Großbritannien/USA/D 2014 · 122 min. · FSK: ab 6 Regie: Anton Corbijn Drehbuchvorlage: John Le Carré Drehbuch: Andrew Bovell Kamera: Benoît Delhomme Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Robin Wright, Grigori Dobrygin, Nina Hoss u.a. |
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Wir wollen diesen Mann – zurück: Philip Seymour Hoffman |
»Wir führen Krieg, um den großen Krieg zu verhindern.« Sicher hätte Günther Bachmann nichts gegen diese Berufsbeschreibung, die Alec Leamas in Der Spion, der aus der Kälte kam, vor Jahrzehnten von sich gab. Bachmann (Philip Seymour Hoffman) ist Leiter einer kleinen deutschen Geheimdienst-Spezialeinheit in Hamburg. Während Leamas einst gegen den Kommunismus spionierte, befindet sich Bachmann mit seinem kleinen Team im Kampf gegen islamistische Terrorgefahr. Neue Impulse könnten von einem soeben aufgetauchten Tschetschenen kommen, der mithilfe der jungen Anwältin Richter (Rachel McAdams) dringend den Privatbankier Brue (Willem Dafoe) aufsuchen will. Gleichzeitig haben Bachmann und seine Leute auch den Wohltäter Dr. Faisal Abdullah im Visier, den sie der Kontakte zu militanten islamistischen Gruppen verdächtigen. Um handfeste Beweise zu liefern, bräuchte Bachmann mehr Zeit – erschwerte Arbeitsbedingungen also, zumal weder der örtliche Dienststellenleiter Mohr (Rainer Bock) noch die CIA-Mitarbeiterin Sullivan (Robin Wright) sich sonderlich kooperationsbereit zeigen.
Der Deutschland-Start von Anton Corbijns Agententhriller A Most Wanted Man am 11. September ist kein Zufall: Der Film basiert auf John le Carrés Roman »Marionetten« von 2008, der ebenfalls Hamburg als Schauplatz hat – Symbol des Totalversagens der Geheimdienste, vor deren Augen Mohammed Atta und seine Unterstützer einst die Anschläge von 2001 unbemerkt planen konnten.
Es ist ein dem Datum würdiger Gedenkfilm, der nicht Rückschau halten muss. Seine klare nüchterne Dialogführung und die herbstlichen Bilder Hamburgs als kalte Hafenmetropole sind eine unaufdringliche, aber umso eindringlichere Einladung, Schlüsse zu ziehen, wie sehr die Katastrophe vor dreizehn Jahren unsere Auffassungen von Sicherheit verändert haben und was beängstigend gleich geblieben ist: »Es gab Hinweise, Spuren eine Fülle von Einzelinformationen, aber niemand fügte die Puzzleteile zusammen«, schrieb »Spiegel online« 2006 zum Stand der Ermittlungen von 9/11. Der Film zeigt Geheimdienstarbeit, die zwar gelernt hat, Puzzleteile zusammenzufügen und dabei fehlende mitunter selbst konstruiert – bei Zweckdienlichkeit auch aus Gift und Dreck – die aber auch aufgrund von nicht weniger als Emotionen den Erfolg riskiert. Spinn dein Netz, erfinde, warte, wenn du kannst – immer wieder ist es die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, die in dem fast actionfreien Thriller A Most Wanted Man die Spannungsintervalle bestimmt.
Diese Le-Carré-Verfilmung mag nicht die emotionale Tiefe von Der ewige Gärtner, nicht die erzählerische Eleganz von Dame, König, As, Spion haben. Ihre Stärke besteht vor allem in der Darstellung der Hauptfigur: Auch seine letzte Rolle als Günther Bachmann vor seinem plötzlichen Tod Anfang Februar dieses Jahres stattet Philip Seymour Hoffman mit ungeheurer Kraft aus. Die wird zum einen von Bachmann dafür benötigt, eine physische Fassade zu erhalten, hinter der sich die Niederlagen in seiner Biographie nur erahnen lassen, zum anderen, um dem Druck standzuhalten, der sich in exzessivem Suchtmittelkonsum mitteilt – wie bei seinem idealistischen Seelenverwandten Alec Leamas, dargestellt vom anderen Schauspieler-Berserker Richard Burton in Martin Ritts Der Spion, der aus der Kälte kam. Immer wieder sind in Corbijns Thriller Referenzen auf dieses Meisterwerk von 1965 zu finden, vor allem in der unmittelbaren Konfrontation der Welt der Zivilisten mit dem Universum der Spionage. Gerade dann, wenn er sich wie einst Leamas erklären muss, läuft Seymour Hoffmans Bachmann zur Höchstform auf. Und lässt seinen Zuschauer mit einer Mischung aus Unbehagen und großer Traurigkeit zurück.
Gotteskrieger in Hamburg. Wieder mal planen islamistische Terroristen große Anschläge im Namen ihres Dschihad, des heiligen Kriegs.
Da kommt einem allzu bekannt vor, nicht nur weil die Attentate vom 11. September, an dessen Jahrestag der Film ausgerechnet ins Kino kommt – eine große Geschmacklosigkeit des Verleihs –, weil diese Attentate tatsächlich einst von einer Hamburger Terrorzelle geplant wurden.
Auf den ersten Blick spielt dieser Film auch einmal mehr die alte Leier aller Ängste unseres Zeitalters, aller Klischees über den Islam, in denen wilde Vorurteile, Unwissen, Furcht und Fremdenfeindlichkeit ein perfektes Bündnis eingehen.
