USA 2022 · 151 min. · FSK: ab 12 Regie: Steven Spieberg Drehbuch: Steven Spielberg, Tony Kushner Kamera: Janusz Kaminski Darsteller: Michelle Williams, Paul Dano, Seth Rogen, Gabriel LaBelle, Judd Hirsch u.a. |
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Selbstporträt des Künstlers als junger Mann | ||
(Foto: Universal) |
Spätestens jetzt kann man mit Wehmut auf all die Regisseure zurückblicken, die nicht bis jetzt gelebt haben und die gegenwärtige Phase autofiktionalen Erzählens nicht mehr erleben konnten. Spätestens jetzt, da auch ein Altmeister wie Steven Spielberg sich von seiner Kindheit, seinem Coming-of-Age hat inspirieren lassen, um sich mit seiner Filmsprache der eigenen Vergangenheit zuzuwenden, um über das Kleine das Große, über die Familie die Welt zu erklären. Und an so großartige Arbeiten der letzten Zeit wie Paul Thomas Andersons Licorice Pizza, Mike Mills C'mon C'mon, Kenneth Branaghs Belfast, Paolo Sorrentinos Die Hand Gottes oder James Grays Armageddon Time anzuknüpfen.
James Grays autofiktionale Reise nach Queens und in das Jahr 1980 ist es dann auch, die Spielbergs Blick zurück am ähnlichsten ist, in denen nicht nur die Shoa thematisiert wird, sondern auch jüdisches Leben in den USA, das für Gray allerdings nicht mehr die düstere Mobbing-Note hat, die es für Spielberg (Gabriel LaBelle) in den späten 1950er Jahren noch hatte, als er sich wegen seines Jüdischseins auf dem College gegen körperliche Übergriffe wehren musste. Doch da ist Spielberg immerhin schon soweit innerlich gefestigt, dass er von sich bereits wie Joyce von einem Porträt des Künstlers als junger Mann sprechen kann, der seit einem traumatischen ersten Kinobesuch mit einer Art Konfrontationstherapie sein Trauma bewältigt und dabei gleichzeitig einen Traum kreiert.
Diesem Traum bis zu seiner ersten zaghaften Verwirklichung zu folgen, ist die Geschichte, die Spielberg in den Fabelmans erzählt. Und er erzählt sie so, wie es Spielberg immer gemacht hat, es ist seine Handschrift in bester Schönschrift, und er ist damit natürlich weit entfernt von einem jüngeren Regisseur wie James Gray, der den Zuschauer am Ende im Dunkeln stehen lässt, ohne rechte Hoffnung, dass es wieder Licht werde. Spielberg hingegen sieht selbst in der finstersten Dunkelheit noch Licht. Und er weiß das genau so zu erzählen. Er weiß, wann es Zeit für die großen Gefühle ist und wann die Zeit für schwierige Dialoge gekommen ist und wann die Zeit für Stille und wann für Hoffnung. Das Timing ist so perfekt und ohne Brüche wie die hier erzählte Geschichte, die wie James Grays Armageddon Time natürlich viel mehr als nur eine Familiengeschichte ist, wenn auch ohne die politischen Untiefen, die bei Spielberg einfach wegfallen. Doch es ist immer noch mehr als eine Familiengeschichte; es ist eine Geschichte über das Kino und das Lebensgefühl in Amerika in den 1950er und 1960er Jahren und auch eine große Geschichte über die Liebe und das Coming-of-Age der Liebe.
Spielberg erzählt – wunderbar verschachtelt – allerdings gleich zwei Liebesgeschichten, die beide im Kern große Missverständnisse sind. Die seines Alter Egos Sammy (Gabriel LaBelle), dessen erste große Liebe auf dem College und die ebenso schwierige Liebe seiner Eltern, seiner Mutter Mitzi (Michelle Williams) und seines Vaters Burt (Paul Dano) und die des besten Freundes Bennie (Seth Rogen), eine Menage à trois, wie ich sie in den letzten Jahren selten kunstvoller und empathischer erzählt gesehen habe. Denn wie Spielberg die Beziehungen der Erwachsenen aus der Sicht seiner ersten Kindheitserinnerungen andeutet und dann mit den Augen des Jugendlichen erst wirklich versteht, als er seine Kamera und den Film an seiner Seite hat, das ist nicht nur eine der schönsten Liebeserklärungen an offene Beziehungsarbeit, sondern auch eine der hellsichtigsten Bekenntnisse an die Macht des Kinos.
