USA 2014 · 149 min. · FSK: ab 16 Regie: Paul Thomas Anderson Drehbuchvorlage: Thomas Pynchon Drehbuch: Paul Thomas Anderson Kamera: Robert Elswit Darsteller: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Owen Wilson, Katherine Waterston, Reese Witherspoon u.a. |
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Wunderschöne narrative Linien |
»She came along the alley and up the back steps the way she always used to do. Doc hadn’t seen her for over a year. Nobody had. Back then it was always sandals, bottom half of a flower-pring bikini, faded Country Joe & the Fish T-shirt. Tonight she was all in flatland gear, hair a lot shorter than he remembered, looking just like she swore she’d never look.«
Thomas Pynchon, Inherent Vice
Thomas Pynchon ist nicht nur einer der großen modernen Klassiker amerikanischer Literatur; seine Entscheidung, sich seit 40 Jahren der Öffentlichkeit zu entziehen, ist auch Teil der amerikanischen Populärkultur. Die Sekundärliteratur zu seinem Werk übersteigt das Originalwerk exponentiell; die Leseanweisungen zu seinem Opum Magnum »Gravity’s Rainbow« sind legendär. Umso erstaunlicher war es deshalb, als Pynchon 2009 »Inherent Vice« veröffentlichte, der für seine Verhältnisse fast massentauglich war. Ein facettenreicher Detektivroman, der Ende der 1960er spielte und sowohl die extremen Parallelwelten von Hippikultur und moralischem Mainstream als auch ihre Korrumpierbarkeit voller Witz und durchgeknallter Ironie porträtierte. Paul Thomas Anderson hatte immer wieder mit dem Gedanken gespielt, eines von Pynchons Büchern zu verfilmen, ohne jemals eine adäquate Lösung für die Komplexität von Pynchons Plots gefunden zu haben; bei »Inherent Vice« sah die Sache erstmals anders aus, schien Andersons sowohl humorvolle als auch komplexe Filmsprache (Magnolia, Punch-Drunk Love, The Master) erstmals mit der literarischen Sprache von Pynchon kompatibel zu sein. Während sich die Dreharbeiten zu The Master (2012) verzögerten, adaptierte Anderson die 384 Seiten von Pynchons Romans Satz für Satz für einen ersten Entwurf, dem etliche weitere folgten, bis die Endfassung schließlich sogar die Zustimmung von Pynchon selbst erhielt.
Pynchon dürfte auch den fertigen Film mögen. Denn Andersons Inherent Vice verrät Pynchons erzählerische Dichte an keiner Stelle, sondern bereichert sie stattdessen um eine grandiose filmische Umsetzung der flimmernden Emotionen, der latenten Aggressionen und eines subtiles Witzes, der das Buch in fast jeder Zeile durchströmt. Weshalb es irgendwann auch fast zur Nebensache wird, die vertrackten Nachforschungen von »Doc« Sportello (Joaquin Phoenix) in ihrem ganzen Umfang zu verstehen. Dessen Dauerkiffen wird irgendwann genauso zur Selbstverständlichkeit wie seine durch Marihuana und Nikotin sedierte Wahrnehmung. Joaqin Phönix erinnert dabei an eine bizarre Mischung aus Peter Fonda in Easy Rider und Bradeley Cooper in American Hustle. Aber nicht nur seine Rolle trägt zahlreiche verspielte Verweise, der ganze Film ist wie ein Wirklichkeit gewordener Drogendauerrausch: Chandlers »The Long Goodbye« vermengt sich mit dem Humor der Filme von Zucker, Abrahams und Zucker und den »Fabulous Furry Freak Brothers«-Comics von Gilbert Shelton.
Doch selbst diese schon außergewöhnlich umfangreiche Inspirationskette trifft es nur in Ansätzen. Denn Andersons Film ist nicht nur durchgeknallt, drogenverfilzt und anspielungsreich. Er folgt außerdem konsequenten, wunderschönen, narrativen Linien, die zwar Abwegen Raum lassen, aber auch in zweieinhalb Stunden nie den Faden verlieren. Dabei hilft auch die großartige Erzählerstimme der Singer/Songwriterin Joanna Newsom – weshalb in diesem besonderen Fall einmal von den in den letzten Jahren immer besser gewordenen Synchronisationen abgeraten sein soll. Denn wie verschlungen Joanna Newsom die Erzählpassagen intoniert, erinnert nicht nur auf äußert delikate Weise an ihre harfenbegleiteten, verschlungenen Songarrangements, sondern ist gleichsam die Stimme Pynchons selbst, der Klang seiner Prosa, die wie ein filigraner Taktstock den Rhythmus des Films bestimmt.
Was für die Erzählstimme gilt, trifft erst Recht für die Besetzung der übrigen Rollen zu, die mit Josh Brolin (als Polizist und Vertreter der herrschenden Moral), Owen Wilsen, Katherine Waterston, Reese Witherspoon, Benicio des Toro und Jena Malone eine manchmal kaum zu begreifende, formvollendete Synthese bilden. Eine Folge wohl auch der Dreharbeiten, die mit ihren mehr oder weniger organisierten Chaoselementen gleichermaßen den Geist der 1968er evozierten – sei es aus Andersons Bestrebungen, damit authentischer arbeiten zu können oder sei es, dass die Macht des Stoffes einfach stärker als alles andere war. Oder ist es vielleicht die Macht und der Geist dieser Epoche selbst, der sich allen bemächtigt hat?
Wie verblüffend genau – historisch, inhaltlich wie auch filmästhetisch – Anderson die Hoffnungen, den Kampfeswillen, aber auch die Naivität, die ausgeprägte Neugierde es mit allen Elementen aufnehmen zu wollen (auch wenn das Verrat an den eigenen Idealen bedeutet) – mit Inherent Vice trifft, zeigt vielleicht am schönsten ein Abgleich mit Promotional-Footage aus den großen Tagen der Doors, dessen hier gesungene Passagen den Geist von Andersons Inherent Vice nicht besser treffen könnten:
Takes it easy, baby
Take it as it comes
Don’t move too fast
And you want your love to last
Oh, you've been movin' much too fast
The Doors, Take it as it comes
(Source: 1968-04-20 CNE Coliseum – Toronto,
Ontario, Canada; »Not To Touch The Earth«)
Kurzum: Inherent Vice ist ein herrlicher Spaß, ein geiler Rausch, ein großer Film!