Zum Künstler
Der 1967 in Kopenhagen geboren Isländer studierte an der Königlich
Dänischen Kunstakademie. Mitte der 90er Jahre gelang ihm der internationale
Durchbruch, der letztes Jahr in der Gestaltung des dänischen Pavillons
auf der Biennale in Venedig - die Arbeit trug den Titel "The Blind Pavillon"
- und in der großen Einzelausstellung "The weather project" in der Modern
Tate in London einen weiteren Höhepunkt erfuhr. Auch in München konnte
man ihn im Frühjahr 2003 mit der Arbeit "Sonne statt Regen" im Kunstbau
der Städtischen Galerie im Lenbachhaus sehen. Die genannten Titel verweisen
bereits auf einen Hauptaspekt des künstlerischen Werks Eliassons: die
Natur. Dabei geht es ihm aber nicht um das romantisch verklärte Bild derselben,
sondern eher um eine konstruierte Natur, innerhalb derer der Kulturbegriff,
also die Frage nach der individuellen Definition bzw. Wahrnehmung von
Natur, eine wichtige Rolle spielt. Mit seinen Installationen will er beim
Betrachter, der selbst immer auch konstitutives Element darstellt und
in Wechselwirkung mit dem Wahrgenommenen tritt, bestimmte Erfahrungen
naturähnlicher Erscheinungen evozieren. Dabei sind Eis, Wasser, Wind,
Nebel und Licht seine wichtigsten Werkstoffe. Olafur Eliasson lebt und
arbeitet in Berlin, wo er ein großes Planungsbüro leitet.
Beschreibung
Die im Durchmesser 10 Meter messende und acht Tonnen schwere Kugel
aus Edelstahl hängt im größten, nach oben offenen Hof der so genannten
FÜNF HÖFE und gehört zu dem letzten, im Frühjahr 2003 eingeweihten Bauabschnitt.
Bei dem Projekt der HVB Group ein exklusives Einkaufszentrum im Zentrum
der Stadt zu schaffen wurde auch auf die künstlerische Gestaltung geachtet:
So wurden für das Ensemble, in dem übrigens auch die Kunsthalle untergebracht
ist, unter anderem die Architektenteams Herzog & De Meuron sowie Hilmer
und Sattler mit der Planung beauftragt. Außerdem bat man im Rahmen eines
Kunstkonzepts parallel zu dem Bau mehrere Künstler um Vorschläge. Es wurden
schließlich Arbeiten von Thomas Ruff, Rémy Zaugg und Olafur Eliasson realisiert.
Speziell für die Arbeit im Viscardi-Hof wurde ein Wettbewerb mit international
renommierten Künstlern anberaumt. Daran teil nahmen Björn Dahlem, Olafur
Eliasson, Bernd Finkeldei, Albert Hien, die Berliner Gruppe Inges Idee,
Wilhelm Mundt und Jaume Plensa. Die Wettbewerbskommission setzte sich
aus drei Vorstandsmitgliedern, zwei Bereichsleitern und der Kunstbeauftragten
der HVB Group Bärbel Kopplin zusammen. Beratend zur Seite standen ihr
mit Harald Szeemann, Carla Schulz-Hoffmann und Helmut Friedel prominente
Vertreter aus dem Kunstbereich. Carla Schulz-Hoffmann zufolge bekam der
Entwurf des isländischen Künstlers Olafur Eliasson den Vorzug, da er "
durch die Balance von Zeitlosigkeit und Aktualität, konzeptueller Strenge
und Offenheit für unterschiedliche Wahrnehmungen" zu überzeugen vermochte.
An fünf unauffälligen Stahlseilen in den Wandseiten verankert schwebt
die riesige Spiralkugel in der Mitte des fünfeckigen Hofs direkt über
den Köpfen der Passanten. Sie besteht aus einem dichten Geflecht von 14
cm breiten hochglanzpolierten Edelstahlbändern, die sich spiralförmig
übereinander legen und so eine komplizierte geometrische Struktur in 5-Fach-Symmetrie
bilden. An den Polen ist die Kugel geöffnet. Der Besucher kann also, wenn
er genau unter ihr steht, durch sie hindurch in den freien Himmel blicken.