Die semibiografische Geschichte, die Spielberg hier auf so vielen Ebenen erzählt, ist so stark, berührt derartig subkutan, wird mit all den Mitteln, die diesem großen, alten Meister des Kinos zur Verfügung stehen, so zärtlich und doch konzentriert erzählt, dass es einem schon beim Wiederzählen nicht nur die Tränen in den Augen treibt, sondern dass mit jeder Wiedererzählung dieses Films das Gesamtwerk von Spielberg vor Augen tritt. Es ist fast so, als ist diese frühe Lebenserzählung der Schlüssel zu Spielbergs Werk: ist diese Art von Familie auch die Familie in allen späteren Filmen – in E.T. – Der Außerirdische ganz genauso wie in Indiana Jones oder in Catch Me If You Can, kann man dem Modell Familie so wie in Spielbergs eigenem Leben nie wirklich trauen.
Und weil dysfunktionale Familien immer auch die Notwendigkeit provozieren, sich eine „Ersatzfamilie“ schaffen zu müssen, muss schon die Liebe – im Vorfeld der Familie – an Berufe und Berufungen gebunden werden, weil die Liebe selbst sich nie erfüllt, es irgendwann immer einen Abschied gibt. Das zieht sich so durch das Werk Spielbergs wie durch diesen Film und ist so wunderbar traurig wie entsetzlich tröstlich. Man könnte auch sagen: es ist die Kunst des Lebens, weil Kunst immer ambivalent sein muss, um große Kunst zu sein.
Und so ambivalent ist dann auch die letzte große Szene dieses Films, als der junge Sammy dann tatsächlich den ersten ganz realen Schritt aus dem Traum in die Filmindustrie setzt und in einem ikonischen und fantastisch inszenierten Vorstellungstreffen auf John Ford trifft, der von niemand anders verkörpert wird als David Lynch. Und weniger wichtig ist es dann fast, was Ford über den Film zu sagen hat, sondern dass hier ein Schatten aus einer anderen Zeit spricht, der seine Heimat Familie genauso verloren hat wie Spielberg, für den die Berufung genauso essenziell zum Überleben wurde. Und dem man sich nach diesem Film genauso wünscht, einen solchen Film wie Spielbergs Fabelmans gemacht zu haben, einen Film, den man aber dennoch ganz plötzlich, für einen Augenblick nur vor Augen sieht, obwohl es ihn nie gegeben hat und nie geben wird. Es ist aber auch ein Film über die Vergänglichkeit des Kinos, denn in diesem Moment sehen wir auch, was nach Ford kommt, sehen New Hollywood am Horizont auftauchen und wieder vergehen und die Zeit des großen Blockbusterkinos anbrechen und die Zeit, die danach kommt.
Dieses assoziative Angebot begleitet den ganzen Film, gibt es immer wieder genau diese Momente. Das ist wie Zauberei, es ist ein Wunder, es ist große Kunst, es ist Spielberg.
Kino, das ist Ingenieurskunst: 24 Fotografien pro Sekunde, Projektorlampe, Persistenz des Sehens. Sagt der Vater. Kino, das sind Träume! Sagt die Mutter. Von der ersten Szene, der ersten Einstellung an steht Sammy Fabelman zwischen diesen beiden Polen, in diesem Spannungsfeld. Zwischen dem Kino als Instrument der Ratio, Kontrolle – und dem Kino als Hort des Unterbewussten, Unkontrollierbaren. Zwischen Vater und Mutter.
Die Einstimmung durch die Eltern kann nicht verhindern, dass der erste Kinobesuch für Sammy zum traumatischen Erlebnis wird: Der Crash des Zirkus-Zugs in DeMilles The Greatest Show on Earth ist zuviel für den Kleinen.
Doch er weist ihm auch den Weg, über traumatische Erlebnisse, über das Chaos der Welt und der Gefühle Macht zu gewinnen: Daheim stellt Sammy den Unfall mit der Modelleisenbahn nach. Bannt ihn auf Super-8. Transformiert das Trauma zum Film, und bekommt es unter Kontrolle, gerade indem er es nun immer wieder und wieder durchleben kann – als Fiktion, als Projektion im sicheren Rahmen des Bildkaders, der Leinwand.
