Deutschland/Ö/CH 2009 · 110 min. · FSK: ab 12 Regie: Urs Odermatt Drehbuch: Martin Lehwald Kamera: Jo Molitoris Darsteller: Götz George, Tom Schilling, Anna Unterberger, Bernd Birkhan, Wolf Bachofner u.a. |
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Es menschelt: Hitler und die blonde Gretel |
Backenkochen mahlen, Tränen schießen in Augen in Nahaufnahme – ein junger Mann steht in altmodischer Kleidung an einer Eisenbahnbrücke, den Strick um den Hals, dann stürzt er sich hinab. Dieses Bild erschließt sich erst später. Denn der junge Hitler hat sich ja bekanntlich leider nicht irgendwann in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg umgebracht.
Der Titelvorspann läuft über einige Seiten von Hitlers »Mein Kampf«, dann sieht man einen mageren, spürbar unsicheren Jüngling in einem Zugabteil, in armen Klamotten, mit Dreck um die Fingernägel – genauer gesagt: Theaterschminke. Künstlich dramatisierende Musik, lässt diese ersten Minuten, in denen der junge Mann im Wien nach der Jahrhundertwende ankommt als wäre es ein Abenteuer, ein Coming-of-Age-Drama, in dem ein x-beliebiger Teenager sich selbst und die Welt entdecken wird. Der Film hüllt sich und seine Zuschauer so in künstliche Naivität, in die Pose des Unwissens, als wäre diese Geschichte offen, als wäre es nicht für die Allermeisten im Publikum von vornherein klar, dass es her um keinen anderen als Adolf Hitler geht, und dessen »Wiener Lehr und Lebensjahre« wie das Kapitel über diese Episode – »die traurigste Zeit meines Lebens« – in Hitlers »Mein Kampf« überschrieben ist.
George Taboris großartiges Stück ist gerade das Gegenteil all solcher Naivität. Und so ist die Text-Passage »frei nach Tabori«, mit der der Film eigeleitet wird, eher als eine Drohung zu verstehen. Weniger Freiheit gegenüber dem Stoff, genauere Lektüre und tieferes Textverständnis hätte dem Film gut getan. Taboris Stück, das nach seiner Uraufführung 1987 zu einer der meistgespielten Theatererzählungen der Neunziger Jahre wurde, ist das Gegenteil eines naturalistischen Kostümschinkens, und auch keine Spekulation alternativer Geschichtsschreibung – sondern ein Versuch, die Neurosen im jungen Künstler freizulegen. Der Autor zeigt den jungen Hitler allerdings auch als hochgradig psychotisches und elternfixiertes großes Kind: »Mein Vater hat...«, »Meine Mutter hat...« hört man ihn oft etwas begründen und erzählen, auch in diesem Film. Der allerdings illustriert dies mit nachinszenierten Kindheitserinnerungen, die unverhofft in die Handlung hineingeschnitten sind. Da verwandelt sich die Farce Taboris in Psychologisierung und Einfühlung.
Taboris Hauptfigur ist der jüdische Obdachlose Schlomo Herzl. Nachts verkauft er Bücher, vor allem die Bibel, am Tage wohnt er in einem Wiener Männerheim und Obdachlosen-Asyl und arbeitet an einem Buch, das er schreiben möchte: »Mein Kampf«. Im Asyl begegnet ihm auch ein arbeitsloser Möchtegernkünstler namens Adolf Hitler, der unbedingt auf die Kunstakademie aufgenommen werden will. Zwischen Herzl, der gerade an seinen Memoiren schreibt und einen Titel sucht (»„Mein Kampf“?« – »Jetzt ham Sie’s!«), und dem jungen Kunstmaler-Aspiranten aus Braunau entwickelt sich schnell eine hochambivalente Beziehung. Herzl unternimmt einige auch in Ansätzen erfolgreiche Erziehungsversuche und wird eine Art väterlicher Freund. Er unterstützt Hitler nicht nur mit guten Ratschlägen und Lebensweisheiten, sondern er schenkt ihm seinen Mantel, stutzt ihm den Bart zum sattsam bekannten »Hitler-Schnauzer« zurecht. »Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Niemand liebt mich«, sagt der zukünftige »Führer« in einem Anfall von Verzweiflung. »Doch ich«, antwortet Herzl. Umgekehrt lehnt Hitler ihn aufgrund deutschnationaler Neigungen ab und verrät ihn schließlich.
»Wenn meine Zeit gekommen ist, werde ich Dich angemessen entlohnen«, sagt er einmal, und wir im Publikum hören das Schicksal schwanger gehen. So raunend ist die Inszenierung oft, so ist das Stück Taboris wohl auch mal. Insofern macht Odermatt gerade die Schwächen des Stücks stark – die supersymbolschwangere Konfrontation zwischen Juden und zukünftigem Mörder, die Psychologisierung, den behaupteten Zufall, dass ein Jude den zukünftigen Völkermörder rettet und dessen öffentliche Persona designt –, während dessen Stärken untergehen: die Charge Hitler, der theologische Schwank, von dem Tabori selbst sprach.
Vor allem ästhetisch scheitert Mein Kampf schon in der Grundkonzeption: Historischer Naturalismus wird durch ein hohes Budget noch lange nicht zum Selbstläufer, er funktioniert allenfalls durch Genauigkeit im Detail. An der fehlt es in vielen Stellen: Weder gelingt eine überzeugende Nachzeichnung des Wiens um 1910 – gedreht wurde vor allem in Zittau, noch ein plausibles Bild von Sprache und Bewegungen dieser Zeit. Überall dagegen setzen die Ausstattungen ihre schiefen Ausrufezeichen, staubt der Kostümfundus, wackeln die löchrigen Kulissen des Historienkinos. Koffer werden geschleppt und Lastkisten gezogen, die sichtlich und »spürbar« leer sind. Die Sprache ist gestelzt und historisierend, mal fallen die Darsteller in ihre eigene Sprache zurück, dann wieder werden eingeübte Dialekte aufgesagt. »Theaterhaft« ist für all das noch eine freundliche Umschreibung – denn auch das Theater ist heute schon 40 bis 50 Jahre weiter.
So verfällt Mein Kampf den bekannten Schwächen der Bilderzählungen des Nationalsozialismus und des Historienkinos des letzten Vierteljahrhunderts: Die braungraue Palette, Schauspieler die bis zur absurden Wiedererkennbarkeit zurecht geschminkt und maskiert sind, die Posen historischer Figuren chargieren – Tom Schilling als Hitler, im bekannten Tonfall, aber »jugendlich«, Götz George zugleich »jiddelnd« und bramarbassierend im tiefen, gurgelnden Ufa-Ton der Großschauspielerpose – so trivialisiert der Film die historische Figur Hitlers und ist damit missglückten Werken wie Der Untergang viel näher, als ihm lieb sein kann. Ohne Frage liegen manche Gefahren aber bereits in Taboris Ansatz einer Entzauberung – und die interessanteste Frage, die dieser Film stellt, ist dann die, wie gut eigentlich Taboris Stück ist, und wieviel der schlechte Schauspieler und Schmierenkomödiant Figur Hitler eigentlich im Ernst hergibt. Nicht »Wieviel Hitler steckt in uns?« fragt man sich hier, sondern: »Wieviel Kitsch und Quatsch steckt in Taboris 'Mein Kampf'?« Auch das ist immerhin ein produktives Ergebnis.