Die glatte Oberfläche der Bänder reflektiert das Licht, so dass die Kugel
wetter- und tageszeitabhängig ihre Farbe leicht verändert. Die Arbeit
wurde mit einem extra hierfür konzipierten, aus vielen Einzelteilen zusammengesetzten
Hilfsgerüst angefertigt, über das die Bänder gespannt wurden, und das
nach der Fertigstellung von innen zerlegt werden konnte. Die Größe und
vor allem das immense Gewicht waren der Grund, dass die Installation vor
Ort, auf dem Flachdach direkt neben dem Viscardi-Hof zusammengebaut wurde
und anschließend nach sechsmonatiger Fertigungszeit "nur" noch mit einem
Autokran in den Hof gehoben werden musste.
Persönliche Beobachtungen
Betritt man zum ersten Mal den Viscardihof, ist man zunächst verblüfft.
Die Kugel ist alleine schon wegen ihrer Dimension nicht das, was man in
einem Einkaufszentrum erwartet, selbst wenn einem "Kunst im öffentlichen
Raum" ein Begriff ist. Man tritt fasziniert unter die Pole, schaut nach
oben in den Himmel und wundert sich, wie eine so große Kugel so nah über
einem schweben kann, ohne bedrohlich zu wirken. Man sieht ihr die acht
Tonnen Gewicht nicht an. Ist die Neugier noch nicht gestillt, probiert
man verschiedene Positionen aus und beobachtet die Schattenspiele, die
sich zwischen dem eigenen Schatten und dem der Kugel - je nach Lichteinfall
- ergeben. Hier soll Kunst Spaß machen, und wer andere Arbeiten von Olafur
Eliasson kennt, weiß, dass er sich dies zum Prinzip gemacht hat. Es gibt
immer etwas zu sehen, zu erleben, zu erfühlen, im weitesten Sinne auszuprobieren…
"Grundsätzlich bin ich nicht gegen die Gesellschaft.", sagt der Künstler:
"Ich sehe mich selbst als einen Mainstreamkünstler, weshalb auch leicht
Zugang zu meinen Werken zu finden ist. Ich mag es, dass ein Unterhaltungswert
dabei sein kann, wenn auch das Publikum diese Unterhaltungskonstruktion
durchschauen könnte." Dieser hier angesprochene Unterhaltungswert unterstützt
aber auch noch eine andere Intention, die weit mehr Reflektion erfordert:
Der Künstler animiert den Betrachter zu einem direkten Kontakt mit seinem
Werk. Interaktion wird bei Eliasson immer vorausgesetzt, so fordert er
einmal die Besucher in der Einführung zu einem Ausstellungskatalog sogar
persönlich auf, sich einbeziehen zu lassen, sich zu bewegen und sich auf
Erfahrungen einzulassen. Er sieht in der Auseinandersetzung zwischen der
Arbeit und dem Betrachter einen Prozess, der einer Verhandlung gleicht
und bei dem die menschliche Wahrnehmung im Vordergrund steht. Eliasson
fordert von der Kunst, Fragen aufzuwerfen, die die Gesellschaft dazu bringen
sich selbst zu evaluieren und zu erkennen, dass die eigene Wahrnehmung
stets abhängig von einer Vielzahl von Varianten also relativ ist. Es stellt
sich natürlich immer die Frage in wie weit es dem Künstler gelingt, solche
Überlegungen auch bei seinem Publikum auszulösen, zumal sich die Installation,
von der wir sprechen, an einem öffentlich zugänglichen Durchgangsort befindet,
an dem sich die meisten Besucher vor allem für die Schaufenster interessieren.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass keine Vermittlungsarbeit bezüglich
der Installation betrieben wird. Leider ist weder über eine Hinweistafel
noch über Fragen an die Verkäufer der umliegenden Geschäfte näheres über
die Kugel oder ihren Urheber zu erfahren. So wird der kunstinteressierte
Besucher nur in eigenständiger Recherche erfahren, dass bei Eliasson die
Beschäftigung mit der Wahrnehmung des Menschen auch immer wieder wissenschaftliche
Züge trägt. Besonders deutlich wurde dies in der Ausstellung Surroundings
Surrounded, die 2001 im ZKM in Karlsruhe zu sehen war. Hier wurden Arbeiten
aus allen wichtigen künstlerischen Themenbereichen Eliassons gezeigt.
