USA 2019 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: Tate Taylor Drehbuch: Scotty Landes Kamera: Christina Voros Darsteller: Octavia Spencer, Juliette Lewis, Luke Evans, Diana Silvers, Missi Pyle u.a. |
||
Sieht doch eigentlich ganz nett aus, oder? |
Ja, Jugendliche sollten unbedingt freien Zugang zu Alkohol haben. Denn sonst, so führt es der neue Film von Tate Taylor vor, kann es sein, dass sie an einen Psychopathen geraten, der die Notsituation der feierwütigen Teens auf brutale Weise ausbeutet. Ma hat Taylor seine Horror-Groteske kurz und knapp genannt, in der er eine Frau wie im Märchen vom bösen Wolf und den sieben Geißlein Kreide fressen lässt, damit sie in deren Sphäre eindringen und anschließend den jungen Dingern nach dem Leben trachten kann.
Damit das überhaupt gelingen kann, bedarf es der Absurdität der amerikanischen Gesellschaft. Denn während die fünf Highschool-Jugendlichen, um die es hier geht, in einem Kaff von Ohio in ihrem zarten Alter von 16 Jahren zwar bereits einen Van fahren dürfen, was ihren Aktionsradius auf gefährliche Weise auszudehnen erlaubt, sind sie gleichzeitig dazu verdammt, vor einem Supermarkt fremde Menschen anzuhauen, ob diese nicht für sie Alkohol kaufen könnten. Nur eine erklärt sich schließlich dazu bereit: die titelgebende Ma, mit bürgerlichem Namen Sue Ann, eine vertrauenserweckende Tierarzthelferin des Ortes. Sie kauft nicht nur bereitwillig kistenweise Hochprozentiges für die Teens, sondern richtet für sie sogar in ihrem Haus einen Partykeller ein, in dem bald rauschende Feste gefeiert werden.
Das abgelegene Haus im Wald, dessen obere Stockwerke mit einem Betretungsverbot verhängt sind, wird natürlich bald der Schauplatz für merkwürdige Dinge. Nach und nach kommen den Mädels Schmuckstücke abhanden, alle leiden generell unter Gedächtnisverlust, der mehr sein muss als nur ein alkoholinduzierter Filmriss. Dennoch kann sich das Unbehagen bezüglich der Nettigkeit von Ma nur ganz allmählich in das Bewusstsein der naiven Teenager einschleichen, denn teens just wanna have fun.
Die ausladende Afroamerikanerin Octavia Spencer, die 2011 mit Taylors Rassendrama The Help in der Rolle einer schwarzen Bediensteten einen Oscar gewonnen hat, verkörpert mit gekonnter Virtuosität die Verführerin. Ma erscheint dabei wie eine maliziöse Umdeutung des Klischees von der guten »Mammy«, dem Stereotyp der fürsorglichen schwarzen Kinderfrau; als »Ma« mit den mütterlichen Kurven und dem niedlichen Katzenmuster auf ihrem Arzthelferkittel sorgt sie sich ebenfalls um das Wohl der Kinder, allerdings genau so, wie es die weißen Herrschaften bitte lieber nicht wollen.
Taylor spielt so auch bewusst auf der Klaviatur der Vorurteile über dicke, schwarze Menschen in einer überwiegend weißen Kleinstadt: Sue Ann hat eine nicht unerhebliche Backstory Wound, die in ihre eigene Highschoolzeit zurückreicht, als sie auf dieselbe Schule wie die von ihr eingesammelten Teenager ging. Wie im übrigen auch deren Eltern, die sie nach allen Regeln der Kunst gemobbt hatten. Deren Kinder sind nun für Sue Ann fleischgewordene Voodoo-Puppen, um sich nach so langer Zeit an dem peinvollen Schmerz, den sie erlitten hat, zu rächen.
Bis es zum fiesen Showdown kommt, ist Ma vor allem ungemütlich und von eher banalem Horror, der seinen Reiz genau daraus bezieht, dass er mit offenen Karten hantiert. Wie auch in Greta, in der Isabelle Huppert eine ähnlich konstruierte Mädchenfängerin spielt, setzt auch Ma auf den Horror der Social Media; nicht umsonst heißt es bei Jugendlichen, wenn sie jemanden im Netz verfolgen, »stalken«. Produziert hat den Film Jason Blum, der auch bereits die Blackness-Horrorfilme Jordan Peeles Get Out und Wir verantwortete. Ma knüpft zu Teilen an diese junge Tradition an, zeigt sich dabei zwar weniger philosophisch (und auch weniger meisterlich), schafft es aber dennoch, aus dem Milieu der All-American-Highschoolfilme etwas Neues, Modernes zu schaffen.
Unter all dem Vergnügen, das Ma bereitet, lauert aber auch eine pädagogisch wertvolle Message, die dann wiederum bestens zum Regisseur von The Help passt: Sei vorsichtig bei dem, was du postest, vertraue niemandem, trinke keine Getränke aus Gläsern, die du nicht selbst dort hinein gegossen hast (aus selbst geöffneten Flaschen, versteht sich). Aber auch: Sei nicht zu angepasst, pfeif auf den Gruppenzwang und sei vor allem nett zu anderen. Denn es könnte dir eines Tages nützlich sein.
Das Moralinsaure des Films passt zum märchenhaften Setting vom abgelegenen Haus im Wald mit seinem dunklen Geheimnis, zum Wolf im Schafspelz und den naiven Opfern, die sich verführen lassen. Und wie alle Märchen ist auch Ma mit seiner offensichtlichen Botschaft leicht zu durchschauen. Am Ende wird die alte Ordnung dann noch durch einen ziemlich brutalen Twist wieder hergestellt, der zitiert, wie viele Märchen enden – mit einer gefährlichen Note, denn hier wird die Schwarze zum Wohle der Gemeinschaft geopfert. Aber immerhin durfte die Schwarze hier mal wieder die Böse sein. Tate Taylor emanzipiert sich in seinem Film von den positiven Rassenklischees und ebnet nun den Weg eines Erzählens, das in ferner Zukunft tatsächlich vorurteilsfreie und unaufgeregte Diversity beinhalten könnte.