»Man kriecht so langsam von links und rechts, von oben und unten, langsam voran« |
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Hye-Won und Herr Krieger beim Autofahren | ||
(Foto: Real Fiction) |
Fünf Jahre haben Lia Jaspers und Andrea Thiele an Ihrem Dokumentarfilm You Drive Me Crazy gearbeitet. Ein Film über deutsche, amerikanische und südkoreanische Fahrschüler in fremden Ländern: Indien, Japan und Deutschland.
Am schwersten tat sich der US-Amerikaner Jake, der sich in Japan an seinem sphinxartigen Fahrschullehrer die Zähne ausbrach. Und während die
Südkoreanerin Hye-Won sich mit dem wohlwollenden Humor eines bayerischen Herrn Kriegers auseinandersetzte, erlebte die Deutsche Mirela ein hochkommunikatives Indien, das beim Autofahren per Handzeichen und Zuruf immer im Gespräch bleibt.
Das Gespräch führte Borissa Hellmann.
Jaspers: Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen Dir und Andrea Thiele?
Lia Jaspers: Andrea und ich haben beide auf der Filmhochschule in München studiert und haben uns da über einen Auslandsdreh in Brasilien kennengelernt. Das hieß „Close Up“, das ist so eine kleine Reportagereihe, die wir damals mit Dieter Kronzucker gemacht haben und da haben wir beide uns ausgesucht, dass wir in Rio de Janeiro drehen wollen. Da hat sich dann aus der Kolleginnenbeziehung eine Freundschaft entwickelt, die sehr tief geworden ist. Wir sind sehr viel zusammen gereist. Wir haben gemerkt, dass wir einen sehr ähnlichen Humor haben und ähnliche Vorstellungen davon haben, war wir an einem Film gut finden. Und das ist halt eine gute Basis um ein größeres Projekt zusammen zu machen. Bei einem Projekt, das über fünf Jahre geht, braucht man die Kraft von zwei Menschen um so etwas zu stemmen. Das ist alleine schon schwierig.
artechock: Habt Ihr Euch, was das Genre Dokumentarfilm angeht, an Vorbildern orientiert?
Jaspers: Wir wollten einen unterhaltsamen Film machen, der von Jedermann gesehen werden kann. Wir wollten jetzt nicht speziell einen Arthouse-Film machen mit einem ganz kleinen Zielpublikum. Sondern wir wollten schon was machen, womit mehr Menschen sich identifizieren können. Und diese thematische Vorgabe von Führerschein-machen, ist ja etwas womit sich sehr viele Menschen identifizieren können. Weil die meisten Menschen Autofahrer sind oder schon mal gereist sind und wissen, was es bedeutet sich irgendwo anpassen zu müssen. Und das war eine Vorgabe, wo wir gedacht haben, daraus kann man gut einen Film machen. Auch gerne für die breite Masse. Auf der anderen Seite wollten wir keinen Schenkelklopfer-Film machen, der vielleicht dann auch die Menschen vorführt und in die Kerbe „Die dümmsten Fahrschüler der Welt“ reinhaut.
artechock: Im Presseheft steht etwas von „Cultural Comedy“. Den Begriff habe ich vorher noch nie gehört. Was steckt dahinter?
Jaspers: Ich weiß gar nicht, ob es den Begriff wirklich gibt. Uns ist diese Einordnung nicht wichtig. Wir möchten diesen Film nicht einordnen unter: das ist eine „Dokumödie“, das ist ein dies, das ist ein das... Das ist vielleicht eine Schublade, die es braucht um den Film zu vermarkten, aber das ist jetzt mir und Andrea nicht wichtig. Uns ist es wichtiger, dass die Leute rauskommen und sagen, hey, ich hab mich unterhalten gefühlt. Und, dass unsere Protagonisten mit dem klarkommen, was wir da gemacht haben.
artechock: Wie habt Ihr Euch die Aufgaben geteilt?
Jaspers: Es ist ein Gemeinschaftsprojekt. Wir haben da beide sehr viel reingesteckt und uns gegenseitig geholfen. Vielleicht teilweise auch Sachen gemacht oder übernommen, die nicht in den Credits drinstehen. Die Unterteilung war, dass Andrea am Set die Regie übernommen hat und sozusagen das letzte Wort hatte. Weil es auch wichtig ist, dass es da eine gewisse Hierarchie gibt und nicht alle reinreden. Aber die Recherche, da haben wir uns schon sehr unterstützt.
artechock: Wie seid Ihr bei der Recherche vorgegangen?
