Frankreich 2016 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: André Téchiné Drehbuch: André Téchiné, Céline Sciamma Kamera: Julien Hirsch Darsteller: Sandrine Kiberlain, Kacey Mottet Klein, Corentin Fila, Alexis Loret, Jean Fornerod u.a. |
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»My dream is alive« steht auf dem T-Shirt: die Sehnsucht hat sich erfüllt, die Schwerter kreuzen sich |
Wie kaum ein anderer Regisseur begreift André Téchiné seine Figuren vom Körper her. Seine Filme können immer als Versuchsanordnungen verstanden werden, in denen Körper ganz spezifischen Bedingungen ausgesetzt sind, in denen Körper auf andere Körpern reagieren, in denen Körper mit dem Raum um sie herum in Wechselwirkung treten.
So ist es ihm in seinen besten Filmen, wie etwa Rendez-vous (1985), J'embrasse pas (1991) oder Les roseaux sauvages (Die wilden Herzen) (1994), gelungen, bei aller erzählerischen Geschmeidigkeit und technischen Eleganz immer eine physische Rohheit und Direktheit in die Geschichten zu legen, ohne deswegen auf Formeln des Actionkinos zurückgreifen zu müssen.
An diese Meisterschaft vermag Téchiné mit seinem jetzt in die Kinos kommenden Film Quand on a 17 ans (Mit siebzehn) wieder anzuschließen, wenn er die zwei 17-jährigen Schüler Damien und Tom regelrecht aufeinander prallen lässt. Es geht damit an, dass Damien im Unterricht vor der Klasse mit aufreizender Lässigkeit herumwandernd, fast schon tänzelnd ein Rimbaud-Gedicht rezitiert (Rimbaud ist insofern signifikant für den Film, als der Titel einem Vers aus Rimbauds Gedicht »Roman« entnommen ist). Als er an seinen Platz zurückgehen will, stellt ihm Tom ein Bein, so dass der eben noch so souverän wirkende Damien zwischen den Tischen zu Fall kommt.
Die beiden Außenseiter (bei der Mannschaftswahl im Sport bleiben die beiden als letzte übrig) üben eine Anziehungskraft aufeinander aus, die sich lange nur als Tausch von Rempeleien und Schlägen artikuliert, und das derart heftig, dass sie damit letztlich auch mit der Institution Schule kollidieren, bis zum drohenden Rauswurf.
Téchinés Inszenierung einer Physik der Körper und ihrer Widersetzlichkeit suchte immer auch die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft, und Institutionen wie Polizei, Militär oder eben Schule bieten ihm Gelegenheit, eine entsprechende Disziplinierung von Körpern zu zeigen. Beim Beobachten der damit verbundenen Rituale erweist sich Téchiné immer wieder auch als eine Art Ethnograph der französischen Gesellschaft.
Wenn auch später im Film die französische Armee mit gewissen Ritualen noch einen Stellenwert haben wird, so liegt in Mit siebzehn darauf nicht der Schwerpunkt. Von der Institution Schule ausgehend, baut Téchiné um Damien und Tom herum nach und nach einen dichten räumlichen Kontext auf, der den angerissenen Konflikt überzeugend und unaufdringlich in einem konkreten Lebensmilieu verankert.
Tom benötigt jeden Tag eineinhalb Stunden, um von dem Bauernhof seiner Eltern in den Pyrenäen in die Schule in der Kleinstadt im Tal zu gelangen. Damit erweitert Téchiné den Raum der Figuren um die sehr sinnlich eingefangene Dimension der erhabenen winterlichen Berglandschaft: die verschneiten Wege und Wälder, die körperliche Arbeit auf dem Hof, nah an den Leibern der Tiere, all das wirkt wie ein ungeheurer Resonanzraum der Affekte, die in den menschlichen Körpern pulsieren.
