Franz Ackermann:
Die große Reise


Ort: U-Bahnhof Georg-Brauchle-Ring, Georg-Brauchle-Ring-Ecke Hanauerstraße
Dauer: stationär
Eröffnung/Einweihung: 18.Oktober 2003, 11-16 Uhr,
Gattung: Installation
Materialien: Bildtafeln aus pulverbeschichteten Edelstahlwellblechen mit Digitaldruck und Edelstahlplatten
Maße: 120 m x 7,50 m
Träger: QUIVID

projekte

   

Zum Künstler

Der für die Gestaltung auserwählte Maler Prof. Franz Ackermann ist kein unbeschriebenes Blatt. Anfangs an der Münchner und Hamburger Kunstakademie Studierender, doziert er mittlerweilen als Professor am ZKM in Karlsruhe. Nennenswert sind die vielen internationalen Ausstellungen, die seine bisherige künstlerische Laufbahn säumen (Die Darstellung, der im Folgenden referierten Zusammenhänge, folgt den Angaben unter quivid. de/news/seiten/einzelwerke). Und hierbei verrät seine Biographie, dass er individuell gestaltete "expansive Bildwelten und raumgreifende Installationen" erschuf. Dahinter liegen seine Absichten, menschliche Wünsche und Sehnsüchte zu erfüllen, um dabei in einer sozialkritischen Analyse feststellen zu können, inwieweit diese durch Werbung und Kulturindustrie beeinflusst werden. Insbesondere in Bezug auf den Tourismus, der die gewinnträchtigste Branche der westlichen Welt ist, zeigt Ackermann eine Entindividualisierung fremdländischer Kulturen, deren Vermischung durch die Globalisierung ausgelöst wurde. Ohne Worte-allein durch die Aussagekraft der Bilder-vermittelt Ackermann dem Besucher unterschiedliche Stimmungseindrücke. Ackermann präsentiert in seinem Schaffen als Maler eine architektur- und kulturreiche Assemblage aus verschiedensten - sei es aus fotografierten oder auch selbstgemalten - Bild- und gedruckten Farbtafeln. Die Anordnung des nun zu behandelnden U-Bahnhofes wurde vom Künstler Die große Reise genannt. Mit dieser Themenwahl vermag es jener U-Bahnhof, zu einer Reise einzuladen.

Beschreibung

Der Georg-Brauchle-Ring ist nicht nur namentlich der sechsspurigen Straße im Münchner Norden zuzuordnen, sondern seit Kurzem auch bedeutsam für die derzeitige Endstation der Linie U1, die das Streckennetz über den Rotkreuzplatz bis nach Moosach verbindet und im Laufe diesen Jahres 2004 noch eine Verlängerung bis zum Olympia-Einkaufszentrum erfährt. Mitunter die wirtschaftliche Nutzungslage durch überirdische Büro- und Verwaltungsbauten am Georg-Brauchle-Ring nebst Petuelpark begründet das beabsichtigt Augenfänglich-Attraktive des Werkes. Beschreibung Einen ersten Eindruck gewinnt der Betrachter beim Einfahren der U-Bahn in die Station, die einen hell erleuchteten, riesigen U-Bahnhof mit bunten, monochromen Edelstahlwellblechen mit Digitaldruck und Bildtafeln aus pulverbeschichteten Edelstahlpatten, jeweils mit einer Grösse von 120 x 7,50 m, preisgibt. Acht Fest- und ebensoviele Fahrtreppen führen zur Bahnsteighalle, die im südlichen Bereich als Fußgängerunterführung dient. Nebst drei Aufzügen wurden für Sehbehinderte und Blinde nach neuestem Standard Bodenindikatoren in den steinernen Grund integriert, die sicher zur Schalterhalle leiten. Wie im Pressetext der Eröffnungsfeier nachzulesen ist, brilliert dieser U-Bahnbau mit einer modernen, ökonomischen Bauweise, der sogenannten Schlitzwand-Deckel-Bauweise. Dies ist sich bildlich so vorzustellen, dass zwei, aus einem Guss angefertigte Betonplatten seitlich in die Baugrube eingelassen werden, auf die eine Betonplatte als Decke und als stabiler, oberer Abschluss befestigt wird. So erlaubt diese neuartige Technik es auch, dass ein räumlich großer Innenraum geschaffen wird, der nicht mehr durch Säulen oder ähnlich tragende Elemente durchbrochen werden muss. Weiterhin wurden Leuchten in die abgehängten Decken und Wandverkleidungen integriert.
Ein Farbenmeer und ein Luftwall als Gemisch aus frischem Beton und den mit dem von der Fassade abgesonderten Geruch von Fabrikneuem offenbart sich dem Passanten mit dem Öffnen der Türen. Erste Orientierungshilfen sind die links und rechts gelegenen Rolltreppen, deren Seitenwände mit lichtdurchfluteten Milchgläsern ausgestattet sind. Am, zu den Ausgängen führenden, oberen Absatz der Rolltreppen überzeugen Stahlhalterungen mit ihren Glasfassaden, die den U-Bahnraum wesentlich grösser erscheinen lassen. Von oben erstreckt sich der U-Bahnhof dem Passanten wie ein tiefergelegter Bühnenraum, wenn er sich dem unterirdischen Bahnhof vom Parterre nähert. Vorab zu nennen sind die, über die gesamten Wandseiten verteilten, in grau gehaltenen Platten zu den im Gegensatz dazu bunten, gemalten Tafeln. Und dazwischen sind in einer scheinbar willkürlich angelegten Ordnung monochrome Farbtafeln angebracht, die zwischen den Bildtafeln erscheinen. Mal hier, mal da taucht eine schwarze, weiße, eine in einer Grundfarbe gehaltene oder auch jeweils in deren Nuancierungen gefärbte Platte auf. Diese folgen in ihrem wechselnden Farbenspiel nicht immer einem bestimmten Rhythmus, sondern ihr Macher, Prof. Ackermann, erlaubt sich, auch zwei schwarze Platten nebeneinander auftreten zu lassen. Dagegen die Anordnung der sich wiederholenden schwarzen Platten mit dem U-Bahn-Namen folgt keinem Prinzip, verständlich, da es für die Station eine grundlegende Ausstattung ist.