Jaspers: Also in München haben wir mit der Fahrschule angefangen, bevor wir überhaupt Protagonisten hatten. Und das ist einfach ein Rumtelefonieren, in Fahrschulen gehen, mit den Fahrlehrern reden, dann aber auch Fahrschüler kennenlernen, die befragen, was haben sie für Probleme gehabt. Also wir haben mit hunderten von Leuten zu tun gehabt. Auch diesen geeigneten Fahrlehrer zu finden, war nicht einfach. Weil es auch ganz oft so
war, sobald dann Kameras da sind, möchten die einfach zeigen – da stehen sich Indien und Japan in nichts nach –, dass sie auch ihren Job gut machen. Da war es natürlich dann sehr erfrischend, dass ein Herr Krieger weder vor irgendwem noch vor irgendwas Angst hatte. Der hat sich da gar keine Sorgen gemacht. Und das war so unser erstes Highlight: gut, dass wir den an Bord haben.
Und die Recherche hat sich bestimmt über ein Jahr hingezogen, alles in allem. Wir haben so viele
Leute angeschrieben: Netzwerke, Facebook, Craigs List... Wir haben in Zeitungen annonciert. Wir haben einen wahnsinnigen Aufwand betrieben. Uns war es halt ganz wichtig eine gute Symbiose zu finden, zwischen diesen drei Charakteren, beziehungsweise zwischen den sechs Charakteren, die es ja eigentlich sind. Es war halt ganz wichtig, dass es ausgeglichen ist, dass es spannend ist, dass jeder für sich steht und seine eigene Welt hat, die er repräsentiert. Das so auszuloten war eine
große Herausforderung. Es hat viel Zeit gebraucht.
artechock: Wann stand die Finanzierung?
Jaspers: Die ganze Geschichte ist, dass Andrea und ich uns mit dem Projekt und mit der Idee ganz ohne Produktionsfirma bei der Documentary Campus Master School beworben haben. Und ein Jahr lang in vier Workshops diesen Film vorbereitet haben. Dort haben wir dann unseren Produzenten kennengelernt, der da auch ein Projekt hatte. Und der wollte dann den Film produzieren. Ab da hat es dann natürlich angefangen, dass man sich um Finanzierung kümmern musste, dass man Recherche macht: Wir haben zum Beispiel in Indien schon einen Trailer gedreht mit dem wir dann auf Festivals gepitcht haben. Das war dann der Startschuss für ein Jahr voller Recherchen und Finanzierung suchen.
artechock: War es schwierig den Film finanziert zu kriegen?
Jaspers: Grundsätzlich muss man ja sagen, dass wir in Bayern nicht schlecht da stehen mit Finanzierungsmöglichkeiten für Film. Nicht so schlecht, wie es anderen jetzt geht in Deutschland. Ich will gar nicht sprechen von anderen Ländern, da sieht es noch viel finsterer aus. Aber es ist immer eine große Reise bis man so ein Projekt finanziell auch gestemmt bekommt. Wir haben das Glück gehabt, dass wir die FFF Bayern für uns gewinnen konnten und dass die einen Teil finanziert haben. Dass der BR und BR/ARTE noch mit reingekommen sind, hat dann erst einmal eine solide Grundlage geschaffen. Aber wir haben doch dann auch noch von der Hamburger Filmstiftung und vom Kuratorium Junger Film Unterstützung bekommen. Und vom Media Programm. Es gab schon einige, die da mit dabei waren. Und das zeigt eigentlich schon, dass es ein wirkliches Puzzlespiel ist so einen Film finanziert zu bekommen. Und das geht auch nicht Schlag auf Schlag, dass alle an einem Tag „ja“ sagen. Man kriecht so langsam von links und rechts und von oben und unten langsam voran. Manchmal geht das dann eruptionsartig, weil wenn eins klappt, klappt das andere auch, weil es sich oft bedingt. Aber es hat insgesamt schon ein Jahr gedauert, bis es dann finanziell auf sicheren Füßen stand.
artechock: Was für einen Einfluß hatten die Redaktionen von BR und BR/ARTE auf den Film?
