Sphere 2003:
Olafur Eliasson


Ort: Fünf Höfe, Viscardi-Hof, Theatinerstraße/Salvatorstraße
Dauer: stationär
Eröffnung/Einweihung: 20. März 2003
Gattung: Installation
Materialien: Edelstahl
Maße: Durchmesser 10m
Träger: i.A. der HVB Group, seit 08.01.2004 DIFA

projekte

   

Zum Künstler

Der 1967 in Kopenhagen geboren Isländer studierte an der Königlich Dänischen Kunstakademie. Mitte der 90er Jahre gelang ihm der internationale Durchbruch, der letztes Jahr in der Gestaltung des dänischen Pavillons auf der Biennale in Venedig - die Arbeit trug den Titel "The Blind Pavillon" - und in der großen Einzelausstellung "The weather project" in der Modern Tate in London einen weiteren Höhepunkt erfuhr. Auch in München konnte man ihn im Frühjahr 2003 mit der Arbeit "Sonne statt Regen" im Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus sehen. Die genannten Titel verweisen bereits auf einen Hauptaspekt des künstlerischen Werks Eliassons: die Natur. Dabei geht es ihm aber nicht um das romantisch verklärte Bild derselben, sondern eher um eine konstruierte Natur, innerhalb derer der Kulturbegriff, also die Frage nach der individuellen Definition bzw. Wahrnehmung von Natur, eine wichtige Rolle spielt. Mit seinen Installationen will er beim Betrachter, der selbst immer auch konstitutives Element darstellt und in Wechselwirkung mit dem Wahrgenommenen tritt, bestimmte Erfahrungen naturähnlicher Erscheinungen evozieren. Dabei sind Eis, Wasser, Wind, Nebel und Licht seine wichtigsten Werkstoffe. Olafur Eliasson lebt und arbeitet in Berlin, wo er ein großes Planungsbüro leitet.

Beschreibung

Die im Durchmesser 10 Meter messende und acht Tonnen schwere Kugel aus Edelstahl hängt im größten, nach oben offenen Hof der so genannten FÜNF HÖFE und gehört zu dem letzten, im Frühjahr 2003 eingeweihten Bauabschnitt. Bei dem Projekt der HVB Group ein exklusives Einkaufszentrum im Zentrum der Stadt zu schaffen wurde auch auf die künstlerische Gestaltung geachtet: So wurden für das Ensemble, in dem übrigens auch die Kunsthalle untergebracht ist, unter anderem die Architektenteams Herzog & De Meuron sowie Hilmer und Sattler mit der Planung beauftragt. Außerdem bat man im Rahmen eines Kunstkonzepts parallel zu dem Bau mehrere Künstler um Vorschläge. Es wurden schließlich Arbeiten von Thomas Ruff, Rémy Zaugg und Olafur Eliasson realisiert. Speziell für die Arbeit im Viscardi-Hof wurde ein Wettbewerb mit international renommierten Künstlern anberaumt. Daran teil nahmen Björn Dahlem, Olafur Eliasson, Bernd Finkeldei, Albert Hien, die Berliner Gruppe Inges Idee, Wilhelm Mundt und Jaume Plensa. Die Wettbewerbskommission setzte sich aus drei Vorstandsmitgliedern, zwei Bereichsleitern und der Kunstbeauftragten der HVB Group Bärbel Kopplin zusammen. Beratend zur Seite standen ihr mit Harald Szeemann, Carla Schulz-Hoffmann und Helmut Friedel prominente Vertreter aus dem Kunstbereich. Carla Schulz-Hoffmann zufolge bekam der Entwurf des isländischen Künstlers Olafur Eliasson den Vorzug, da er " durch die Balance von Zeitlosigkeit und Aktualität, konzeptueller Strenge und Offenheit für unterschiedliche Wahrnehmungen" zu überzeugen vermochte. An fünf unauffälligen Stahlseilen in den Wandseiten verankert schwebt die riesige Spiralkugel in der Mitte des fünfeckigen Hofs direkt über den Köpfen der Passanten. Sie besteht aus einem dichten Geflecht von 14 cm breiten hochglanzpolierten Edelstahlbändern, die sich spiralförmig übereinander legen und so eine komplizierte geometrische Struktur in 5-Fach-Symmetrie bilden. An den Polen ist die Kugel geöffnet. Der Besucher kann also, wenn er genau unter ihr steht, durch sie hindurch in den freien Himmel blicken. Die glatte Oberfläche der Bänder reflektiert das Licht, so dass die Kugel wetter- und tageszeitabhängig ihre Farbe leicht verändert. Die Arbeit wurde mit einem extra hierfür konzipierten, aus vielen Einzelteilen zusammengesetzten Hilfsgerüst angefertigt, über das die Bänder gespannt wurden, und das nach der Fertigstellung von innen zerlegt werden konnte. Die Größe und vor allem das immense Gewicht waren der Grund, dass die Installation vor Ort, auf dem Flachdach direkt neben dem Viscardi-Hof zusammengebaut wurde und anschließend nach sechsmonatiger Fertigungszeit "nur" noch mit einem Autokran in den Hof gehoben werden musste.