Potential für seelische Verstörung bietet Sammys Familie genug, auch wenn es ihm und seinen drei Schwestern scheinbar an nichts mangelt, sie eine behütete, verspielte Kindheit durchleben mit durchaus liebenden Eltern.
Der Vater Burt ist ein Pionier der Computertechnik, als diese noch nicht einmal den Mikrochip kennt. Zunächst schlägt er sich noch mit Fernsehreparaturen durch, doch seine visionären Patente mit Röhren und Transistoren erwecken das Aufsehen von GE, später IBM. Sein beruflicher Aufstieg lässt ihn immer häufiger abwesend sein, entwurzelt die Familie, führt sie von New Jersey nach Arizona, dann Kalifornien. Was die jüdische Familie auch immer wieder in Gegenden bringt, wo sie in den latent antisemitischen USA der 1950er als Fremdkörper inmitten von WASPs empfunden wird.
Die Mutter Mitzi ist eine Künstlerseele, die eine mögliche Karriere als Pianistin, Tänzerin aufgab zugunsten der Familie. Und die zunehmend psychische Haarrisse erkennen lässt. Verspieltheit, Neugier, Unkonventionalität können schnell kippen ins Besorgniserregende – etwa wenn sie die Kinder ins Auto packt, um sie zum Spektakel eines heranbrausenden Tornados zu fahren.
Und dann ist da noch »Onkel« Bennie, der Kollege Burts und Freund der Familie. Von dem Sammy erst allmählich (und letztlich dank seiner Kamera) begreift, dass er die wahre Liebe der Mutter wäre.
So sehr The Fabelmans ein Regiefilm ist: Einen Gutteil seines emotionalen Gewichts stemmt das bis in die Nebenrollen großartige Ensemble. Es verkörpert komplexe Figuren, die alle mehr Geschichte, mehr Facetten haben, als es Sammy aus seinem jugendlich egozentrischen Blickwinkel wahrnehmen kann. Die der Film nun aber in seiner schonungslos liebenden Rückschau erkennt. Menschen, denen man anspürt, dass oft eine erhebliche Kluft herrscht zwischen dem, was sie tun und sagen, und dem, was sie dabei in Wahrheit empfinden, sich wünschten. Menschen, die einander unwillentlich verletzen, weil das Leben sie gemeinsam in eine unauflösbare Konstellation manövriert hat, bevor sie selbst recht entdeckten, wer sie eigentlich sind.
Paul Dano ist als Burt – eher gegen seinen gewohnten Typ besetzt – ein Schwärmer, zu jung, zu gutmütig in die Rolle des Patriarchen gefallen. Der in der Wissenschaft, dem Erfinden aufgeht wie andere in der Kunst. Der seine Frau vergöttert, aber wohl insgeheim spürt, dass sie ihn lediglich sehr schätzt. Und der sein Bestes tut, die Familie zusammenzuhalten, aber als Mann in den USA der 1950er dafür wenig Rollenbilder hat als den hart arbeitenden Ernährer.
Michelle Williams wirft sich mit aller Verve in den schwierigen Charakter Mitzis – einer Frau, nicht minder gefangen in dieser Familie, die sie dennoch wahrhaft liebt; gefangen in dem Schnittmuster »Mutter«. Einerseits tatsächlich begabt und auf eine charmante, kreative Weise neben der Konvention – andererseits aber auch mit (teils vom seelischen Druck ihrer Position gezeugten) bedrohlichen Problemen mit ihrer geistigen Gesundheit, die nicht als Verschrobenheit wegzulächeln sind. Williams umschifft die Melodram-Klippen, die Tränen einer Frau zum bloßen Schauwert, zur preiseheischenden Bravournummer zu machen, weil sie Mitzi weder nobel noch »hysterisch« zeichnet, aber stets sehr mitfühlbar menschlich.
Und Gabriel LaBelle hat die bubenhafte, sympathische Anmutung eines typischen Spielberg-Protagonisten. Zugleich sozial ungelenker Nerd und erwachendes Genie. Doch dieser Sammy kann als letztlich optimistischer Held seines eigenen Dramas von den Freuden und Leiden des jungen F.s in seiner Fokusiertheit auf sich und seine Kunst mitunter ein ziemlich selbstgerechter Stinkstiefel sein, in dem wohlverborgen etwas durchaus Dunkleres lauert.
