USA 2014 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Ana Lily Amirpour Drehbuch: Ana Lily Amirpour Kamera: Lyle Vincent Darsteller: Sheila Vand, Anash Marandi, Marshall Manesh, Mozhan Marnò, Dominic Rains u.a. |
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Feministischer Vampirisimus – originell, einfallsreich & sehenswert. |
Einem Schlafwandler gleich wandert Arash nachts durch die Straßen einer Großstadt. Tod und Einsamkeit liegen in der Luft. Der Held dieses Films ist ein schweigsamer junger Mann mit James-Dean-Tolle, Lederjacke und einem wissenden Blick, mit dem er auf die übrige Welt schaut. Seine Mutter lebt nicht mehr, der Vater ist ein Heroinjunkie, und Drogenhändler schleichen ums Haus und treiben die väterlichen Schulden längst ohne Geduld bei all jenen ein, bei denen noch etwas zu holen ist. So verliert der Sohn auch jenen Thunderbird, für den er »2191 Tage« gespart hatte. Außer Arash begleitet der Film auch andere Stadtbewohner vor allem des Nachts auf ihren Wegen: Einsame Frauen, Prostituierte, arme Arbeiter, Taschendiebe, Junkies und ihre Dealer, wie den lokalen Mafiaboss Saeed, der auch die Schulden von Araash’s Vater eintreibt.
Eines Nachts trifft Saeed ein junges Mädchen und nimmt sie mit zu sich nach Haus. Sie ist ruhig, hat ein eher ausdrucksloses Gesicht, scheint aber durchaus zugänglich – bevor sie ein scharfes Gebiss mit großen Fangzähnen ausfährt, und alles Blut aus Saeeds Adern saugt... Kurz darauf kommt Arash am selben Ort an, eigentlich, weil er sein Auto zurückholen wollte, findet die Leiche und neben ihr einen großen Koffer voller Drogen. Und so entspinnt sich zwischen zwei gequälten Seelen eine Romanze.
Dies ist ein iranisch-amerikanischer, zugleich feministischer Vampirfilm, in stilvollen/stylishen Bildern voller Romantik, angereichert mit den Insignien des klassischen Gangsterkinos und Western-Elementen, und zusätzlich beeinflusst vom Retro-Stil des Indie-Kinos à la Jim Jarmusch, dessen Werk auch immer wieder Pastiches des Genrefilms enthält – man tut Ana Lily Amirpours erstaunlichem Regiedebüt A Girl Walks Home Alone At Night kein Unrecht an, wenn man diesen Film als Genremix und als bilderstrotzende postmoderne Zitatmaschine begreift. Zugleich wirkt er aber keineswegs barock überladen, vielmehr in vieler Hinsicht sparsam und geradezu asketisch. Oft erzählt Amirpour mit Zeitlupe und ohne Dialoge, und weil die Bilder Schwarzweiß sind, fühlt man sich noch zusätzlich an Stummfilm-Ästhetik erinnert. Das Schwarzweiß, das hier dominiert, ist allerdings elegant-gesättigt und ölig-glänzend, und ähnelt so mehr als dem Expressionismus, Robert Rodriguez' Sin City und Marjane Satrapis Persepolis.
So wie Phantastik und Wirklichkeit, wie Popkultur und klassisches Kino, so treffen auch Gegenwart und Vergangenheit in diesem Film in origineller Weise aufeinander: 50er und 80er Jahre, Musikclip-Ästhetik mit Breitwand-Bildern und die Erzählweise eines Spaghetti-Western mit der lakonischen Postmoderne eines Tarantino, eines Kaurismäki und dem bereits erwähnten Jim Jarmusch.
Eine Mischung aus Realität und Metapher – das gilt auch für den Schauplatz. Er heißt »Bad
City« und es könnte sich bei diesem vagen, seltsam unbestimmten Ort um Gotham City ebenso handeln, wie um Teheran. Um den Stadtrand herum stehen unentwegt pumpende Ölbohrtürme. Dort liegt auch ein offenes Massengrab.
So ortlos dieser Schauplatz ist, so zeitlos ist der ganze Film. Entfremdung dominiert, existentielle Leere.
Dies ist also ein Vampirfilm, aber zugleich das Gegenteil aller Twilight-Pubertätsblütenträume. Die Vampirin, die den ganzen Film über namenlos bleibt, und nur »The Girl« genannt wird, wirkt bis zum Ende auch in ihrem Charakter ambivalent: ein weiblicher Hipster mit exquisitem Musikgeschmack, im Tschador, aber darunter mit quergestreiftem Pulli – ähnlich wie jener, den Jean Seberg in Außer Atem trug. Sexuell verführerisch ist sie für Arash ohne Frage – eine Befreierin, keine Femme Fatale, die den Held in irgendwelche Verhängnisse verstrickt. Zugleich ist sie für andere mörderische Todesbotin. Und dann wieder ein jugendlicher Twen, auf dem Skateboard ausgelassen durch die Nacht fahrend.
Da die Regisseurin eine in London geborene Exil-Iranerin ist und ganz offensichtlich genau weiß, was sie tut, darf man in dieser zweiten Hauptfigur die unvereinbaren Rollen aller nicht nur iranischen Frauen erkennen, die man auch politisch ernst nehmen sollte: Kälte wie Wärme, der Wunsch nach Autonomie und sexueller Freiheit, wie der nach sozialer Geborgenheit verkörpern sich hier.
Dies ist sehr besonderes, unbedingt sehenswertes Kino. Und es ist, allen Zitaten zum Trotz, ein überaus origineller, einfallsreicher Film. Dieser Einfallsreichtum liegt in der Kombination der verschiedenen Elemente und in einem Formalismus, der nicht das Gegenteil von Tiefe ist, sondern deren Voraussetzung.