Russland 2004 · 114 min. · FSK: ab 16 Regie: Timur Bekmambetov Drehbuch: Timur Bekmambetov, Laeta Kalogridis Kamera: Sergei Trofimov Darsteller: Konstantin Khabensky, Vladimir Menshov, Valeri Zolotukhin, Mariya Poroshina u.a. |
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Revolutionsfilm im Fantasy-Gewand |
Es hätte ein weiterer Film werden können, der den unstillbaren Hunger der Menschen nach Märchen füttert, es wäre dann der Kampf zwischen Gut und Böse einmal mehr zelluloidär ausgetragen worden. Wächter der Nacht kommt aus Russland und will sich den Unterschied zu anderen großen Produktionen nicht anmerken lassen, will nicht, dass man sieht, dass ihm Millionen Dollar fehlen zum Standard-Hollywood-Schlachtfest. Auf den ersten Blick haut das hin: Die Düsternis, die der Film verbreitet, hat einwandfrei denselben Hochglanz. Die Computer-Effekte sind gut und nur deshalb zu erkennen, weil man weiß, dass es welche sein müssen. Aber man fragt sich, warum ein so großes und doch von der cinephilen Weltöffentlichkeit beinahe ignoriertes Land sich mit so einem Star-Wars-Matrix-Herr-der-Ringe-Blade-Aufguss in den internationalen Zuschauerherzen etablieren will. Und beim zweiten Blick fragt man sich, ob man den Plagiats-Vorwurf (Star-Wars-Matrix-Herr-der-Ringe-Blade) vorschnell und am Ende gar zu Unrecht macht.
Vor einer langen Zeit, so erzählt uns der Film, so etwa im Mittelalter, haben sich die Vetreter der Hellen und Dunklen Macht getroffen und gegenseitig die Köpfe abgeschlagen und Lanzen durch den Leib gerammt, bis sie einsahen, dass das keinen Wert hat, sie gleich stark sind und jetzt ewig so weitermachen oder gleich aufhören könnten. Also Waffenstillstand. Der wird bis in die Jetztzeit hinein überwacht von übernatürlichen Wachleuten beider Seiten, wobei die Dunklen ein bisschen den Kürzeren ziehen, weil sie, obwohl sie gern würden, kein Blut trinken dürfen von Normal-Sterblichen. Außer mit Genehmigung. Ein eigenartig überbürokratisierter Supermenschenstaat ist hier vorgeführt. Auch hat die Ruhe des Waffenstillstands etwas ungut Quälendes, etwas Trügerisches. Klingelt einer an einer Haustür, dreht die Kamera durch und macht eine Fahrt das Stromkabel entlang vom Knopf bis zur Bimmel. Schaut eine Frau einem Mann in der U-Bahn kurz in die Augen, bekommt der einen hysterischen Anfall, ohne sich auch nur ein bisschen zu verlieben. Ein Drecksfrieden ist das, bei dem man für jeden der Dunklen dem man ganz leicht, fast ohne ihn zu berühren, den Kopf zerschmettert, zum Chef zitiert wird. Das ist kein Stillstand der Waffen, das ist Lahmlegung wertvoller humaner Ressourcen. Das ist kein Zustand, unter dem man existieren will, die Verschwendung teurer Jugend.
Die Geschichte, die hier ins Rollen kommt, ist nicht sonderlich schlau. Es geht um einen Jungen, der durch seine Entscheidung für Licht oder Dunkelheit das Gleichgewicht zerstören wird, und um eine Frau, die sich einen Fluch eingefangen hat und dadurch einen Mordsradau verursacht. Es passiert in Wächter der Nacht (Nochnoj Dozor) nicht viel, weil das Ganze als Trilogie angelegt ist, deren weitere Teile die Verleihtitel Wächter des Tages und Wächter der Dämmerung zugeteilt bekommen haben. Der erste Teil erzeugte einen Kassenrekord in Russland – er hat 16 Millionen Dollar eingespielt –, der zweite startet dort, wenn der erste bei uns ins Kino kommt. Entscheidend und durchaus für westliches Publikum ein Grund, diesen Film zu sehen, ist die Atmosphäre, die er erzeugt. Die ist völlig überladen. Kaum eine Geste, die nicht akustisch verstärkt würde, kaum ein Bild, durch das nicht ekelhaftes Flugvieh wuselt – im geschlossenen Raum Insekten, im Freien Vögel. Es ist, als ob der Regisseur Timur Bekmambetov, der eigentlich Werbefilmer ist, die Zuschauer mit seinem Hass auf die Ruhe impfen wollte.
Es passiert natürlich doch etwas. Gegen Ende fliegt ein Kraftwerk in die Luft. Das ist wie ein Erlösungsschauer, der niedergeht, wenn in der gesamten Stadt die Lichter verlöschen. Dann ist dem letzten Schlafenden klar, dass die Lage ernst ist, dass sich bald etwas verändern wird, verändern muss. Das Licht geht zwar wieder an, aber die Katastrophe ist ein Hoffnungssignal für die Wartenden, die leiden unter der Gleichgültigkeit der Menschen, eine Bestätigung, dass sich das Unheil nicht durch wegschauen oder -reden aufhalten lässt. Tschernobyl.
Ein Revolutionsfilm also in Fantasy-Verkleidung, der eine Bildsprache benutzt, die auch einem internationalen Publikum verständlich ist. Nur wird die eigenartige Naivität der Botschaft befremden – und sicherlich auch amüsieren. Über den Ernst der Angelegenheit bleibt noch zwei Folgen lang Zeit zu rätseln. Sollte sich alles nur als eine russische Unterhaltungsvariante erweisen, so hätte am Ende der Witz von Nochnoj Dozor gesiegt und die amerikanischen Märchen überholt. Ansonsten ist natürlich schon was dran. So kann es nicht weitergehen. Das kracht bald wieder mal gehörig in nächster Zeit, und jemand hätte hier gewarnt.