Allesamt aber bekommen offenbar zudem noch eine überzeugende Mimikri der realen Vorbilder hin – auch wenn die uns Publikum in Aussehen, Stimme, Gestik kaum vertraut sind; doch wohldokumentiert im privaten Archiv des Regisseurs.
Denn Sammy Fabelman, das ist freilich Steven Spielberg. The Fabelmans ist der filmische Bildungsroman seiner Jugend. Wie der Filmfamilienname schon sagt, ist alles ein wenig ins Reich der Fabel gerückt. Ist zu einer Filmdramaturgie umarrangiert, überhöht, pointiert; das ein oder andere von Spielberg und Autor Tony Kushner auch dazufabuliert.
Doch im Kern stellt Spielberg in den meisten Szenen hier seine Erinnerung nach – mitunter, nach eigener Aussage, wortgetreu. (Und anyway: Print the legend …) Inklusive seiner frühen Gehversuche auf Super-8, bei denen Steven und seine Spezl mit ihren bescheidenen Mitteln, aber viel Enthusiasmus und Erfindungsreichtum nachmachten, was sie im Kino begeisterte: Western, Kriegsdramen. Was The Fabelmans mit einer fast fetischisierenden Freude an der Materialität echten Films zelebriert – dem Zelluloid, der Schneideklinge, dem Montage-Kleber – und an der Verspieltheit, dem ingeniösen Bastlertum des »naiven« Filmemachens.
Doch schon da schleicht sich für Sammy immer wieder in die kontrollierte Fiktion ein, was tiefere Schichten seines Bewusstseins umtreibt. Der Leinwand-Soldat soll trauern um all die Männer seines Trupps, die er mit seinem Befehl in den Tod geführt hat – und da merkt Sammy, dass ihm das zum Bild des Zerfalls seiner eigenen Familie gerät und seiner Wut, Trauer darüber, seiner vermeintlichen Schuld daran.
The Fabelmans ist Spielbergs offen autobiographischster Film. (Und dabei im vermeintlichen Spätherbst seiner Karriere, nach einer schon länger eher durchwachsenen kreativen Strecke, ein unerwartetes Meisterwerk.) Doch sollte er einen gerade deshalb kurieren von dem geläufigen Missverständnis, dass der Rest seiner Filmographie weniger persönlich sei. Spielberg war nie bloß der Märchenonkel, der virtuose Blockbuster-Impressario. Er hat das enorm Persönliche lediglich lieber übersetzt in Genres, hat ihm Kostüme angezogen, hat es ins Historische verschoben.
Spätestens The Fabelmans öffnet die Augen, wie sehr traumatische Themen ihn verfolgen, sein Werk durchziehen. Wie ernst es mit all den bedrohten Familien, mit der existenziellen Verlassenheit etwa in E.T. immer war. Wie sehr z.B. Saving Private Ryan, so problematisch der politisch ist, doch verklausuliert ein Film über und für den Vater ist, der offenbar seine eigenen Kriegserlebnisse eher verdrängte.
The Fabelmans ist durchaus selbst auch ein Genre-Stück, spielt bewusst mit dem Hollywood-Kino der dargestellten Ära. Man wohnt anfangs in Suburb-Häusern, die verdächtig der »Colonial Street« auf dem Universal-Studiogelände ähneln – Heim unzähliger Filmfamilien der ‘50er. Die Melodramen Douglas Sirks scheinen nie fern, Mitzi Fabelman würde oft problemlos als Double für Doris Day durchgehen.
The Fabelmans macht kein Hehl daraus, ein Film zu sein, setzt nicht die üblichen Marker für »Authentizität« (Handkamera, blasse Farben, Verzicht auf Musik etc.). Er lebt gerade von der Spannung zwischen der Artifizialität, Überlebensgröße des Kinos und der Präsenz eines realen Lebens.
Niemand hat die Grammatik klassischen Filmerzählens virtuoser beherrscht als der junge Spielberg. (Soderbergh fühlte sich einmal dazu bewegt, den Anfang von Raiders of the Lost Ark in Schwarz-weiß und stumm ins Netz zu stellen, mit einem: Leute, guckt hin, wie unfassbar genial das filmisch erzählt ist!) Später wurde Spielbergs Filmen freier, loser – aber in The Fabelmans kehrt er wieder, etwas sublimiert, zurück zu einem Stil, bei dem jede Kadrierung, jede Kamerabewegung, jeder Schnitt narrativ begründet ist.
