USA 2000 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Brian De Palma Drehbuch: Lowell Cannon Kamera: Stephen H. Burum Darsteller: Gary Sinise, Don Cheadle, Connie Nielsen, Jerry O'Connell u.a. |
Die Oberfläche täuscht bei Brian De Palma immer. Nie kann man sicher sein, ob seine Bilder wirklich zeigen, was sie zeigen. Das erste was man diesmal zu sehen bekommt, ist eine Rakete. Stolz schießt sie in den Himmel, doch kurz darauf verpufft das merkwürdig leichte Ding mit einem albernen Platzen – es war nur ein Feuerwerkskörper, nicht etwa der Start des bemannten Marsflugs, der Thema wie Titel von De Palmas neuestem Film bildet.
Der Rest des Films ist diesem Auftakt nicht unähnlich: Pathetisch, zugleich ironisch, dabei von jener merkwürdigen -unfreiwilligen?- Albernheit der B-Movies aus den 50ern, bei denen ein heutiger Betrachter kaum mehr unterscheiden kann, was damals noch ernst und bedeutungsschwer gemeint war, oder schon subversiv.
Um seine Zuschauer hat sich De Palma noch nie viel gekümmert. Darin ist er, genauso wie in der Absage an jeden Glaubwürdigkeits-Realismus europäischen Filmemachern
viel ähnlicher als seinen Landsleuten.
Noch nie hat De Palma bisher einen Science-Fiction-Film gedreht, und wenn man Mission to Mars gesehen hat, versteht man auch warum. Denn alle Konventionen des Genres interessieren den Regisseur offensichtlich nicht. Vielmehr begegnet man auch hier wie in De Palmas sonstigen Filmen in erster Linie einer abstrakten Phantasie, einem Autorenfilm voller subjektiver Einfälle, die nichts mit plumpen Mainstream-Phantasien a
la Armageddon gemein hat.
Dabei ist die Handlung zunächst einmal ganz konventionell: Im Jahr 2020 endet der erste NASA-Marsflug in einer Katastrophe. Ein zweites Raumschiff soll deren mysteriöse Umstände aufklären, und mögliche Überlebende bergen. Doch auch diese Reise ist von Anfang an durch Pannen belastet.
Auf dem Mars angekommen nimmt alles dann eine plötzliche Wendung: Gemeinsam mit einem Überlebenden entdeckt die Rettungscrew, nun ja, einen weiblichen, offenbar Brancusi-Masken
nachempfundenen Marsmenschen, der für sie das Geheimnis der irdischen Evolution lüftet: Am Anfang war nicht das Feuer, sondern der Mars; die länglichen Männchen sind unsere nächsten Verwandten.
Will man diesen abstrusen Plot als Action- oder Unterhaltungs-Stoff ernstnehmen, dann ist Mission to Mars sicherlich einer der mißglücktesten Filme sein langem. Momente für kräftige Bilder werden reihenweise verschenkt, das schwache, von -»Das muss doch etwas zu
bedeuten haben«- Klischees strotzende Drehbuch verpackt Erklärungen und Handlungshintergründe in überlange Dialoge, anstatt ihnen Bilder zu geben. Zudem wirkt der Film vor allem gegen Ende mitunter nur wie eine Illustration des esoterischen Gemeinplatzes »dass da noch irgendetwas ist.«
Aber so leicht sollte man es sich dann doch nicht machen. Sehenswert wird Mission to Mars dort, wo Brian De Palma, das tut, was er am liebsten macht und am besten kann: Schreckensmomente zu inszenieren und seine Kamera völlig losgelöst treiben zu lassen. Was eignete sich dafür besser, als die Schwerelosigkeit? Bluttröpfen torkeln durch den Raum, und quer zu allen SF-Gewohnheiten macht der Film Ruhe, Ödnis und Horror vacui des Weltraums zum Thema, läßt alles Pathos der Eroberung neuer Welten (das er freilich anderenorts ungehemmt auslebt) beiseite und zeigt – das Nichts.
In Szenen, die andere Regisseure in knalliger Hektik und schnellen Schnitten verschenkt hätten, spielt De Palma mit Zeitverzögerungen, dehnt die Momente ins Endlose und entfaltet einen Horror der Langsamkeit, wie man ihn seit Kubricks 2001: A Space Odyssey (den der Film unverhohlen zitiert) nicht gesehen hat.
Der zweite Film, dem dieser Anti-Science-Fiction verpflichtet scheint, ist Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977). Denn am ehesten wird Mission to Mars verständlich, wenn man das Ganze als eine Pop-Phantasie begreift, die versucht, dem alten Seefahrermythos vom Nebelland am Rand der Welt eine moderne Gestalt zu geben. Das ist sehr amerikanisch und manchmal erschütternd naiv, so sehr, wie man glaubte, dass Science-Fiction nach Tim Burtons Parodie Mars Attacks! nicht mehr möglich sei.
Entscheidend für die Beurteilung dieses Films ist letztlich, wie man den Regisseur Brian De Palma einschätzt. Man kann in alldem, im rosaroten Mars, seinen Bewohnern, der Volkshochschul-Darstellung der Schöpfungsgeschichte, diversen reichgestreuten Film- und Bildungs-Zitaten – von Argonauten bis »Schatzinsel«-, dem Gencode als »Sesam-Öffne-Dich«, wie in der groben Übertreibung Hollywood-Heldentums eine einzige Parodie sehen, eine Göttliche Komödie, die in zum Teil
– nicht nur für De Palma-Fans – sehr gelungenen Bildern ein ironisches, phantasievolles Patchwork entfaltet.
Man wird aber auch Reaktionäres entdecken: Ein weißer Mann, eine Frau, ein Schwarzer und ein Alien halten Händchen. Der weißen Mann sagt – scheinbar ganz im Ernst – Sätze wie: »Ich gehe mit – das ist meine Bestimmung: Die Eroberung von Welten, um von da aus zu den anderen vorzudringen.«. Man erinnert sich: The white man’s burden...
Dann
kehrt er zurück ins Wasser, aus dem er einmal herkam, und damit hinaus über die final frontier... Der Schwarze und die Frau aber gehen marsch, marsch, dahin, wo sie hingehören.
Und Brian De Palma selbst ist, glaubt man manchmal, endgültig durchgeknallt. Er ist Gott geworden oder so ähnlich, vielleicht hat er ihn auch nur getroffen. Das was hätte ihn sonst geritten, ein derartiges Drehbuch zu verfilmen, das so meilenweit unter fast allem ist, das dieses Kino-Genie bisher verfilmte?
Trotz alldem gilt: Ein Film, den man nicht versäumen sollte. Interesanter jedenfalls, als das meiste, das einem sonst derzeit so auf der Leinwand begegnet.
Wieder einmal hat Brian De Palma zehn Filme in einem gemacht. Leider könnte man diesmal aber auch sagen: keinen davon richtig.