74. Berlinale 2024
Mit weniger Programm und höheren Kosten die Einnahmen steigern |
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Berlinale Plakat 2024 | ||
(Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin / Claudia Schramke, Berlin) |
Man hat das Gefühl, die Berlinale ist eigentlich schon vorbei. Auch wenn es erst an diesem Donnerstag losgeht: So viele Debatten, so viele Diskussionen, offene Briefe und Streit mit Freunden: über die Ökonomie, über die Politik und ihre Eingriffe, über die schlimme Raumsituation, über den schleichenden Bedeutungsverlust des Festivals, über das alte zaudernde Leitungsduo und die neue Frau, die ab März den Berlinale-Thron erklimmt und aus der neuen Welt kommt und darum alles besser
oder jedenfalls neu macht. Hoffentlich nicht die alten Fehler.
Nur um die Filme ging es zu wenig.
Berlinale ist wie Weihnachten: Ganz ganz ganz lange dauert die Erwartungsfreude, begleitet von Bibbern und Bangen, von Hoffen und Heiterkeit. Aber jetzt ist Bescherung, jetzt kommen die Filme.
Wir haben natürlich schon eine ganze Menge von ihnen gesehen, aber darüber dürfen wir noch nicht schreiben, denn ein bisschen sind wir ab jetzt in der Rolle des Weihnachtsmanns, der bekanntlich keiner ist, sondern irgendeiner aus der Familie, der den Kindern – das seid ihr, also das Publikum – eine große fiktive Märchenwelt vorspielt. Irgendwie wissen die Kinder, dass das alles nicht stimmt, aber wir alle spielen mit, weil sonst die Erwachsenen – die Berlinaleleitung – traurig ist. Wir halten uns an den Embargozwang. Die Sperrfrist. Einstweilen.
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Darum müssen wir noch ein (vorläufig) letztes Mal über alles andere schreiben. Siehe oben.
Beginnen wir mit dem Geld. Denn die oft kritisierte mangelnde Programmqualität ist das geringste Problem des wichtigsten deutschen Filmfestivals. Die Krise ist fundamentaler: Die Berlinale hat finanzielle Probleme, und muss ihre Struktur auch deshalb grundsätzlich verändern.
Denn das Erbe von Dieter Kosslick, der das Festival zwischen 2002 und 2019 auf fast die doppelte Größe aufgebläht hatte, wird spätestens in Zeiten von Inflation und knappen Kassen zum existentiellen Problem: In den letzten Jahren sprangen mehrere wichtige Sponsoren ab. Das bedeutete laut Rechnungen des Berliner »Tagesspiegel« Ausfälle von über einer Million Euro, die bislang nicht adäquat ersetzt werden konnten – und hier zeigt sich, wie Kunst und Ökonomie ineinandergreifen und einen Teufelskreis bilden: Weil die Berlinale in den letzten 20 Jahren an künstlerischem Stellenwert verlor, ist sie auch für die Stars unattraktiver. Weil die Stars wegbleiben, verlieren die Sponsoren das Interesse. Und fehlendes Geld reduziert wiederum den Wert des Festivals.
Die grassierenden Sparzwänge führten bereits im vergangenen Sommer dazu, dass das Programm erheblich eingestampft wurde. Zwei Sektionen wurden komplett gestrichen, die Zahl der Filme um ein Drittel reduziert, und weitere Streichungen scheinen nur eine Frage der Zeit zu sein.
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Wie ist die Berlinale überhaupt finanziell aufgestellt? Der Gesamt-Etat der Berlinale, inklusive aller Einnahmen aus Ticketverkäufen und durch Sponsoring und Merchandising kann nach Angaben der Berlinale »immer erst im Frühjahr des folgenden Kalenderjahrs genau beziffert werden«. Für 2024 rechnet man am Potsdamer Platz mit ca. 33 Millionen. 2023 betrug er 32,3 Millionen. Der Bund in Gestalt des Staatsministeriums für Kultur (BKM) und das Land Berlin übernehmen größere Teile der Finanzierung des Festivals. Da der Anteil des Bundes mit zuletzt 12,9 Millionen aber weitaus höher liegt als der Berlins, der erst kürzlich – und bisher nur mündlich zugesagt – auf 2 Millionen vervielfacht wurde, steht hier vor allem das BKM, also die jeweiligen Kulturstaatsminister in der Verantwortung. Zwar fällt jetzt eine pandemiebedingte einmalige zusätzliche Sonderförderung über 2,2 Mio. Euro weg, für das laufende Jahr versprach Claudia Roth »unter Vorbehalt« der fälligen Haushaltskonsolidierung den Zuschuss des Bundes um 1,7 Millionen auf 12,6 Millionen Euro erhöhen. Doch diese Erhöhung reicht gerade einmal aus, um den laufenden Kostenanstieg auszugleichen. Etwa ein Drittel des Budgets gehen allein in die Personalkosten.