Doch schnell entpuppt sich A Most Wanted Man als ein höchst unterhaltsamer, spannender, dabei niveauvoll-differenzierter und brandaktueller Vertreter des Genres des Geheimdienst-Thrillers.
Denn eigentlich ist die Terrordrohung von Außen nur ein Anlass, um das Innenleben der Geheimdienste zu zeigen, um vorzuführen, wie sich hier alle gegenseitig bekämpfen, wie Rivalitäten unter den Diensten, wie Eitelkeit, Macht- und Geldgier und natürlich Amoral auf allen Seiten zur eigentlichen Hauptgefahr unserer freiheitlichen Lebensverhältnisse werden. Hinzu kommen die Amerikaner des CIA, bei denen man nie sicher ist, ob sie vor allem dumm sind, oder sogar böse, aber in Filmen wie diesen, ist Dummheit das größtmögliche Böse. Es geht hier also, ohne das auszusprechen um Spionage in Zeiten von NSA.
»Die Geheimdienste in Deutschland müssen Aufgaben erfüllen, die mit deutschen Gesetzen unvereinbar sind. Unsere Einheit wurde aufgestellt, um Informanten zu finden. Wir sind keine Polizisten. Wir sind Spione.«– Dialogzeile
Dame, König, As, Spion – so heißt ein Klassiker des Geheimdienst-Thrillers jenseits von »James Bond«, in dem es um Ähnliches geht. Er stammt vom Briten John Le Carré und der ist auch Autor dieser Geschichte. Le Carré, inzwischen hochbetagt, schuf viele solche Klassiker, die Filmvorlagen bildeten (»The Spy Who Came in From the Cold«, 1965; »Tinker Tailor Soldier Spy«, 2011), und er weiß, wovon er erzählt: Einst war er selbst beim britischen MI-5, und irgendwann war er sogar einmal selbst in Hamburg stationiert, und er weiß, und hat das oft ausgesprochen, was er vom amerikanischen Geheimdienst zu halten hat. Anton Corbijn, erst Fotograf, heute Filmemacher, hat Le Carres Vorlage behutsam den Verhältnissen unserer Post-9/11-Gegenwart angepasst.
Das ist manchmal spektakulär, es wird aber auch viel geredet. Denn Geheimdienst-Ermittlung ist Kleinarbeit und Denkarbeit. Im Zentrum steht die Suche nach einem großen Hintermann des kleinen Terrors, der Versuch, ihn dingfest zu machen. Und die Widerstände gegen diese Wünsche. »Homeland« in Europa.
Wie schon in seinen bisherigen Filmen Control und The American konzentriert sich Corbijn auch hier wieder auf männliche Helden, die Einzelgänger sind und wohlmeinenden Argumenten wenig zugänglich. Ein Mann unter Druck, der seine eigene Agenda hat.
Was gefällt an diesem Film, das ist, dass dies ein ganz und gar europäischer Film ist – Spannung und Dynamik muss eben keineswegs immer aus Hollywood kommen. Europäisch ist schon die ganze Anmutung: Die Räume, die Atmosphäre, das Holz an den Wänden, die gediengenen Möbel, die kleineren Straßen mit ihren Cafés. Der Film spielt zu größten Teilen in Hamburg.
Europäisch sind auch viele der Darsteller: Daniel Brühl spielt ebenso mit wie Nina Hoss. Die Hauptfiguren werden aber dann doch von Amerikanern verkörpert: Rachel McAdams, Robin Wright und vor allem Philip Seymour Hoffmann – der weißblonde Darsteller normaler Menschen: ein bisschen verschwitzt, ein bisschen zu dick laufen seine Charaktere immer in Gefahr unterschätzt zu werden. Was im Leben ein Nachteil sein kann, ist für einen Geheimagenten ein unschätzbarer Vorteil. Hier ist er Günther Bachmann, der Leiter einer deutschen Anti-Terroreinheit. Ein einsamer Jäger.
Corbijn-Filme sind immer auch fashion-statements, stylish und hip, aber im Style entdecken sie mehr: Sie entdecken die Seele ihrer Figuren. Männer, ob einsame Wölfe oder Teamplayer, sind immer auch Showmen, sie treten auf, spielen soziale Rollen, und einer wie Corbijn, der Sensibilität für solche Rollen und deren Ambivalenzen hat, inszeniert das Ästhetische um dadurch zur Substanz zu kommen, er zeigt die Tiefe im Oberflächlichen. Dazu passte wie kein anderer Andrew Bovell, der Drehbuchautor von Lantana, dem großartigen australischen Emotionsthriller, einem geheimen Meisterwerk des ganz frühen Jahrtausends, der heute etwas zu sehr in Vergessenheit geraten ist. Die Lantana-Qualität des Andeutens und Zeigens des Unausgesprochenen, vor allem des (Macht- und Sex-)Begehrens hat auch dieser Film. Dafür war Hoffmann genau der Richtige. Auch er war ein Meister der Latenz.
Anfang des Jahres starb Seymour Hoffmann unerwartet früh. Und so ist A Most Wanted Man sein letzter Leinwandauftritt geworden – auch wegen ihm sollte man sich den Film und seine Hauptrolle darin anschauen. Denn für das Kino ist dieser Schauspieler selbst der Meistvermisste.