Im Katalog zur Ausstellung liefert eine Sammlung natur- und geisteswissenschaftlicher
Texte, die auch aktuelle Positionen aus der Architektur und Kunsttheorie
mit einbezieht, theoretisches Material zu den Arbeiten. Dieser Bezug zu
den Wissenschaften gilt keineswegs nur für die Nachbildung von Naturphänomenen
in laborähnlichen Ausstellungssituationen. Auch in der komplizierten geometrischen
Struktur, die die Stahlbänder der "Sphere" bilden, klingt die Beschäftigung
mit einer naturwissenschaftlichen Problematik an: Die 5-Fach-Spiralstruktur
basiert auf den so genannten "Ammann-lines", einem Strukturmodell, das
zur chemischen Definition von Quasikristallen verwendet wird. Diese wurden
erstmals 1982 bei der Rönkenstrukturanalyse nach einer chemischen Schmelze
entdeckt. Was den Künstler an dieser Entdeckung interessiert, ist die
Tatsache, dass damit erstmals gezeigt wurde, dass in der Natur neben den
bekannten periodischen Strukturen der Kristalle auch halbperiodische Molekülverbindungen
existieren. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Eliassons Zugang
zu den Wissenschaften immer ein gestalterischer, also eher pseudowissenschaftlicher,
was er in einem Interview mit Dieter Buchhart auch freimütig zugibt, wenn
er sagt: "Ich habe keine wissenschaftlichen Intentionen mit meinen Projekten
(…) Wie in der Pop Art klaue ich direkt Naturphänomene und wissenschaftliche
Darstellungen (…)mich interessiert das Verfahren des Sehens zwischen der
Diskrepanz des vermittelten Wissens und des tatsächlich erlebten Wissens."
Auf derselben Ebene fungiert ein weiterer wichtiger Aspekt, der in der
hier besprochenen Arbeit ebenfalls deutlich wird und in dem Ausstellungstitel
"Surroundings surrounded" bereits angeklungen ist: Eliassons Beschäftigung
mit dem Raum. "Ich interessiere mich besonders für das Verhältnis zwischen
dem Individuum, dem Besucher und der umgebenden Situation. Es könnte eine
räumliche Situation in einem Kunstkontext oder im Stadtraum - dem öffentlichen
Raum - sein. Diese Beziehung, dieses Engagement oder diese Auseinandersetzung
als wissendes Subjekt mit diesem Raum ist für mich das Zentrale", erläutert
er sein Ansinnen. Den Raum schafft der Künstler hier nicht, indem er eine
geschlossene Form konstruiert wie oftmals in anderen Installationen, sondern
indem er ein Spannungsfeld aufbaut zwischen Architektur und Kunst: Er
lässt die unterschiedlichen geometrische Formen Kugel und Pentagon aufeinander
treffen, schafft einerseits Nähe, um nicht zu sagen Enge zwischen Beton
und Edelstahl und betont andererseits unendliche Weite mit dem Blick durch
die Pole in den Himmel. Gleichzeitig bildet er einen Kontrast zwischen
der Strenge der Fassaden mit ihren geometrisch angeordneten Fenstern und
dem Gewirr der Stahlbänder. Das ist es auch, was ihn an Architektur überhaupt
interessiert, denn "Architecture as such doesn´t really play a role, but
the sense that architects have been dealing with spatial issues in relation
to people for a long time, and now in particular, that is inspiring......The
architecture projecte feed the other project", wie der Künstler es selbst
ausdrückt. Mit seiner Arbeit "Sphere" verfolgt Eliasson eine eigenständiger
Richtung in seinem Werk, die immer parallel zu seinen ephemeren Installationen
aus Licht, Eis, Nebel und Wasser bestand und die durch die Verwendung
von hochpoliertem Edelstahl gekennzeichnet ist. Beständigkeit liegt bei
einer "Kunst am Bau" -Arbeit nahe und erleichtert auch sicherlich die
Akzeptanz in den meisten Findungskommissionen, ist heute aber lange keine
Voraussetzung mehr, wie andere in diesem Forum besprochene Arbeiten deutlich
machen. Vielleicht ist dies auch der einzige Vorwurf, den man der Arbeit
machen könnte, nämlich dass sie zu statisch ist, zu sehr den Skulpturen
ähnelt, die man an die Fassade eines fertigen Bau hängt, um die %-Klausel
oder andere diesbezügliche Bestimmungen zu erfüllen, und die den schlechten
Ruf der Kunst am Bau hauptsächlich zu verantworten haben. Wer aber einmal
die Kugel "live" gesehen hat, wird spüren, dass Kunst hier kein unverbindliches
Anhängsel ist, sondern mit dem Bau gewachsen ist und auch als statisches
und in dieser Hinsicht eher konservativ funktionierendes Kunstwerk doch
allen Ansprüchen genügt, die man heute an Kunst im öffentlichen Raum stellt.
Selima Niggl
Abbildungen: Stefan Obermeier
copyright by Olafur Eliasson
|
|
Gesamtansicht
Detailansicht
Detaiansicht
|