Die Reihe beginnt mit einer Abbildung eines Segelschiffes mit all seinen gehissten und im Wind aufgeblähten Segeln, das mit starkem Rückenwind zu einer Fahrt durch den U-Bahnhof einlädt, gefolgt von einer abstrakten Farbgestaltung des Malers. Er zeigt uns ellipsenartige, parallel zueinander verlaufende Farbenlinien in einer verformten und fließenden Art, die in ihrem Kern einen Blick in eine futuristisch-architektonisch angelegte Bautenwelt freigeben. Die nächsten Platten zeigen unterschiedlichste architektonische Meisterwerke aus verschiedensten Ecken der Länder. So prangen amerikanische Bauweisen auf einer grau-getünchten Tafel, die eine Bucht zeigen, in die sich Wolkenkratzer und Hochhäuser zusammengestaffelt eingenistet haben. Das weltbekannte Opernhaus in Sydney ist zu erkennen, das einen Platz an der rechten, in der Nähe des auf dem Bahnsteig mittig gelegenen Fahrstuhl, bekam. Und daneben reihen sich Ausrisse aus einer Landkarte, die zur Weiterführung des Betrachterblickes über asiatische Bauweisen zu Inkatempeln dienen. Aus einer Abbildung lässt sich eine romanisch-italienische Kirche aus der Untersicht betrachtend und zu ihr aufschauend erschließen, vor der sich am unteren Bildrand als Wegabschirmungen weiße Stellplatten emporhangeln. Zu all diesen öffentlich zugänglichen Räumen gehören auch Brunnenbauten mit ihren individuellen Plastiken. Weitergehend findet sich ein Bild von ghettoähnlichen Fassaden, bei der sich jeder Balkon in einer einheitlichen, unüberblickbaren Masse vermischt. Eine jeweils von ihrer Nationalität geprägten Hausfassade neben der anderen blitzt in mehreren abbildhaften Platten auf, bemerkenswert eine Fassade, deren Fenster und Balkons aus Tondoformen besteht. Erstaunen beim Weiterwandern kann ein, aus dem Boden sprießender, organisch aussehender Bau auslösen, dessen wellenartige Bedachung zwei links und rechts gelegenen Häuschen Schatten spendet.