Doch zugleich sind die Emotionen hinter den Bildern so roh, so ungefiltert, dringlich wie selten in seinem Œuvre. Wo Spielberg sonst die Apparatur des Kinos oft nutzt, beim Publikum Gefühle zu erzeugen, da fühlt sich The Fabelmans vielmehr durchdrungen an, durchwirkt von Spielbergs eigenem Empfinden.
Nach dem Tod von Mitzis Mutter bekommt die Familie (einen womöglich hellseherisch angekündigten) Besuch des Onkels Boris – eine späte Paraderolle für Judd Hirsch. Boris wird für Sammy zum Menetekel. Er kennt sich aus im Showgeschäft, war im Zirkus Löwenbändiger, wurschtelte später im frühen Hollywood herum. Wo immer man Juden halt halbwegs duldete. Er erkennt in Sammy eine verwandte Seele – und sieht das mit Bedauern für den Bub. Die Berufenheit zur Kunst ist ein Fluch, Kunst macht dich einsam, prophezeit er ihm.
Und in der Tat: Als Burt und Mitzi den Kindern ihren Entschluss zur Trennung offenbaren, sitzt Sammy schon abgerückt, wenn nicht entrückt daneben, ist Beobachter seines eigenen Lebens und sammelt Stoff für spätere Werke.
Die Kamera, das Filmemachen, das Kino sind in The Fabelmans zugleich Instrumente der Wahrheit, der Aufklärung, der Kontrolle, mithin der Therapie. Und stemmen dabei doch immer wieder den Türspalt auf für das Unbewusste, Unkontrollierbare, Verletzende.
Burt verlangt von Sammy, dass er ein Familienfilmchen zusammenschneiden soll vom gemeinsamen Picknick-Ausflug, um damit Mitzi nach dem Tod ihrer Mutter aus der zunehmenden Depression zu holen. Sammy setzt sich widerwillig an die Arbeit, will eigentlich lieber sein Amateur-Kriegsepos drehen. Doch beim Betrachten des Materials entdeckt er im Hintergrund, am Rand der intendierten Bilder die Intimität zwischen Mitzi und Bennie.
Er schneidet eine offizielle Version, ein heiteres Filmchen über eine glückliche Familie. Und eine Outtake-Rolle, die das wahre, prekäre emotionale Gefüge offenbart.
Lang hortet er Letzere als Geheimnis, und wird darüber zornig, selbstmitleidig, wird verstockt und ungerecht gegenüber der Mutter. Bis er sie schließlich in seinen Wandschrank als quasi zugleich Vorführkabine und Kinosaal hockt und ihr den inkriminierenden Film zeigt.
Zumindest in seiner Sicht besiegelt er damit das Ende der Familie – doch es ist zugleich der Grundstein für ein neues, verständigeres Verhältnis zu seiner Mutter.
The Fabelmans ist, einerseits, eine Kontroll-Fiktion: Der Versuch, nun mit 76, nach dem Tod der Eltern, das letzte Wort über das eigene Lebens-Narrativ zu gewinnen.
Im Kern, in einer absoluten Schlüsselszene aber, verharrt das Unerklärbare, Unkontrollierbare. Weil er dafür eine Arriflex in die Hände bekommt, erklärt Sammy sich bereit, den Strandausflug seines Highschool-Jahrgangs zu filmen. Klar, dass er die Gelegenheit nutzt, einen der Bullys bloßzustellen, die ihm das Schulleben schwer machen – ihn in der Montage zum mitleiderregenden Clown erniedrigt. Doch was treibt ihn dazu, den anderen, den wahren Anführer seiner Peiniger, mittels seiner Kunst zum Leinwand-Helden, zum Halbgott zu stilisieren? Der sonst in vielem fast überdeterminierte Film hat darauf bewusst keine klare Antwort.
Und die ungeplante Volte: Gerade das erweist sich als vernichtendste Rache. Der blonde, strahläugige High School-Athlet begreift, dass er als realer Mensch nie das Versprechen des Film-Götzen einlösen wird, welchem Sammy sein Äußeres verlieh. Dass sein Leben von nun an nur Enttäuschung sein kann.
