Zum Künstler
Jonathan
Borofsky wurde 1942 in Boston geboren, absolvierte ein Kunststudium in
Boston und Paris und ist heute als Maler, Bildhauer und Graphiker tätig.
Seine Arbeit ist durch einen weitgespannten Rahmen von Ausdrucksformen
gekennzeichnet; das thematische Zentrum liegt in der Auseinandersetzung
mit seiner psychischen Empfindung: Ängste, Träume und Erlebnisse werden
in seinen Arbeiten visualisiert. So besitzen alle seine Werke subjektive
Hintergründe seiner selbst, die durch den Prozess künstlerischer Vermittlung
den Betrachter animieren können, eigene Erfahrungsprozesse in den Erlebnisrahmen
einer Ausstellung zu projizieren. Andere Hauptarbeiten sind beispielsweise
in Frankfurt und Basel durch den "Hammering Man" und in Kassel durch den
"Man walking to the Sky" vertreten.
Beschreibung
Der Walking Man ist eine 17 Meter hohe,
weiße Skulptur, die vor dem Eingang der Münchener Rückversicherungsgesellschaft
an der Leopoldstraße steht. In der Bewegung des Gehens inbegriffen, rahmt
die große Figur den Eingangsbereich des Unternehmens, monochrom im aufgerichteten
Gang scheint der Riese entlangzuschreiten. Der Walking Man repräsentiert
eine stark vereinfachte Menschendarstellung. Er ist von schlanker Statur,
langbeinig und vermittelt durch seine Position die Bewegung des schnellen,
konzentrierten Gehens. Seine Arme "schwingen" scheinbar und verdeutlichen
die Bewegung des dynamischen Gehens. Die Skulptur besteht aus einer Stahlkonstruktion,
die in den USA im kalifornischen Sun Valley, angefertigt und in Teilen
zerlegt nach München gebracht worden ist. Seit 1995 ist der Walking Man
nun als dauerhaft stehendes Ausstellungsstück zu bestaunen. Die Münchener
Rückversicherung hat in der Planungsphase nach einem Kunstwerk gesucht,
das architekturbezogen ist und dem Wunsch nach Öffentlichkeitswirksamkeit
entgegenkommt.
Persönliche Beobachtungen
Aus der Nähe wirkt die Skulptur wie ein großer, weißer Stein. Simpel
und nüchtern mutet sie auf den ersten Blick an. Erst wenn man das Auge
hebt oder aus größerer Entfernung auf die Gestalt schaut, dann erkennt
man den schreitenden Riesen, der einen großen Schritt vor dem Münchener
Versicherungsgebäude macht. Jeder, der das Gebäude der Münchener Rück
betreten will, muss auch zwischen seinen Beinen hindurch, doch mancher
ist aus Aberglauben dazu nicht bereit und sucht den Weg außen herum. Jonathan
Borofsky hat mit seiner Skulptur ein Werk geschaffen, das das Motiv des
Schreitens in den künstlerischen Vordergrund stellt. Betrachtet man die
zielstrebige, vorwärtsgewandte Gangart des Walking Man, so könnte man
meinen, dass hiermit die Charakteristik und die Unternehmensphilosophie
der Münchener Rückversicherung gemeint ist: Sie vermittelt ihren Kunden
Sicherheit, Dynamik, Wachstum und Fortschritt. Doch kann der künstlerische
Moment des Gehens auch anders gesehen werden, was vor allem durch die
Gestaltung des Walking Man verdeutlicht wird. Seine unfarbige, beinahe
piktogrammartig vereinfachte Form kann durch vielfältigste Interpretationsansätze
Farbe bekommen; man könnte sich beispielsweise fragen, ob der Walking
Man nicht auch eine figürliche Darstellung all derer ist, die täglich
an ihm vorbeigehen; auch diese Menschen gehen zumeist mit einem gewissen
Ziel vor Augen die Leopoldstrasse entlang, doch wohin sie gehen, was sie
vor Augen haben, können wir nur erahnen. Lediglich ihre Körperhaltung,
die Ausstrahlung, ja die gesamte Körpersprache stellt für Außenstehende
eine Möglichkeit zur Interpretation, zum Erraten ihrer Gefühle und Ziele
dar. Wohin geht der weiße Riese? Rennt er ins Nichts, hat er ein klares
Ziel vor Augen oder flüchtet er gar? So kann die weiße Gestalt des Walking
Man mit den Gefühlen und Zielen der Passanten und Betrachter "gefärbt"
werden, die täglich an ihm vorbeigehen, er bekommt ein Innenleben das
ständig neu ist, und vielleicht doch gleichzeitig viele verschiedene Aspekte
vereint.
Katharina Lehmann
Abbildungen: Münchener
Rück
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Gesamtansicht
Ansicht aus
der Distanz
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