Persönliche Beobachtungen

Auf dem Gleis beginn die Reise durch des Künstlers Auge. Im Allgemeinen könnte ich die Thematik mit der Bezeichnung "zeitgenössische und altertümliche Architektur in öffentlichen Räumen der verschiedensten Kulturen" umreissen.
Über allen-sei es bei den irrealen oder fotografierten-Motiven liegt ein Schleier der Unkenntlichkeit, hervorgerufen durch ein Heramzoomen an Objekte wie es bei den übergroß auf dem Boden stehenden Glockenkörpern der Fall ist, die durch das Anrisshafte nur schemenhaft auszumachen sind. Dazu wurden ebenso beruhigende Momente aus der Natur festgehalten, wie auch hektische aus einer künstlich Erschaffenen. Da sehe ich ein Felsmassiv, das sich in weiten Ringen flach zu seiner Mitte hin abschält, auf natürlichste Weise entstanden durch Errusion. Daneben setzt Ackermann einen alltäglichen Ausschnitt einer bevölkerten Stadt mit ihren künstlichen, aber auch teilweise kunstvoll gestalteten Häusern, die unterschiedlich hoch in den Himmel greifen. Dann wiederum mischt sich eine Natur unter die Abfolge der Architekurbautafeln, die eine mythisch angehauchte Stimmung in sich birgt. Darauf erkenne ich Ahnen einer Kultur, aus einem Felsgestein gemeisselt, die aber in ihrer felsigen Umgebung eingebettet bleiben.
Auffällig sind die Perspektivenwechsel. Mal von unten an einem prächtigen Gebäude oder in eine Glaskuppel hinaufblickend, mal aus der Vogelperspektive auf eine überbevölkerte und an moderner Architektur überfüllte Stadt herunterschauend, die nur durch eine wie in einem Brennglas verkleinerte Sicht einen Überblick zulässt.
So wie bei jeder Reise, greift Ackermann auch hier verschiedenste Eindrücke auf. Er zeigt globale und lokale Plätze, die in ihrem Inhalt wesentliche Unterschiede präsentieren und dadurch ein expressives Bild verkörpern. Aber Wiederholungen der Digitaldruckmotive-in allen erdenklichen Variationen-schließen sich nicht aus, will man dabei an teilweise gleiche euopäische Realbauweisen denken, an der uns Ackermann in seiner fiktiven Reise auch teilhaben lässt. Und dazwischen präsentiert er uns immer wieder eigens gemalte, bunte Entwürfe aus seiner Welt, in der sich bekannte architektonische Elemente verzerrt widerspiegeln und bunt und schreiend zwischen die in grau gestaltenden Bilder plaziert sind, wie beispielsweise ein vulkanartiges Gebilde, das sich mit zackigem Rand in die Mitte des Bildes bohrt. In dessen Inneren ist ob jeder Erwartung keine lodernde Glut, sondern Schutt, der das natürliche Gebilde als eine Baugrube identifizieren lässt. Diese zuvor erlittene Irreführung mittels leichter Unkenntlichmachung ruft ein moderner, sich ans Graffiti anlehnender Zeichenstil hervor.
Bei meiner eigenen Reise durch diese unterirdische Ausstellung sind mir bestimmte Reaktionen der Passanten aufgefallen. So durfte ich miterleben, wie sich ein Besucher auf dem Treppenabsatz der fahrenden Rolltreppe umdrehte, um die Atmosphäre des U-Bahn-Innenraumes begeisterten und interessierten Blickes, sich rücklings aufwärts bewegend, bestaunen zu können. Das beweist eine große Anziehungskraft des Kunstwerkes auf das Publikum.

So ist es sicher nicht falsch, zu sagen, dass solche U-Bahn-Kunst ein "Anfang einer neuen Generation von U-Bahnhöfen ist, bei der die aktuelle Kusnt eine prägende Rolle spielen wird", wie es die Internetseite des Baureferates zu berichten weiss. Vor allem bei den kürzlich bzw. seit 2000 (damalige Ausschreibung der Künstlerkommission des Baureferats zu drei neuen U-Bahnhöfen im Norden Münchens) errichteten Stationen wirkt ein unverwechselbarer Wiedererkennungswert mit. Die U-Bahnstation Georg-Brauchle-Ring ist dabei für mich eine akzentsetzende Neuerung im Bau des Münchner Bauuntergrundes und ich möchte behaupten, dass dieser zu Recht von der Zeitschrift des MVV "contakt" zu einem der schönsten Bahnhöfe Münchens gewählt worden ist (contakt, 4/2003).

Diana Fleischer

Abbildungen: QUIVID

 


Gesamtansicht
Bild groß anzeigen



Detailansicht


Detaiansicht

Zurück zu territorien [muc]    
     
Zurück zu artechock