USA 1985 · 78 min. · FSK: ab 12 Regie: Gus Van Sant Drehbuch: Gus Van Sant Kamera: John Campbell Darsteller: Tim Streeter, Doug Cooeyate, Ray Monge, Nyla McCarthy, Sam Downey u.a. |
Mala Noche a.k.a. Bad Night ist das Debüt von Gus Van Sant, das der US-Regisseurs bereits 1985 mit 33 Jahren drehte, lange bevor er mit Drugstore Cowboy, My Own Private Idaho und Even Cowgirls Get The Blues Kultstatus erlangte.
Schon dieses, nach Walt Curtis‘ Vorlage entstandene Debüt wurde schnell Kult in Insiderkreisen, und gleich doppelt zum Schlüsselfilm einer Subkultur: Des »new queer cinema« und der neuen Generation des US-Independent-Kinos genau zu dem Augenblick, als es seinen Höhepunkt erreicht hatte und begann, sich dem Gegner Hollywood und damit dem Mainstream zu öffnen.
Doch die naheliegende Einordnung dieses Films in die Kategorien des Minderheiten-Kinos ist womöglich nicht sehr hilfreich. Denn Van Sant ist einer der wenigen echten Autoren des US-Kinos, und schon seine erste Arbeit ist weit mehr, als ein »Spartenfilm«.
Mit einem Budget von nur 25.000 Dollar überaus billig produziert, wurde der Film auf 16mm gedreht. Die restaurierte Fassung, die jetzt in die Kinos kommt, ist auf 35mm »aufgeblasen« worden. Wie andere, vergleichbare Meilensteine des Independent-Kinos der Epoche, Jarmuschs Stranger Than Paradise und Spike Lees She´s Gotta Have It ist dieser Film auf Schwarzweiß gedreht worden – bis auf einige wenige kurze, nur wenige Sekunden dauernde Momente – und ist besser, als beide andere Filme.
Van Sant, der Design und Photographie studierte, legt schon in seinem Debüt Wert auf ausgefeilte, in der Wirkung unkonventionell-individuelle Bildgestaltung: Bilder und Lichtsetzung, Kamera und Schnitt sind voller Remineszenzen an die 50er Jahre, ihren Geschmack, und ihr rebellisches Lebensgefühl. Dazu gehört die »Wildheit« suggerierende, vom Soundtrack unterstützte Subjektivierung und Beschleunigung der Bildperspektive. Für Ordnung sorgt vor allem der Off-Kommentar, sowie die weitgehend chronologische, wenn auch über betonte Brüche voranspringende, chronologische Narration, die nur gelegentlichen von »flanierenden«, driftenden Passagen in die Breite gezogen wird.
Vor allem die zahlreichen Nachtaufnahmen sind geprägt von scharfen Hell-Dunkel-Kontrasten, das Licht aus Straßenlaternen oder Neonlichtern wirft gleißende Kegel in die schwarze Nacht, und Van Sants Kamera geht deinerseits nahe an die Menschen und ihre Gesichter heran, lässt andererseits oft größere Teile nahezu unsichtbar im Dunkel. Man kann bereits hier an Bela Tarr und seinen hochgradig stilisierten Neoexpressionismus denken, der heute ein erklärtes Vorbild für Van sants Filmemachen, insbesondere für den Einsatz der Kamera ist.
So deutlich die Anklänge an das Lebensgefühl der 50er Jahre auch sind, so unverkennbar ist Mala Noche doch in seiner Entstehungszeit verhaftet. Dies ist auch eine Momentaufnahme aus dem Portland und der nördlichen US-Westküste der 80er, und der grassierenden Orientierungslosigkeit der »Generation X«, dem Ende der Utopien im Scheinwohlstand der Spätphase des Kalten Krieges, und damit ein Dokument eines Zeitgeists, in dem Gefühle von Desorientierung und Fragmentierung dominieren.
Mala Noche erzählt vom Clash zweier Welten aus der Perspektive einiger Wochen im Leben des jungen Walt, der in einem heruntergekommenen Stadtviertel von Portland einen Getränkeshop betreibt: In den ersten Momenten des Films hat man gesehen, wie zwei Latino-Jünglinge als blinde Passagiere eines Güterzugs nach Portland gekommen sind, jetzt lernt man sie mit den Augen des blonden US-Jünglings kennen: Sie heißen Juancito (bald nur noch Johnny genannt) und Roberto (Pepper) und kamen illegal aus Mexiko, um hier ihr Glück zu machen. Beide schlagen sich so durch, immer auf der Hut vor der Einwandererpolizei und immer auf der Suche nach ein paar schnell verdienten Dollars. Hier lernt man auch schnell, dass das engelshaft-unschuldige Antlitz Walts auch den Blick ein wenig trübt: Er ist einerseits fürsorglich um die beiden bemüht, lädt sie zum Essen ein, bietet Unterkunft und Hilfe bei Krankheiten, andererseits ist seine Motivation keineswegs uneigennützig, sondern offen in sexuellem Interesse begründet. Besonders das unrasierte, raue Gesicht von Johnny hat es Walt angetan, aber als der sich verweigert, tut es für ihn auch Pepper – für die Gegenleistung von 15 Dollar. Wenn es darauf ankommt, spielt Walt seine doppelte Position der Stärke – Geld und Sicherheit vor Verfolgung – recht gnadenlos aus: die moderne Variante eines erzkapitalistischen Ausbeuters – der sich selbst womöglich noch als Wohltäter fühlt, gar nicht begreift, was er den beiden Mexikanern antut.
Mala Noche ist insofern viererlei: Die Geschichte einer Amour Fou, deren Verortung im Schwulenmilieu denkbar beiläufig und in offenem Gegensatz zu Helden des »Queer Cinema« wie Derek Jarman oder Todd Haynes inszeniert ist – es geht hier um Liebe, nicht um »schwule Identität«. Dann eine Untersuchung über Cultural Clashs und Rassismus in westlichen Gesellschaften (inklusive ihrer Homosexuellenszene, die Van Sant fern ist, zu verklären); überdies ein Film über Ausbeutung und Machtverhältnisse, eine Untersuchung über Entfremdung in der Moderne, in der auch der Körper in all seinen Verwertungsmöglichkeiten zum Handelsgut mutiert.
Und schließlich aus heutiger Perspektive die frühe, beeindruckend souveräne Visitenkarte des Filmautors Gus Van Sant, der dessen späteres Werk in nuce bereits enthält, und gerade dessen letzten Filmen, dem zugedröhnten Grounge-Melo Last Days und der verträumten Pubertätsetüde Paranoid Park stilistisch am nächsten steht.