Das Mädchen mit dem Perlenohrring

Girl with a Pearl Earring

GB/L 2003 · 101 min. · FSK: ab 6
Regie: Peter Webber
Drehbuch:
Kamera: Eduardo Serra
Darsteller: Scarlett Johansson, Colin Firth, Tom Wilkinson, Judy Parfitt u.a.
Scarlett Johansson und Colin Firth

Die Geschichte von Das Mädchen mit dem Perlen­ohr­ring spielt im nieder­län­di­schen Delft, 17. Jahr­hun­dert. Die 16jährige Griet (Scarlett Johanson) kommt als Dienst­magd in das Haus des Malers Jan Vermeer (Colin Firth). Darf sie zuerst nur das Atelier putzen, wird sie bald zu seiner heim­li­chen Assis­tentin, dem Maler schließ­lich Muse und Modell.

Es ist eine Geschichte vom Aschen­puttel, das sein wahres Wesen zu erkennen gibt, als ihr der Perlen­ohr­ring ihrer Herrin angepasst wird. Eine Geschichte, die wie das Märchen auf sexuelle Erweckung hindeutet, wo das Stechen des Ohrlochs auch Symbol für das Pene­trieren ist, das aber – ganz nach den triebtheo­re­ti­schen Lehr­sätzen Sigmund Freuds – in Kunst subli­miert wird. Eine Geschichte auch der Klas­sen­ver­hält­nisse: Ein Mäzen hält sich Maler und Modell als verfüg­bare Objekte, die Magd muss am Ende Magd bleiben und sich im klas­sen­be­wussten Ersatz­ob­jekt, dem Metz­ger­sohn, ein Ventil für ihr Begehren suchen. Letztlich ist alles vorge­zeichnet.

Da kann durchaus ein wenig Ermüdung aufkommen. Nicht nur die absehbare Geschichte ist daran schuld, auch Scarlett Johanson trägt dazu bei, wenn sie Sinn­lich­keit und Sinnes­be­ga­bung allzu oft mit leicht geöff­neten Erdbeer­mund und stau­nenden Augen demons­triert. Die perma­nente Musik­un­ter­ma­lung will betören und hebt dabei nur das Rühr­se­lige der Geschichte hervor.

Die Abseh­bar­keit der Handlung ist dennoch keine wirkliche Schwäche des Films. Denn gerade das Wissen um den Gang der Geschichte gibt für Das Mädchen mit dem Perlen­ohr­ring Raum, im Augen­blick der Bilder zu verweilen. Der Film hält immer wieder die Geschichte an, verliert sich in male­ri­schen Moment­auf­nahmen, in Stilleben der Ereig­nisse. Die Dienst­magd posi­tio­niert sich im Türrahmen, ihr Blick ist gesenkt, die Haube schimmert in cremigem Weiß. Durch Butzen­scheiben dringt gedämpftes Licht in warmen Braun- und Gelbtönen, in einem an das 17. Jahr­hun­dert gemah­nenden Interieur. Aus den Körben, die die Mägde vom Markt in das herr­schaft­liche Haus tragen, hängen schlaff die Gänsehälse, das Gemüse, das sorg­fältig auf dem Schnei­de­brett arran­giert wird, ist violett und dunkel­grün. Jedes Bild, das Peter Webber in seinem Debütfilm findet, ist eine Anspie­lung an die Bild­lich­keit der Nieder­län­di­schen Malerei und des Vermeer von Delft.

Auch wenn das Bemühen, im Set nach­zu­bilden, was die Malerei bereit­hält, gelungen und über­zeu­gend ist, fehlt gerade an der Stelle der Bild­re­fle­xion das, was Das Mädchen mit dem Perlen­ohr­ring zum wirklich großen Film machen könnte. Peter Webber geht letztlich nicht über die angehäuften Bild­zi­tate hinaus. Sie sind motiv­ge­bend für den Maler und zugleich wieder­holen sie nur Motive der Malerei, ein insze­na­to­ri­scher Zirkel­schluss, in dem die Malerei immer nur Thema des Films bleiben kann. Nie gehen die male­ri­schen Momente auf das rein Filmische über, auf Kamera, Schnitt, Tiefen­schärfe. Das Kinobild wird nicht selbst zum Gemälde, es zeigt vielmehr das Gemälde als Abbild, das Kinobild als Imita­tionen der Nieder­län­di­schen Malerei in Licht, Dekor und Kostümen.