Persönliche Beobachtungen

Betritt man zum ersten Mal den Viscardihof, ist man zunächst verblüfft. Die Kugel ist alleine schon wegen ihrer Dimension nicht das, was man in einem Einkaufszentrum erwartet, selbst wenn einem "Kunst im öffentlichen Raum" ein Begriff ist. Man tritt fasziniert unter die Pole, schaut nach oben in den Himmel und wundert sich, wie eine so große Kugel so nah über einem schweben kann, ohne bedrohlich zu wirken. Man sieht ihr die acht Tonnen Gewicht nicht an. Ist die Neugier noch nicht gestillt, probiert man verschiedene Positionen aus und beobachtet die Schattenspiele, die sich zwischen dem eigenen Schatten und dem der Kugel - je nach Lichteinfall - ergeben. Hier soll Kunst Spaß machen, und wer andere Arbeiten von Olafur Eliasson kennt, weiß, dass er sich dies zum Prinzip gemacht hat. Es gibt immer etwas zu sehen, zu erleben, zu erfühlen, im weitesten Sinne auszuprobieren… "Grundsätzlich bin ich nicht gegen die Gesellschaft.", sagt der Künstler: "Ich sehe mich selbst als einen Mainstreamkünstler, weshalb auch leicht Zugang zu meinen Werken zu finden ist. Ich mag es, dass ein Unterhaltungswert dabei sein kann, wenn auch das Publikum diese Unterhaltungskonstruktion durchschauen könnte." Dieser hier angesprochene Unterhaltungswert unterstützt aber auch noch eine andere Intention, die weit mehr Reflektion erfordert: Der Künstler animiert den Betrachter zu einem direkten Kontakt mit seinem Werk. Interaktion wird bei Eliasson immer vorausgesetzt, so fordert er einmal die Besucher in der Einführung zu einem Ausstellungskatalog sogar persönlich auf, sich einbeziehen zu lassen, sich zu bewegen und sich auf Erfahrungen einzulassen. Er sieht in der Auseinandersetzung zwischen der Arbeit und dem Betrachter einen Prozess, der einer Verhandlung gleicht und bei dem die menschliche Wahrnehmung im Vordergrund steht. Eliasson fordert von der Kunst, Fragen aufzuwerfen, die die Gesellschaft dazu bringen sich selbst zu evaluieren und zu erkennen, dass die eigene Wahrnehmung stets abhängig von einer Vielzahl von Varianten also relativ ist. Es stellt sich natürlich immer die Frage in wie weit es dem Künstler gelingt, solche Überlegungen auch bei seinem Publikum auszulösen, zumal sich die Installation, von der wir sprechen, an einem öffentlich zugänglichen Durchgangsort befindet, an dem sich die meisten Besucher vor allem für die Schaufenster interessieren. An dieser Stelle sei angemerkt, dass keine Vermittlungsarbeit bezüglich der Installation betrieben wird. Leider ist weder über eine Hinweistafel noch über Fragen an die Verkäufer der umliegenden Geschäfte näheres über die Kugel oder ihren Urheber zu erfahren. So wird der kunstinteressierte Besucher nur in eigenständiger Recherche erfahren, dass bei Eliasson die Beschäftigung mit der Wahrnehmung des Menschen auch immer wieder wissenschaftliche Züge trägt. Besonders deutlich wurde dies in der Ausstellung Surroundings Surrounded, die 2001 im ZKM in Karlsruhe zu sehen war. Hier wurden Arbeiten aus allen wichtigen künstlerischen Themenbereichen Eliassons gezeigt. Im Katalog zur Ausstellung liefert eine Sammlung natur- und geisteswissenschaftlicher Texte, die auch aktuelle Positionen aus der Architektur und Kunsttheorie mit einbezieht, theoretisches Material zu den Arbeiten. Dieser Bezug zu den Wissenschaften gilt keineswegs nur für die Nachbildung von Naturphänomenen in laborähnlichen Ausstellungssituationen. Auch in der komplizierten geometrischen Struktur, die die Stahlbänder der "Sphere" bilden, klingt die Beschäftigung mit einer naturwissenschaftlichen Problematik an: Die 5-Fach-Spiralstruktur basiert auf den so genannten "Ammann-lines", einem Strukturmodell, das zur chemischen Definition von Quasikristallen verwendet wird. Diese wurden erstmals 1982 bei der Rönkenstrukturanalyse nach einer chemischen Schmelze entdeckt. Was den Künstler an dieser Entdeckung interessiert, ist die Tatsache, dass damit erstmals gezeigt wurde, dass in der Natur neben den bekannten periodischen Strukturen der Kristalle auch halbperiodische Molekülverbindungen existieren. