Deutschland 2015 · 103 min. · FSK: ab 12 Regie: Theresa von Eltz Drehbuch: Esther Bernstorff Kamera: Kristian Leschner Darsteller: Paula Beer, Jella Haase, Jannis Niewöhner, Moritz Leu, Clemens Schick u.a. |
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Ein Glücksfall |
Über den Gähnfaktor erwartungskonformer saisonaler Filme ist bereits viel geschrieben worden und im Grunde lohnen sich nur dann noch ein paar Worte, wenn Gähnen und Erwartungen einmal nicht zusammentreffen. Die Zeit dafür ist scheinbar gerade überreif. Denn eine Woche nach dem Start der tollen, alle Widersprüche des Weihnachtsfests in einem intelligenten und vulgären Filmsalat verarbeitenden Weihnachtskomödie Die Highligen drei Könige, kommt nun ein Debütfilm in die Kinos, der Weihnachten ebenfalls aus einer Perspektive betrachtet, die überraschend ist und noch viel wichtiger – der auch ohne das ganze saisonale Klimbim eines Filmstarts im Dezember auch noch im Sommer frisch und knackig daher kommen dürfte.
Und das liegt nicht nur an dem für den deutschen Drehbuchpreis 2014 nominierten Drehbuch von Esther Bernstorff, das nachdenklich, systemkritisch und immer wieder mit einem befreienden Humor vier Jugendliche zusammenführt, die das Fest der Liebe, Harmonie und Geborgenheit in der Jugendpsychiatrie verbringen müssen und über Gespräche unter sich und mit ihrem Therapeuten (Clemens Schick) versuchen, nicht nur eine neue Sicht auf ihr Leben, sondern auch so etwas wie eine nachhaltige Veränderung ihrer persönlichen Integrität zu gewinnen. Theresa von Eltz überführt dieses Drehbuch in eine überzeugende filmische Realität, die immer wieder ahnen läßt, dass es sich bei Bernstorffs Plot um Anleihen aus der Realität handelt, es tatsächlich Familien gibt, die sich für das im Zeichen der Harmonie stehende Fest der Liebe der familiären Störenfriede entledigen, die das Konzept ins Wanken bringen könnten. Aber 4 Könige gelingt nicht nur ein gnadenloser Blick auf dysfunktionale Familienverhältnisse; ein Blick, der immer wieder mit langen, feinfühligen Einstellungen den Protagonisten die Zeit lässt, die sie brauchen, um sich und ihre Situation zu artikulieren. Fast nebenher stellt 4 Könige auch noch so etwas wie eine Bestandsaufnahme eines eingefahrenen klinischen Alltags dar, der mit neuen Ideen und unkonventionellen Herangehensweisen genauso starke Probleme hat wie es Milos Forman bereits 1975 in Einer flog über das Kuckucksnest veranschaulicht hat.
Diese kluge Erweiterung des Plots führt 4 Könige nicht nur wohltuend vom symbolbeladenen Weihnachtsfest weg, sondern macht aus einem Jugendfilm auch einen bewegenden Film für Erwachsene, eine Coming-of-Age Geschichte der besonderen Art, weil er zeigt, wie schwer und leicht zugleich die Welt aus den Angeln zu heben ist, so leicht und schwer, wie es schon Pippi Langstrumpf in ihren dysfunktionalen Familienverhältnisse gezeigt hat, in denen halt auch nicht immer gleich aus zwei mal drei vier wurde, aber dennoch eine Gleichung auf dem Papier stand.
Verstärkt wird der an sich schon starke Eindruck dieses starken Debüts durch das großartige Ensemble an jungen Hauptdarstellern. Nicht nur darf Jella Haase endlich wieder einmal aus dem engen Korsett ihrer Fack ju Göhte- Rolle heraustreten, auch Jannis Niewöhner (zuletzt in Ostwind völlig unterfordert) kann sich ebenso neu aufstellen wie auch Paula Beer (Das finstere Tal) und Moritz Leu (Der Nachtmahr).
Was neben der großartig erzählten Geschichte der 4 Könige aber vor allem bleibt, ist die Erkenntnis, dass auch das junge deutsche Kino ernste Geschichten so erzählen kann wie sie sind, weder penetrant komisch noch aufgesetzt tiefsinnig, aber dennoch mit einem feinen Gespür für die Komik der ernsten Dinge. Ein Glücksfall.