Jaspers: Die Redaktionen sind Berater und natürlich auch Unterstützer in so einem Projekt. Also man hat immer wieder Treffen, immer wieder stellt man irgendwas vor, zeigt denen Ausschnitte vom Material und hat natürlich eine Rohschnitt-Abnahme, eine Feinschnitt-Abnahme. Das sind schon immer wieder Momente, wo die mit eingebunden sind. Und natürlich auch ihre Meinung dazu sagen. Das ist natürlich immer eine wilde Diskussion. Man kann vieles annehmen, man muss nicht alles annehmen. Wir haben da eine sehr gute und fruchtbare Erfahrung gemacht. Wir haben gute Anregungen bekommen und wir haben einige Sachen abgewehrt, die wir nicht wollten. Und so sollte es eigentlich sein.
artechock: Welche Erfahrungen nimmst du aus diesem Film beruflich mit?
Jaspers: Ich glaube, dass dieser Film uns mal wieder gezeigt hat, wieviel Aufwand, wieviel Zeit doch in einen Film zu investieren ist, damit er so wird, wie man sich das erhofft. Dass es auch gut ist, dass wir die Entscheidung gefällt haben, sehr viel Zeit in die Recherche zu investieren, in das Finden der Protagonisten. Wir waren in allen Orten vorher. Wir haben an allen Orten recherchiert und Zeit verbracht. Das ist ein Luxus für den wir gekämpft haben. Von dem ich aber ausgehe, dass es eigentlich kein Luxus sein darf, denn das ist die Grundlage. Dafür würde ich mich gerne stark machen, das zu unterstreichen, dass Recherche kein Luxus sein darf. Es muss eine solide Recherche geben, sonst macht man Murks. Das hoffe ich auch, dass es bei Geldgebern und Redaktionen immer klarer wird, dass einfach viel Geld in die Recherche reingegeben werden muss.
artechock: Wie haben Eure Protagonisten auf den fertigen Film reagiert?
Jaspers: Wir haben den Film gerade bei dem South-by-Southwest Festival in Austin gezeigt und hatten dort unsere Nordamerika-Premiere. Und da ist Jake aus Tokyo gekommen. Er findet schon, dass wir ihn toll gemacht haben. Aber er ist sehr unglücklich wie stark er irgendwie als Looser rüberkommt. Jetzt nicht, dass wir ihn als Looser dargestellt haben, aber dass er diesen Führerschein nicht geschafft hat. Das ist für ihn schon schwierig und dass die ganze Welt gesehen hat: er hat diesen Führerschein nicht bestanden. Da knabbert er natürlich dran. Aber auf der anderen Seite ist er ja ein lockerer Typ, der dann darüber hinaus das Projekt als Lebenserfahrung sieht und auch weiß, dass wir alle wissen: er hätte ihn gar nicht machen können. Nicht unter diesen Voraussetzungen, mit dem Fahrlehrer und wie das gelaufen ist. Es war eigentlich ab einem bestimmten Punkt absehbar, dass es nichts wird.
Die Mirela sagt, dass man noch viel krasser hätte zeigen können, wie schlimm Indien eigentlich ist. Das war ihre Reaktion darauf. Sie hat gesagt, das ist ja noch die Lightversion von Indien gewesen.
artechock: Mir kam es auch nicht so stressig vor, wie es anscheinend bei ihr ankam.
Jaspers: Sagen wir mal so, es ist ja immer ein Spagat, den man macht. Wie man das zeigt und was man szenisch zeigt. Hätten wir uns jetzt darauf konzentriert Indien so schlimm wie möglich darzustellen, wäre das ein anderer Film gewesen. Wir sind ganz stark an ihr geblieben und an dem was sie dort erlebte und wie sie da vorankommt. Und wir sind ihrer Geschichte gefolgt. Und es war gar nicht so wichtig den Stress außen darzustellen, weil man gesehen hat, was sie innerlich für einen Stress hat Und das ist ja eigentlich viel wichtiger. Dass man mitkriegt, was f ür eine Identitätskrise sie da in der Zeit durchlebt hat.