Damiens Mutter Marianne ist Ärztin, ein Hausbesuch führt sie zur erkrankten Mutter Toms. Als diese ins Krankenhaus muss, beschließt Marianne, Tom bei sich aufzunehmen, nichts ahnend von der Feindseligkeit, die zwischen den beiden Schülern vibriert. Die Körper kommen damit räumlich näher zusammen, die Reibungsenergie erhöht sich, die Gewaltsamkeit der Schläge auch, das noch unartikulierte Begehren steigert sich.
Wie es dann so weit kommt, dass sich die beiden auch küssen, darin liegt das Besondere der Kunst Téchinés und seiner Mitautorin Céline Sciamma, die sich in ihren eigenen Filmen Tomboy (2011) und Bande de filles (2014) mit Problemen des Heranwachsens und der Gendernormen in unterschiedlichen Milieus beschäftigte.
Das Drehbuch zu Mit siebzehn bietet neben der homoerotischen Thematik genügend Handlungselemente und Familienprobleme auf, die für ein veritables Melodram taugen könnten: Damiens Vater ist Hubschrauberpilot bei der französischen Armee und zu einem Kriegseinsatz abkommandiert; Tom ist nordafrikanischer Abstammung und hat als Adoptivkind nun, da seine Mutter doch noch ein leibliches Kind erwartet, Angst, in der Familie bloß noch als Fremdkörper geduldet zu sein. Die Geschichte schließt sich im Rhythmus der Jahreszeiten fast zu einem ganzen Jahreskreis und umspannt so elementare menschliche Erfahrungen wie Tod und Geburt. Doch nie wirkt es so, als würden diese Elemente nur darum aufgeboten, um den Plot auf die Auflösung des versteckten Begehrensknotens hinzutreiben. Die Handlung wird zwanglos aus den genau veranschaulichten Lebensbedingungen der Figuren entwickelt, immer wieder fasst der Film Situationen in prägnante Details, die eine eigene sinnliche und physische Qualität, ja sogar ihre Komik haben, wie das lebendige Huhn, das Tom der Ärztin als Bezahlung anbietet und dem er angesichts ihrer Ratlosigkeit, was sie damit anfangen soll, umstandslos den Hals umdreht, so dass es von ihr dann als Weihnachtsbraten aufgetischt werden kann. Oder wenn Tom sich von dem Bauernsohn, den Damien über eine schwule Kontaktbörse im Netz aufgetan hat, mit aufrichtigem Sachinteresse den voll automatisierten Viehstall zeigen lässt.
Vor allem vermag Téchiné für seine körperbetonte und natürliche Inszenierung auch die großartigen Darsteller wunderbar einzusetzen: Sandrine Kiberlain (als Marianne), Corentin Fila (als Tom) und besonders Kacey Mottet Klein (als Damien), er ist schon in den Filmen der Französisch-Schweizerin Ursula Meier zu sehen gewesen, in Home (2008) und L’enfant d’en haut (Winterdieb, 2012).
Einen wesentlichen Beitrag zu der intensiven Wirkung von Téchinés Filmen leistete immer auch die raumerschließende Kraft der Kameraführung. Das gilt nicht minder für Mit siebzehn. Der auf 35mm-Material gedrehte Film (Kamera führte Julien Hirsch) begeistert nicht nur mit unverstellt schönen, nie selbstzweckhaften, nie nur dekorativen Landschaftsaufnahmen, er gibt der Kamera im Zusammenspiel mit den im Raum agierenden Figuren darüberhinaus auch eine eigene Präsenz, ja eine Körperlichkeit. Vor allem in den Szenen der physischen Kontaktsuche, die Tom und Damien umtreibt, überträgt sich das gegenseitige Belauern der beiden auf die schwankende Kamerabewegung, flackert im Kamerablick eine Unruhe, die erkennen lässt, wie sehr die Kamera selbst affiziert wird von den Körpern und deren Bewegung und deren Drängen, wie sehr es schließlich auch die Kamera drängt, eine direkte Berührung zu suchen. Daraus erwächst dem Film eine Kraft, die den Zuschauer fasziniert, ja anpackt.