Es lässt sich mit diesen Zahlen leicht errechnen, dass die Berlinale in jedem Fall weit mehr als die Hälfte ihres Budgets aus nichtöffentlichen Quellen erwirtschaften muss. 2023 wurden laut Berlinale »ca. 330.000 Tickets verkauft.« Anhand der regulären Ticketpreise bedeutet das gut 5 Millionen Euro Einnahmen. Die restlichen gut 13 Millionen müssen also anderweitig erwirtschaftet werden. Das sind Mieten für Messestände und Marktvorführungen beim »Europäischen Filmmarkt«, Akkreditierungs- und Filmanmeldegebühren, Merchandisingverkauf, sowie Sponsoring und Partnerschaften. Detaillierte Angaben hierzu gibt die Berlinale »grundsätzlich nicht nach außen, da mit den Sponsoren gegenseitige Vertraulichkeit vereinbart wurde.« (so Berlinale-Pressesprecherin Frauke Greiner).
Ebenso hält man sich zum Anteil des Sponsoring bedeckt. Dieser lasse sich nicht in Geldbeträgen darstellen, »da die Leistungen der Partner zum Teil monetär sind und zum Teil aus Sachmitteln, Beistellungen, Dienstleistungen bestehen«.
Die zukünftige Chefin wird also neue Sponsoren gewinnen müssen. Sie wird das Programm abspecken müssen, um Kosten zu senken, aber so dass die Attraktivität nicht leidet. Sie wird zugleich den doppelten Spagat meistern müssen, bei weniger Filmen
und höheren Kosten die Einnahmen zu steigern.
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Und alles das wird erst der Anfang sein: Denn ein weiterer »Elefant im Raum« ist die ungelöste Standortfrage und die desaströse Raumsituation: Der Potsdamer Platz, an den die Berlinale im Jahr 2000 aus den etablierten Standorten rund um den Bahnhof Zoo gezogen war, damals gezwungen vom ersten Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD), mag vor einem Vierteljahrhundert auf manche wie das glanzvolle Zentrum des neuen Nach-Mauerfall-Berlin gewirkt haben. Heute ist es das Symbol postmoderner Stadtplanungsverirrung. Die Ruine schöner Ideen und Pläne und des kulturpolitischen Versagens der Verantwortlichen aller Parteien; ein Ort, der mit seinen Baustellen, Containerstapeln, leerstehenden Cafés, Restaurants und Büros und mit einer trashigen, halbleeren Shoppingmall wie der Prototyp einer urbanen Wüste erscheint. Mittendrin der »Berlinale-Palast«, kein richtiges Kino, sondern eine Veranstaltungshalle, die übers Jahr als Musicalpalast mit angeschlossener Spielbank dient. Dazu gab es zwei Multiplexe, auf die 20 Jahre lang in den zwei Berlinalewochen des Februar die bis zu 400 Filme verteilt wurden. Einer davon, das Cinestar, hat bereits 2020 dicht gemacht und weil die Kulturpolitik seinerzeit versäumt hatte, sich ein Vorkaufsrecht zu sichern, stehen die acht Kinos seit Jahren leer. Angeblich soll alles in ein Parkhaus umgebaut werden. Aber wer will dort parken? Und warum sollte man?
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Denn auch das zweite Multiplex, das Cinestar, ist ein geschmacklicher Unort mit ungewisser Zukunft. Das »Filmhaus«, einst mit großem Brimborium als »Kunst-Labor« und Ort der Konzentration eröffnet, ist bereits am Ende: In den nächsten zwei Jahren werden dort nach dem Auslaufen der Mietverträge sowohl das künstlerisch anspruchsvolle Arsenalkino und das Filmmuseum mit der »Deutschen Kinemathek«, wie auch die traditionsreiche städtische Film- und Fernsehakademie (dffb) ausziehen und über die Stadt verteilte neue (Not-)Standorte belegen – die Berliner Kulturpolitik hat in punkto Film kapituliert.
Und auch sonst lockt die Umgebung nicht einmal während der Berlinale: Restaurants gibt es bis auf ein Steakhaus und zwei triste Diner keine mehr, die meisten Geschäftsflächen stehen leer. Wenn professionelle Festivalgäste ein Treffen vereinbaren wollen, fehlen Orte, zu denen man hingehen könnte. Kinos und Partylocations verteilen sich sowieso über die ganze Stadt. Für jede Festivalatmosphäre ist diese Lage ein Todesurteil.
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Wenn dann wenigstens das Programm besser und übersichtlicher wäre. Aber die mangelnde Programmqualität ist das geringste Problem der neuen Leiterin Tricia Tuttle. Tuttle wird Sponsoren gewinnen müssen, zuletzt waren langjährige Partner abgesprungen. Sie wird den Spagat meistern müssen, bei weniger Filmen und höheren Kosten die Einnahmen zu steigern. Das Gesamtbudget der Berlinale liegt bei 32,3 Millionen. Mehr als die Hälfte muss die Berlinale also aus nichtöffentlichen Quellen
erwirtschaften.
Das dürfte nur gelingen, wenn das Profil der Berlinale wieder schärfer und das Festival wieder attraktiver wird. Dafür wurden schon viele Gelegenheiten verschenkt. Der dafür notwendige bessere Ort ist im Berlin der Gegenwart kaum zu finden. So erscheint eine Rückkehr zu den Kinos rund um den Zoopalast und ein Festival, das unsichtbar in der Metropole zerstreut sein Dasein fristet, diese Zersplitterung aber als Publikumsnähe verkauft, die wahrscheinlichste
Lösung.
Obwohl es bessere Ideen gibt. Dazu dieser Tage mehr...