USA 1999 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Barry Sonnenfeld Drehbuch: Jim Thomas, S.S. Wilson, Brent Maddock u.a. Kamera: Michael Ballhaus Darsteller: Will Smith, Kevin Kline, Kenneth Branagh, Salma Hayek u.a. |
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Loveless' Lovelies |
Bei manchen Filmen sagt der kommerzielle Erfolg tatsächlich etwas über die Qualität aus. Wenn etwa einem als Sommer-Blockbuster angelegten Multi-Millionen-Dollar-Projekt das Publikum ausbleibt, kann das zweierlei bedeuten: Entweder ist der Film schlicht und einfach grottenschlecht und stirbt an der Kinokasse den verdienten Tod. Oder er bewegt sich wider Erwarten auf einem Niveau, wo Mitdenken gefragt ist, was die Massen genauso abschreckt. Das ist schade, weil man ihm den Erfolg von Herzen gönnen würde. Das ist schön, weil man von einer Fortsetzung verschont bleibt und das Kino mit der Erkenntnis verläßt, daß es manchen Regisseuren auch im kommerzorientierten Hollywood-Studiosystem noch möglich ist, ihre ganz persönlichen Visionen zu verwirklichen. So wie Barry Sonnenfeld mit Wild Wild West.
Am Anfang stand wohl ein großes Mißverständnis: Sonnenfeld sollte Men in Black 2 abliefern, hatte aber keine Lust, sich zu wiederholen. Dennoch erweckte die großangelegte Werbekampagne bewußt den Eindruck einer Quasi-Fortsetzung. Wieder war Will Smith Hauptdarsteller und Aushängeschild, wieder durfte er den Titelsong rappen. Der Trailer ließ eine turbulente Western-Parodie um einen schwarzen James Bond-Verschnitt mit Colt, coolen Sprüchen und Spaßgarantie erwarten. Nach einer Woche an der Spitze der US-Charts hatte sich herumgesprochen, daß Wild Wild West genau dies nicht ist, und die Zuschauer wanderten ab.
Sonnenfelds Geschichte spielt 1869, als Amerika den Bürgerkrieg gerade überstanden hatte. Der Süden war geschlagen, die Sklaven befreit, die Einheit der Nation gesichert und der Weg zu Industrialisierung und Weltmacht frei. Ein Mann will das Rad der Zeit zurückdrehen: Von seinem dampfbetriebenen Rollstuhl aus plant der rachsüchtige Dr. Loveless (Kenneth Branagh), der für die Sache der Konföderation seinen Unterkörper verloren hat, nichts weniger als die endgültige Zerschlagung der USA. Sein kühner Plan sieht die Rückgabe der Territorien an ihre »rechtmäßigen« Besitzer vor – nicht etwa an die Indianer, sondern an die europäischen Großmächte und Mexiko. Hier wird die oft verklärte Entstehungsgeschichte der USA thematisiert: Die junge, westwärts strebende Nation, die im Namen des manifest destiny mit zweifelhaften Methoden das Land in Besitz genommen hat. Loveless konstruiert die ultimative Kriegsmaschine, um Präsident Ulysses S. Grant, ehemals Oberbefehlshaber des Nordens, zur Kapitulation zu zwingen.
Zwei Spezialagenten sollen das verhindern: Da ist Jim West (Will Smith), ein Draufgänger, dem der Präsident vorhält, daß er erst schießt, dann noch einmal schießt und dann vielleicht Fragen stellt. West ist entflohener Sklave, sein aggressives Auftreten die Reaktion auf ständigen Rassismus. Das ist keine bloße Attitüde, kein sich anbietendes Spiel mit Smith' Hautfarbe, sondern gibt dem Superagenten, der sonst zum Abziehbild verkommen wäre, Ambivalenz und Tiefe. Ihm zur Seite steht Artemus Gordon (Kevin Kline), als leicht versponnener Verkleidungskünstler und genialer Tüftler eine Mischung aus Fred Clever und Daniel Düsentrieb – und des öfteren im Clinch mit dem Tatmenschen West. Weil Smith und Kline prächtig harmonieren, verkommt dieser Konflikt zwischen Hirn und Hand nicht zur Pflichtübung. Am Ende bekommt keiner das Mädchen, und sie reiten auf einer mechanischen Riesenspinne in den Sonnenuntergang.
Um zu erkennen, wie gut Sonnenfelds Anarcho-Western-Wundertüte wirklich ist, muß man nur an einen der Überraschungshits des Jahres denken: Stephen Sommers' höchst ärgerliche Mumie, wo ebenfalls versucht wurde, ein altehrwürdiges Genre mit Witz, Action und Effekten aufzupeppen. Doch die Macher hatten nichts zu sagen und keinen Respekt vor den Vorbildern. Das Resultat war ein liebloser, lärmender Klamauk auf Dumpfbacken-Niveau, der mit unsäglich primitiven Witzchen den Horrorfilm durch den Dreck gezogen hat. Wild Wild West verarbeitet den Western auf ungleich intelligentere Weise: Sonnenfeld kopiert nicht einfach, sondern schafft aus den vorhandenen Mythen und seiner persönlichen Imagination ein bizarres Universum, in dem er selbst die Regeln bestimmt. Außerdem besitzt er einen überbordenden visuellen Einfallsreichtum und ähnelt damit den Coens ebenso wie Tim Burton, seinem düsteren Bruder im Geiste.
Obwohl viele Szenen die Grenze zum Surrealen weit überschreiten, bleibt ein gewisser Realitätsbezug stets gewahrt. Das liegt zum einen an Kameramann Michael Ballhaus, der die Gratwanderung zwischen Künstlichkeit und authentischem Zeitgefühl exzellent meistert. Vor allem jedoch erzählt Wild Wild West eine äußerst ernstzunehmende Geschichte vom Ende des Wilden Westens und dem Beginn einer neuen, von Technisierung geprägten Zeit. Nur wenige Pferde sind zu sehen, dafür Motorräder, Panzerzüge und Flugmaschinen. Diese Technik wird in einer atmosphärisch stimmigen, an Jules Verne erinnernden Retro-Ästhetik dargestellt. Fernab jeglicher Nostalgie bedeutet der Fortschritt hier jedoch vor allem eines: die Perfektion des Tötens. Auch in einem Film, der Gewalt generell als gar nicht komisch zeigt, sticht es heraus, wenn ein Regiment wehrloser Soldaten von den Maschinengewehren eines Panzers niedergemetzelt wird oder wenn Dr. Loveless im Monument Valley von den Schalthebeln seiner Kampfmaschine aus ein Städtchen, das direkt von John Ford stammen könnte, in Schutt und Asche legt. So viel zur Dekonstruktion von Mythen.
Wild Wild West ist ohne Kenntnis der amerikanischen Geschichte kaum zu verstehen. Wer mit Expansionismus, Bürgerkrieg, den Präsidenten Lincoln und Grant nichts anfangen kann, wird um sein Vergnügen gebracht. Dennoch – oder gerade deswegen – hat Barry Sonnenfeld ein subversives Meisterwerk geschaffen, einen garstigen Gegenentwurf zur gängigen Film-Geschichtsschreibung und das intelligenteste Popcorn-Movie seit Jahren. Wie schön, daß es kein Blockbuster geworden ist.