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besprechung
ein aids-mahnmal für münchen |
aids-mahnmal von wolfgang tillmanns
am sendlingertorplatz
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Die Diskussion vor einer Woche im Kunstverein fand spät
statt. Zu spät, um folgenreich über Sinn und Zweck eines Denk- bzw.
Mahnmals zum Thema "Aids" zu sprechen. Nicht zu spät, um wieder und
wieder auf die gesellschaftliche Ohnmacht gegenüber dem Virus aufmerksam
zu machen.
Vor einem Jahr wurde auf Antrag der Stadtratsfraktion Bündnis90/Die
Grünen/Rosa Liste der Beschluß gefasst, in München ein Aids-Mahnmal
zu errichten. Unter der Federführung des Kulturreferats wurde eine Ausschreibung
zu dem 100.000 Mark-Projekt verfaßt, die sehr offen Künstler aufforderte,
Positionen zu entwickeln, die einerseits den Opfern von Aids gedenkt,
andererseits den mahnenden Charakter für die Zukunft transportiert.
Letztendlich waren es 16 Künstler, darunter internationale Größen wie
Ayse Erkmen oder Piotr Nathan, die in die engere Auswahl kamen.
Man entschied sich im Juni schließlich für den 1968 in Remscheid geborenen
Wolfgang Tillmanns. Ort für das Aids-Denkmal wird der Sendlingertorplatz
sein. Dort wird Tillmanns eine der blaugekachelten Säulen der U-Bahn-Station
aus dem Untergrund nach oben fortführen lassen, damit diese schließlich,
nunmehr funktionslos, dem Himmel entgegenragt. |
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Die Ästhetik der U-Bahn-Station mit ihren Kacheln
entstammt der Zeit der Olympischen Spiele '72, einer Zeit in
der die Elterngeneration von Tillmanns ihre sexuelle Befreiung erlebte,
die zehn Jahre später durch Aids brutal in Frage gestellt wurde. Die
Verbindung von oben und unten und die Symbolik des Blau erlauben eine
Vielfalt von Assoziationen, die diese Arbeit zu einem gelungenen Beispiel
für Kunst im öffentlichen Raum macht. Doch wäre dort nicht die Inschrift
"Den Opfern von Aids von 1981 bis heute", würde die Arbeit tatsächlich
das Thema transportieren können?
Die Inschrift selbst scheint überdenkenswert, denn zum einen
betont sie den rückwärtsgewandten Blick auf unzählige tragische Schicksale
ohne vorausweisend zu sein. Zum anderen erinnert der Wortlaut an Gedenktafeln
des Krieges, wo der Opfer gedacht wird, damit jedoch auch implizit die
Frage nach den Tätern gestellt wird. Hier gibt es jedoch keine Täter.
Eine Personifizierung des unheilvollen Virus nach dem mittelalterlichen
Vorbild von Pestepidemien scheint für einen zeitgemässen Umgang mit
Aids nicht angebracht. Potentielle Opfer sind wir alle. Der Täter ist
nicht das Virus, sondern die Art und Weise, wie er sich verbreitet.
Er fußt im Kapitalismus, er greift das soziale System an. Wie praktisch
war es noch, als Peter Gauweiler 1986 mit dem Finger auf die "Schuldigen"
zeigen und mit dem Bayerischen Maßnahmenkatalog die Zwangstestung von
Schwulen und die Einführung einer Meldepflicht für Aids-Infizierte fordern
konnte. Es ist richtig, daß in München, der Stadt in der das "Horrorszenario
der repressiven Maßnahmen von Gauweiler" - so Sabine Csampai von den
Grünen - sein Zuhause hat, Stellung bezogen wird. Doch warum ist die
Szene nicht stärker, meldet sich nicht lauter zu Wort? Schlendert man
durch den Hamburger Stadteil St. Georg, so stößt man an vielen Stellen
auf kleine persönliche Mahnmale, die das Schicksal Infizierter und Verstorbener
dokumentieren. Zeugnisse, die nicht einer offiziellen Initiative des
Stadtrats bzw. Senats bedurften. München wird sein Mahnmal bekommen,
doch ob die Kanten der Säule so scharf, die Farben so schrill sein werden,
dass sich auch folgende Generationen daran stoßen können werden, darf
bezweifelt werden.
christian schoen
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