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Eliassons Zugang zu den Wissenschaften immer ein gestalterischer, also eher pseudowissenschaftlicher, was er in einem Interview mit Dieter Buchhart auch freimütig zugibt, wenn er sagt: "Ich habe keine wissenschaftlichen Intentionen mit meinen Projekten (…) Wie in der Pop Art klaue ich direkt Naturphänomene und wissenschaftliche Darstellungen (…)mich interessiert das Verfahren des Sehens zwischen der Diskrepanz des vermittelten Wissens und des tatsächlich erlebten Wissens." Auf derselben Ebene fungiert ein weiterer wichtiger Aspekt, der in der hier besprochenen Arbeit ebenfalls deutlich wird und in dem Ausstellungstitel "Surroundings surrounded" bereits angeklungen ist: Eliassons Beschäftigung mit dem Raum. "Ich interessiere mich besonders für das Verhältnis zwischen dem Individuum, dem Besucher und der umgebenden Situation. Es könnte eine räumliche Situation in einem Kunstkontext oder im Stadtraum - dem öffentlichen Raum - sein. Diese Beziehung, dieses Engagement oder diese Auseinandersetzung als wissendes Subjekt mit diesem Raum ist für mich das Zentrale", erläutert er sein Ansinnen. Den Raum schafft der Künstler hier nicht, indem er eine geschlossene Form konstruiert wie oftmals in anderen Installationen, sondern indem er ein Spannungsfeld aufbaut zwischen Architektur und Kunst: Er lässt die unterschiedlichen geometrische Formen Kugel und Pentagon aufeinander treffen, schafft einerseits Nähe, um nicht zu sagen Enge zwischen Beton und Edelstahl und betont andererseits unendliche Weite mit dem Blick durch die Pole in den Himmel. Gleichzeitig bildet er einen Kontrast zwischen der Strenge der Fassaden mit ihren geometrisch angeordneten Fenstern und dem Gewirr der Stahlbänder. Das ist es auch, was ihn an Architektur überhaupt interessiert, denn "Architecture as such doesn´t really play a role, but the sense that architects have been dealing with spatial issues in relation to people for a long time, and now in particular, that is inspiring......The architecture projecte feed the other project", wie der Künstler es selbst ausdrückt. Mit seiner Arbeit "Sphere" verfolgt Eliasson eine eigenständiger Richtung in seinem Werk, die immer parallel zu seinen ephemeren Installationen aus Licht, Eis, Nebel und Wasser bestand und die durch die Verwendung von hochpoliertem Edelstahl gekennzeichnet ist. Beständigkeit liegt bei einer "Kunst am Bau" -Arbeit nahe und erleichtert auch sicherlich die Akzeptanz in den meisten Findungskommissionen, ist heute aber lange keine Voraussetzung mehr, wie andere in diesem Forum besprochene Arbeiten deutlich machen. Vielleicht ist dies auch der einzige Vorwurf, den man der Arbeit machen könnte, nämlich dass sie zu statisch ist, zu sehr den Skulpturen ähnelt, die man an die Fassade eines fertigen Bau hängt, um die %-Klausel oder andere diesbezügliche Bestimmungen zu erfüllen, und die den schlechten Ruf der Kunst am Bau hauptsächlich zu verantworten haben. Wer aber einmal die Kugel "live" gesehen hat, wird spüren, dass Kunst hier kein unverbindliches Anhängsel ist, sondern mit dem Bau gewachsen ist und auch als statisches und in dieser Hinsicht eher konservativ funktionierendes Kunstwerk doch allen Ansprüchen genügt, die man heute an Kunst im öffentlichen Raum stellt.

Selima Niggl

Abbildungen: Stefan Obermeier
copyright by Olafur Eliasson

 

 


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