Sie schaut uns an, seit 300 Jahren, und wir schauen zurück, fragend, rätseln, was wohl dahin­ter­steckt, hinter ihrem geheim­nis­vollen Blick. »Das Mädchen mit dem Perlen­ohr­ring« ist das berühm­teste Bild von Jan Vermeer van Delft, einem der berühm­testen Maler der Kunst­ge­schichte. Niemand scheint ihm zu gleichen. Wenige Bilder hat er überhaupt gemalt, unend­liche Mühe noch ins kleinste Detail gesteckt. Vermeers Gemälde sind hoch­kom­pli­zierte Zeichen­sys­teme, die einem auch nach Jahr­hun­derten noch viele Rätsel aufgeben. Obwohl man zumeist sehr viel weiß. Fast alle Personen auf seinen Bildern haben die Kunst­his­to­riker zum Beispiel genau iden­ti­fi­ziert, über viele könnte man ein Buch schreiben. Nur über jenes junge Mädchen weiß man gar nichts, noch nicht einmal ihren Namen. War sie die Tochter des Malers oder ein Straßen­mäd­chen, gab es sie überhaupt oder exis­tierte sie viel­leicht nur im Künst­ler­hirn?

Peter Webbers Film, der so heißt wie das Bild, versucht jetzt diese Lücke zu füllen; Tracy Cheva­liers erfolg­rei­cher Roman bildet die Basis. Eine wilde Phantasie, eine gewagte, dabei ganz reizende Speku­la­tion. Zugleich die Suche nach einer verlo­renen Zeit. Denn zunächst einmal erzählt der Film von den kleinen Dingen, dem Profanen, einem jungen Mädchen, das sich aus Armut als Dienst­magd verdingen muss. Das Leben ist hart, dreckig, kalt; es gibt wenig, auf das man sich verlassen kann. Das Haus des Künstlers Vermeer, das zeigt sich bald, ist auch nicht so prächtig, wie es von Außen wirkt: Geldnot und Stan­des­dünkel, Geiz und Neid domi­nieren. Und mitten darin sitzt der Künstler (Colin Firth, mal wieder in einem Histo­ri­en­s­tück) und vertei­digt seine Kunst, seine Schaf­fens­frei­heit gegen die Zwänge der Welt. Kunst gegen Leben, ein moderner Gegensatz, der, möchte man vermuten, viel­leicht zu Vermeers Zeiten noch gar nicht als so starker Wider­spruch empfunden wurde. Aber eine gute Grundlage für einen Film.

Peter Webber schwelgt zunächst einmal in seinen Bauten, den Kleidern und dem Aussehen seiner Figuren, im gött­li­chen Vergnügen jedes Kostüm­films, eine ganze Welt möglichst exakt aufer­stehen zu lassen. Sehr oft sieht sein Film, dessen Bilder der bekannte portu­gi­si­sche Kame­ra­mann Eduardo Serra gestal­tete, selbst an der Ober­fläche aus, wie ein Bild von Vermeer. Glänzend haben Serra und Webber das einmalige Licht des Malers auf die Leinwand gebracht. Man sieht das gern, möchte verweilen, aber mit der Zeit wird daraus auch ein wenig brave, schöne Lange­weile. Doch zum Glück gibt es noch Scarlett Johannson. So schwei­gend, enig­ma­tisch, wie sie kürzlich Lost in Trans­la­tion durch Tokio driftete, so schwebt sie nun als Dienst­magd Griet im Vermeer-Haus herum. Kaum ein Wort sagt sie dabei, dafür sprechen ihre Augen. Zu Vermeer und zu uns. Wir Zuschauer lesen in sie hinein, was wir wollen, und weil sie das zulassen, offen und zugleich präsent sind, ist Johannson tatsäch­lich eine Ideal­be­set­zung für diesen Part.

Genau­ge­nommen passiert sehr wenig in diesem Film, aber das passiert auf so schöne Weise, das wir uns fast alles – Sex, Macht, Geld – dazu denken können. Das Mädchen mit dem Perlen­ohr­ring ist, wie gesagt eine Phantasie. Ihr Zentrum bildet nicht der Dekors, nicht die hoch­in­ter­es­sante, sicher gut recher­chierte Schil­de­rung vom Handwerk eines Malers im 17.Jahr­hun­dert, noch nicht einmal die schönen Augen seiner Haupt­dar­stel­lerin, sondern die kompro­miss­lose Leiden­schaft eines Künstlers. Diese Leiden­schaft bildet der Film wunderbar ab, ihm selbst scheint sie aller­dings eher zu fehlen – zu perfekt, zu bruchlos glänzen seine Bilder.