und neuen Autoren weiterentwickelt zu werden. Auffallend ist jedoch, dass die weiblichen Stimmen oder gar weibliche Sujets kaum mehr werden: die rumänischen Regisseure sind keine »Frauenregisseure«. Sie verharren – mit Ausnahmen wie Radu Judes »Mir ist es egal, ob wir als Barbaren in die Geschichte eingehen« – gerne in Rollenschemata. Da gibt es die Geliebte, die Ehefrau, die Mutter, die Freundin, kaum als agierende Figuren. Dass im Umkehrschluss die Männer im Gendergefängnis sitzen, ist naheliegend. Ivana Mladenovićs Soldaten – Eine Geschichte aus Ferentari (2018) mit einem homoerotischen Plot, der bereits letztes Jahr auf dem Rumänischen Filmfestival gezeigt wurde, bildet hier die rühmliche Ausnahme.
Zum Abschluss sei noch der sehr lohnende Dragoste 1: Câine (Liebe 1. Hund) erwähnt. Im steilen Gelände eines unübersichtlichen Waldes befindet sich sich die einsame Hütte des Försters Simion, der mit seinem Hund lange Streifzüge durch die Wildnis unternimmt. Er findet eine Frau, die offensichtlich misshandelt wurde, und schleppt sie Oger-mäßig in seine Hütte. Es entspinnt sich eine unterschwellige Erotik, geerdet, archaisch, und unaufdringlich, voller Fragen und mit den Konsequenzen der Wildnis. Der Film des Philosophen und Regisseurs Florin Șerban (Jahrgang 1975) bildet den Auftakt zu einer schillernden Liebestrilogie, der wir gerne folgen werden. (Sa, 9.11., 21 Uhr)
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Rumänisches Filmfestival
5. bis 19. November 2019
Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
Kartenreservierung: Tel: 089 / 23 39 64 50
Programmheft als Downlaod (PDF)
Ein Programm im Rahmen der »Rumänischen Kulturtage«, in Kooperation mit der Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und
Tradition e.V., München und dem Centrul Naţional al Cinematografiei, Bukarest.