Dominikanische Republik 2024 · 122 min. Regie: Nelson Carlo de Los Santos Arias Drehbuch: Nelson Carlo de Los Santos Arias Musik: Nelson Carlo De Los Santos Arias Kamera: Camilo Soratti, Roman Lechapelier u.a. Darsteller: Jhon Narváez, Sor María Ríos, Fareed Matjila, Harmony Ahalwa u.a. |
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Die Poesie des Hippopotamus amphibius | ||
(Foto: Berlinale · © Monte & Culebra) |
Mit einer kühnen Kontrastmontage beginnt Pepe: der verzerrte Funkverkehr zwischen Soldaten, die Jagd auf ein Nilpferd machen, und ein Fernsehbildschirm mit einem Nilpferd als Cartoonfigur werden gegeneinander gestellt.
Bei dem Cartoon handelt es sich um einen Ausschnitt aus »Pepe Pótamo«, einer in Lateinamerika in den 60er Jahren sehr populär gewordenen Zeichentrick-Serie. Eigentlich heißt sie »Peter Potamus« und stammt natürlich aus den USA (»die Gringos haben immer ihre Hände im Spiel«, heißt es im Film später einmal). Doch diese Figur hat sich so sehr ins popkulturelle Gedächtnis Lateinamerikas eingeschrieben, dass sie noch 2009 zum Namensgeber für ein besonderes Nilpferd in der Wirklichkeit Kolumbiens werden konnte: eines mehrerer Nilpferde, die aus dem Privatzoo des Drogenbarons Pablo Escobar in die freie Wildbahn entflohen waren und sich am Río Magdalena ausgebreitet haben. Das Nilpferd Pepe hat seinen Namen erhalten, als es auf offizielle Anweisung hin wegen Gefährdung der Bevölkerung von kolumbianischen Militärs unter kundiger Leitung zweier Jäger mit Großwildjagderfahrung mit »drei präzisen Schüssen« (so in einem Pressebericht von damals) getötet wurde. Angeblich handelte es sich bei diesen Jägern um zwei Vertreter der kolumbianischen Porsche-Niederlassung namens Federico und Cristian Pfeilschneider mit deutscher Abstammung, aber kolumbianischem Jagdschein. Auf diese Erschießung verweist der Funkverkehr zu Beginn.
Die Meldung aus dem »Vermischten« der Pressenachrichten bleibt im Film von Nelson Carlos De Los Santos Arias jedoch im Hintergrund, ihn interessieren ganz andere Dinge und Bilder. Als ersten Teil von »Studien zur Imagination« weist der Regisseur Pepe, den Film, im Untertitel aus. So darf vom phantasievollen Cartoon ausgehend dann das tote Nilpferd Pepe im Voice-Over selbst das Wort ergreifen, um davon zu erzählen, wie es aus Namibia in Afrika nach Lateinamerika gelangt ist, um dort seinen Tod zu finden.
Vier verschiedene Sprecher werden aufgeboten, um Pepe immer wieder mit verfremdeter, wie aus einer tiefen Höhle kommender Stimme von seinen Fährnissen berichten zu lassen. Doch nicht nur die Sprecher, auch die Sprachen wechseln, zwischen Spanisch, Afrikaans und der Bantu-Sprache Mbukushu aus einer Region Namibias. Dieses interkulturelle Sprachengemisch ist ein Echo der Kolonialgeschichte, die Afrika und Lateinamerika umgreift, ebenso ruft die Verbringung der Nilpferde von Afrika nach Amerika echohaft die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels auf.
Das Prinzip des Stimmengeflechts prägt die Erzählweise des Films insgesamt. Sie strebt keinen linearen Nachvollzug des anekdotischen Hintergrunds an, sondern begibt sich auf eine Erkundung der Pfade der Imagination. Wildes Denken und Formen der Bricolage machen die Textur dieses Films aus. So werden verschiedene Versionen des Kernnarrativs um die aus Afrika in den kolumbischen Regenwald versetzten Nilpferde in einer Art Arbeit am Mythos verfolgt. Bis in die Lebensrealität der Flussfischer am Río Magdalena hinein, in der die Präsenz der ungewohnten Tiere heftige Dynamiken auslöst. Und nebenbei werden sogar die banalen Probleme vernachlässigter Infrastruktur dort thematisiert.
Was den Film auszeichnet, ist die visuelle Assoziativität, in der verschiedene Formate, farbige und schwarz-weiße Bilder, analoge und digitale Aufnahmen, in eine spielerisch-experimentelle Gestalt gebracht werden. Heterogene Episoden wie deutsche Safaritouristen in Namibia oder Kinder eines Kostümwettbewerbs am Río Magdalena fügen sich ein. Zu einem Abenteuer des Sehens lädt dieser Film ein, zur Exploration eines Terrains, das erst mit Kamera und Montage geschaffen wird.
Dokumentarische Bilder betörender Landschaften und beeindruckend gelassener Flusspferde werden imaginär überschrieben, Found Footage und Nachrichtenbilder werden aufgebrochen und geöffnet auf Ungehörtes und Ungesehenes.
Immer wieder sind es Einstellungen auf Fortbewegungsarten durch den Raum, die in diesem Film faszinieren, ob nun auf Schienen, Straßen und Wegen, ob im Wasser oder durch die Luft, handle es sich nun um Mensch oder Tier – diese Bewegungsdynamik trägt uns beim Sehen vom Physischen zum Spirituellen und wieder zurück in die Materialität und das Körperliche.
Der Dominikaner Nelson Carlos De Los Santos Arias liefert mit Pepe ein Beispiel avancierten Filmemachens mit entschieden experimentellem Einschlag, jenseits eingefahrener Erzählmuster. Seine formale Radikalität, die immer wieder mit Witz und Humor arbeitet, hat ihm den Silbernen Bär für die Regie eingebracht. Und man kann diesen Preis als Auszeichnung für ein genuines Autorenkino auffassen, denn Nelson ist für Buch, Regie, Montage, Musik und teilweise auch für die Kamera verantwortlich. Kenner seiner Vorgängerfilme werden von diesem Erfolg nicht überrascht sein. Der faszinierend bildstarke Essayfilm Santa Teresa y otras historias (2015) und das fiebrige Erzähldelirium Cocote (2017) sollten auch einem größeren Publikum bekannt gemacht werden. So konnte die Aufnahme von Pepe in den diesjährigen Wettbewerb der Berlinale mit Nachdruck auf die Existenz eines anderen Kinos jenseits von Stars und Glamour hinweisen.