Schließlich schafft es Sammy zu einem Hilfsjob bei Universal. Sein Chef ist dort auch nur ein kleines Rädchen, ein TV-Produzent. Doch im Büro gegenüber, da sitzt eine Legende. Ob Sammy die mal kennenlernen will, fragt er ganz beiläufig, als bedeute das nichts.
Und ob Sammy will! Unvermittelt wird er so in die Begegnung mit seinem wohl größten Idol geschubst. Wer das ist? Und wer den spielen darf, ohne sich des Sakrilegs fürchten zu müssen?
Die Szene ist ein solch absoluter cineastischer Glücksmoment, dass ich allen, die die Antwort auf obige Fragen noch nicht mitbekommen haben, ihn hier nicht spoilern möchte. Ich war meinerselbst unvorbereitet und bin, die Augen eh schon latent feucht vom vorangegangenen Film, im Kinosessel fast weggeschmolzen vor Seligkeit.
Nur soviel sei gesagt: Es ist der Gastauftritt just eines Großmeisters des Kinos als Projektion des ungefilterten Unterbewusstseins, der unkontrollierten (Alb-)Träume.
Die Schlusspointe nimmt jene Lektion auf, die Sammy bei dem Treffen erteilt wird. Und ist ein Augenzwinkern in Richtung des Kinos als Illusion, als mechanische Apparatur, mit Objektiven und Stativen.
Es ist nur eine kleine Kamerabewegung. Doch eine der cleversten der Filmgeschichte. Und sie rückt Sammy alles zurecht für eine … interessante Zukunft.
Der erste Kinobesuch ist für viele Menschen wahrscheinlich einer der magischsten Momente überhaupt – auch wenn man davor möglicherweise Angst hat, so wie bei Sammy (frischgebackener Critics Circle Awards Gewinner Gabriel LaBelle), dem Protagonisten von Steven Spielbergs neuestem Werk The Fabelmans. »Was, die Lichter gehen aus?«, fragt der Junge verängstigt und will am liebsten direkt am Absatz des Foyers kehrtmachen. Doch als sich der purpurrote Vorhang öffnet und das Licht des Projektors die ersten Szenen des Films The Greatest Show on Earth über die Leinwand flackern, ist es um Sammy geschehen. Das wird in einer der nachfolgenden Szenen sehr deutlich. Der junge Protagonist sitzt wie vom Blitz getroffen regungslos und mit weit aufgerissenen Augen im Auto. Während sich seine Eltern besorgt fragen, ob dieser Kinobesuch wirklich eine gute Idee war, steht für Sam fest: Was auch immer ich gerade gesehen habe, war ein Erlebnis! Wenn ich groß bin, möchte ich genauso mitreißende Filme machen, die die Leute begeistern! Dieser Initiationsritus in die Welt des Films tritt die Ereignisse der restlichen knapp 150 Minuten von The Fabelmans los. So erwartet das Publikum eine kinematographische und zeitgleich cinephile autofiktionale Aufarbeitung der Kindheit und Jugend des mehrfach oscarprämierten Regisseurs Steven Spielberg.
Generell scheint die Verarbeitung der eigenen Kindheit in Hollywood gerade ziemlich angesagt zu sein: Egal ob Belfast von Kenneth Branagh, Zeiten des Umbruchs von James Gray oder eben The Fabelmans von Steven Spielberg. Doch während erstgenannter sich eher mit den Unruhen in Nordirland befasste, liegt der Fokus in The Fabelmans auf den ersten filmischen Gehversuchen Spielbergs. Gerade das Plädoyer für die Leinwand als Ort, an dem vermeintlich kleine Details ganz groß erscheinen und man mit der klassischen analytischen Montage echte Emotionen beim Publikum wachrufen kann, werden viele Publikumsherzen höherschlagen lassen.
