Deutschland/USA 2000 · 122 min. · FSK: ab 12 Regie: Wim Wenders Drehbuch: Nicholas Klein Kamera: Phedon Papamichael Darsteller: Jeremy Davies, Milla Jovovich, Mel Gibson u.a. |
Wim Wenders erhält auf der Berlinale 2000 einen silbernen Bären für seinen neuen Film. Und das Geschrei ist erwartungsgemäß groß. Wen man in den zwei Festspielwochen auch fragte, keiner konnte sich für den Eröffnungsfilm so richtig begeistern.
Warum, darüber könnte man lange spekulieren, denn der Film ist bei Weitem nicht so schlecht, wie er gemacht wird. Wenders versteht ohne Zweifel sein Handwerk und präsentierte einen wohldurchdachten, gut komponierten Film, geschlossen,
wenn auch manchmal übertrieben elegisch erzählt.
Die erste Fahrt gibt die Richtung an. Die Kamera schwebt aus der Vogelperspektive langsam auf Höhe der Dächer von Los Angeles, macht auf dem des »Million Dollar Hotels« einen kurzen Zwischenstop, um den »Helden« Tom-Tom aufzunehmen und ihn bei seiner letzten Entscheidung, dem Sprung in die Tiefe, zu begleiten. Ein langer Anlauf und der Protagonist fällt in Richtung der Straße, wirft einen letzten Blick in die Zimmer der Bewohner des Hotels und unterbricht die Zeitachse kurz vor dem
tödlichen Aufschlag, um dem Zuschauer zu berichten, was ihn zu seiner Tat veranlaßt hat und wieso er gerade in diesem Augenblick das Leben wunderschön findet.
Topographisch und thematisch ist The Million Dollar Hotel somit verankert. Es geht nach Unten, in die Niederungen der Gesellschaft, zu den Outsidern, Freaks, die durch das soziale Netz gefallen sind. Die üppigen Bilder bilden ein Tableau, auf dem sich das Verdrängte, die Vergessenen entfalten können. Die
Aufnahmen der Kamera verbinden das Innere des Gebäudes mit der Außenwelt. Die Geschichte dreht sich um das Verhalten und die seltsam familiären Beziehungen der Hotelbewohner und macht diese transparent.
Die Kriminalgeschichte, die den Ausgangspunkt der Erinnerungen Tom-Toms bildet, bleibt eine Finte, eine lose Struktur, die die Bildwelten organisiert, ohne ein wirkliches Spannungsmoment zu erzeugen.
Ein Millionärssohn ist ebenfalls vom Dach gefallen, sein reicher Vater ist überzeugt, dass es sich um einen Mord handeln muß und beauftragt den FBI-Agenten Skinner mit der Suche nach dem Schuldigen. Der Cop droht und manipuliert, aber letztlich löst er sich von seiner »Who done it?« Fragestellung um eine weitere Verbindungslinie in das Hotel zu sein.
Mit seinem Stützkorsett wirkt er zunächst wie ein verkappter Terminator, er ist hart, läßt die Dinge nicht an sich herankommen. Aber Stück für Stück befreit er sich von seiner bürgerlichen Fassade (die Heirat in Italien/ Sonne und Strand). Seine Entwicklung mündet in Identifikation und Sympathie mit den Parias. Nachdem er Eloise gerettet und sich dabei selbst verletzt hat, kommt die Wahrheit ans Licht: Er ist der König der Freaks, als Kind ist ihm ein dritter Arm aus dem Rücken gewachsen, er war das Prunkstück auf dem Jahrmarkt der anatomischen Anomalien.
Skinner geht den Weg der Erzählung, es wird Stück für Stück die rauhe, häßliche Oberfläche abgekratzt, um im Inneren Wertvolles und Schönheit zu entdecken (analog zu den Teerbildern, den Übermalungen). Konkret sind das die absonderlichen, aber deshalb nicht abscheulichen Eigenarten der Hotelbewohner, und die bezaubernde Liebe zwischen Eloise und Tom-Tom.
The Million Dollar Hotel schafft es dabei, nicht in den Sozialkitsch abzudriften. Besonders die »perfect love affair« ist zwar hart an der Grenze, die Beziehung erlebt aber dennoch genug Brüche (Tom-Tom und Eloise schlafen NICHT miteinander). Es entsteht eine Art »poetischer« Verklärung, auf die man sich getrost einlassen kann.
Ein bißchen Sozialkritik ist ja auch dabei. Der Umgang der Hotelbewohner mit den Medien, die nach dem Mordfall eine Sensation wittern, erinnert an Schlingensiefs Wahlkampfparole »Beweise, dass es dich gibt!«. Sichtbarkeit und damit Präsenz und damit Existenz im Reich des 24-Stunden-Fernsehens. Der Eintritt des Verdrängten in den öffentlichen Raum. Das Fernsehen als letzte Instanz der Wahrheitsfindung, des Geständnisses. Realität entsteht da, wo eine Kamera läuft, wo es Bilder gibt, bewegte Bilder, die nicht mehr zu leugnen sind. Die Bewohner des Hotels haben sich mit Allem abgefunden, dem sozialen Abstieg usw. Aber die Behauptung, einer von ihnen sei ein Nichts hat auch in diesem Milieu drastische Konsequenzen.
Eine solche Geschichte zu verfilmen, den schmalen Grat zwischen sozialer Realität (wie man sie sich bereits aus anderen Diskursen zusammengebastelt hat) und im Mainstream Kino erzählbarer Fiktion zu halten, schafft The Million Dollar Hotel ein ums andere Mal, zumal er auf wirklich überzeugende Schauspieler zurückgreifen kann. Und jenseits der Narration finden sich die Bilder. Das allein macht den Film sehenswert. Wenn Wenders am Ende des Filmes von der Großaufnahme des Gesichtes von Eloise in die Totale des Hotels überblendet, dann ist das ein wunderschönes, suggestives Bild.
Wenders ist ein reizvoller Film gelungen, die Entscheidung der Berlinale-Jury ist durchaus verständlich. Es ist nicht alles deutsch, was nicht glänzt.