Und wenn ein Regisseur weiß, wie er die Gunst der Zuschauer gewinnen kann, dann Spielberg. Wie kein anderer zeichnet er das Porträt einer zutiefst dysfunktionalen jüdischen Familie im Amerika, die gerade aufgrund ihrer kleineren und größeren Makel überzeugen soll. Mehr als über das Prädikat: Nett, aber nichts, was man nicht schon zigfach bereits gesehen hat, geht The Fabelmans aber nicht wirklich hinaus. Es folgt eine kurze Aufzählung der Figuren: Der technisch versierte Vater, der in der Cinephilie seines Sohnes nur ein Hobby sieht und hofft, dass er ihm nacheifert. Die Mutter, die vor der Geburt ihrer Kinder eine Künstlerin war und ihrem alten Leben insgeheim hinterhertrauert. Schlussendlich noch der filmbegeisterte Sammy mit seinen beiden Schwestern. Paul Dano spielt Burt Fabelman als einen Vater, der seinen familiären Verpflichtungen eher als lästige Pflicht nachkommt – und dann wäre da noch Michelle Williams. Sie mimt die liebenswürdige, wenn auch fast schon wahnsinnig anmutende Mutter, was durchaus überzeugen kann, teils aber ins starke Overacting abdriftet. Gerade bei einer renommierten Schauspielerin wie Williams ist es überaus enttäuschend, wie Spielberg seine vermeintliche »Mutter« ab einem gewissen Zeitpunkt im Film als eine Art von überspitzter Figur darstellt, was die Lust am (Zu-)Schauen eher vermindert als vergrößert.
Mag die schauspielerische Leistung im Großen und Ganzen durchaus größtenteils überzeugen, so trifft dies mit Sicherheit nicht auf die Handlung zu. Denn was bereits für die recht generisch geratene Figurenkonstellation gilt, trifft genauso auf die Story zu. Spielberg scheint bei seinen Alterswerken, egal ob West Side Story oder jetzt in The Fabelmans, auf Nummer sicher zu gehen: Wer große Überraschungen erwartet, wird enttäuscht werden. Bis auf ein paar nette Anekdoten, wie geschickt der Regisseur die Manipulationsmacht des Mediums Film bereits in jungen Jahren zu nutzen wusste, ist vieles eher Dramen-Einmaleins. Eine Ehe, die langsam aber sicher in die Brüche geht, die ersten filmischen Gehversuche von Sammy in Verbindung mit den ersten Rückschlägen, ein Umzug und Stress an der neuen Schule. Dabei wird dem Film insbesondere seine Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden zum Verhängnis, da The Fabelmans zu oft auf altbekannte Klischees setzt. Besonders negativ bleiben all jene Sequenzen in Erinnerung, die an Sammys neuer Schule spielen. Hier wirft Spielberg so ziemlich alle Formelhaftigkeit in den Ring, die es in den Highschoolfilmen innerhalb der vergangen 50 Jahren gegeben hat: Die rassistischen Mobber, die am Endes doch nur halb so schlimm sind, die angesagten Mädchen, die mit den größten Machos abhängen und in Wirklichkeit doch recht naiv sind, usw. Dadurch entstehen dann Szenen, wie jene, in der Sammys erste Freundin ihn zu sich nach Hause einlädt und sich herausstellt, dass sie einen ausgeprägten Jesus-Fetisch besitzt, was genauso unangenehm zum Ansehen ist, wie es klingt.
Aus rein technischer Perspektive lässt sich nicht viel gegen The Fabelmans anbringen. Dass Kameramann Janusz Kaminski, mit dem Spielberg unter anderem bereits bei West Side Story zusammengearbeitet hat, schöne, von Liebe zum Film nur so sprühende Bilder eingefangen hat, überrascht genauso wenig, wie der gefühlvolle Soundtrack von John Williams. Das ist alles an und für sich ganz nett, aber im Grunde genommen erzählt The Fabelmans weder etwas Neues noch wirklich Spannendes, das auch nur im Ansatz die Laufzeit oder die bisherigen Lobpreisungen wirklich rechtfertigen würde. Die Figuren sind als Sympathieträger angelegt, die Geschichte besitzt eine Menge an Verweisen auf Filmklassiker mit dem ein oder anderen Cameo, kurzum: Spielberg macht das, was Spielberg am besten kann. Das Publikum mit wenig überraschenden, dafür aber umso emotionaleren Geschichten (immer wieder im Zentrum: dysfunktionale Familien) an die Leinwand zu fesseln. Wer genau das erwartet, wird wahrscheinlich seine Freude an diesem Film haben – wer aber immer noch darauf hofft, dass Spielberg von seinen bekannten Pfaden abweicht, wird auch weiterhin darauf warten müssen.