magazin


1 8 3      1 8 0 4 2 0 0 1
besprechung
aller anfang ist merz
kurt schwitters und die folgen
aller anfang ist merz-von kurt schwitters bis heute

eine ausstellung im haus der kunst
bis 27.05.2001

Ein Buchtip zu Ostern. Es war einmal ein Hase – nein eigentlich war der Hase ein Ferkel, der Haseferkel ein Schwan, der Haseferkelschwan ein Fisch, der Haseferkelschwanfisch ein Nilpferd, der Haseferkelschwanfischnilpferd ein Dampfer, der mit Hasendampf voraus in ferne Länder zog. Und doch: es war ein Hase, der träumte von Veränderung und fernen Ländern...
(Eine Hasengeschichte von Kurt Schwitters mit Illustrationen von Carsten Märtin, Lappan Verlag 2001)


Hase oder nicht, Verwandlungen hatten es Schwitters angetan. In seinen Collagen seit 1917/18 glich nichts dem, was es einmal war. Mit dem Messer im Hemdsärmel zog der Künstler in die Stadt, sammelte was ihm in die Finger fiel, trug es nach Hause, reinigte es und verwahrte es sorgsam in einer Kiste. Wenn es an der Zeit war, zog er es hervor und machte eine Collage draus. Da sind sie: die bewährten Spitzen und Häkelwaren, Zeitungsschnipsel und Plakatreste, Hölzernes und Metallenes. Was einmal war, das ist nicht mehr, auch nicht in Hinblick auf den veränderten Kontext; ausgemerzt und dann im Schwitterschen Jargon wieder „vermerzt„, zu etwas Neuem und durchaus Eigenständigem. Das erste Bild in der Ausstellung – gleich links, wenn man reinkommt – „Abstraktion– (schlafender Kristall)" zeigt ein kristallines Gebilde. Der alten Symbolik zufolge ist dies die Vielheit in der Einheit.
„Merz„, das ist kein Stilbegriff, keine Kunsttheorie; „Merz„ ist Ausdruck des gesamten künstlerischen Schaffens einschließlich des Schöpfers selbst, der ab 1927 mit „Merz„ zu signieren begann. Einst dem Schriftzug „Privat- und Commerzbank„ entnommen, liegen auch die Assoziationen zu Herz-Schmerz nicht fern. Neben Kommerziellem und Trivialem, das einem in Schwitters Collagen und Assemblagen auf Schritt und Tritt begegnet, dürfen wir uns auch an den Frühlingsmonat März erinnert fühlen, an Aufbruch und Neuanfang. Aller Anfang ist Merz – so der Titel der Ausstellung - , die neben den „Altmeister„ vor allem die jungen und ganz jungen Künstler seit den 50er/60er Jahren bis heute zeigt, die sich immer wieder an den Schwitterschen Vorbildern inspirieren ließen.

kunst und leben

Immer wieder lugt auch der andere Urvater der Moderne hinter den collagierten Facetten hervor. Wenn Marcel Duchamp seine ready-mades, den Flaschentrockner, das Urinoir ins Museum stellte, dann ging es auch ihm nicht darum, diese altbekannten Dinge im veränderten Kontext plötzlich neu erscheinen zu lassen, ihre bislang unerkannte Schönheit zu entdecken. Nein, es ging überhaupt nicht um Ästhetik, sondern um Neutralität, um „Indifferenz„, wie es der Künstler bezeichnet haben wollte. Dies war kein Flaschentrockner mehr und schon gar kein Urinoir, weder schön noch häßlich, gut noch schlecht. Zugegeben, von diesem „Nullpunkt„ aus konnte es wieder mit Bedeutung aufgeladen werden, nicht nur durch den Künstler, sondern durch den Betrachter, jedem auf seine Weise. Auch für Schwitters ging es nicht um das Objekt an der Wand, die Skulptur auf dem Sockel, das einen Gedanken vermittelte oder eine Idee verkörperte. Es wurde erst, und zwar zu dem, was der Betrachter daraus machte. So wie der Künstler die Realität zunehmend ins Museum brachte, brachte der Betrachter die Fiktion zurück ins Bild. Auf diese Zusammenarbeit baute Schwitters. Kunst und Leben zu verbinden, das war ein erklärtes Ziel der Moderne.

realismus und abstraktion

Und so gehört zu „Merz„ nicht nur das avantgardistische, sondern auch das realistische Werk, sowie die Gedichte und die Ursonate und dann die theoretischen Schriften wie die graphisch-gewerbliche Arbeit. Ein ganzer Raum ist den realistischen Werken gewidmet, nicht nur Frühwerk und Auftragsarbeiten. Lange Zeit marginalisiert ist diese Seite des künstlerischen Schaffens von Kurt Schwitters wichtiger Bestandteil des Ganzen. Naturnachahmung im Sinne der Aneignung der Objekte, ja einer objektiven Welt da draußen; Abstraktion im Sinne ihrer subjektiven Aneignung durch den Künstler und den Betrachter. Abstraktion das ist das eigentliche Ziel, für Schwitters die Collage, die jedoch ohne ihre Herkunft aus der Welt der Objekte nicht vollkommen wäre: Die Alltagswelt wird zu einem Neuen Abstrakten vermerzt und bleibt doch in ihr – allerdings in einem höheren Sinne – aufgehoben. In der Ausstellung zu sehen auch die "Stacks" von Tony Cragg. Stapel wie der Name schon sagt, in dem der Künstler Abfall häuft, fein säuberlich und nach außen glatt abgeschlossen, in dem das Einzelne, manchmal noch erkennbar, sich doch eher dem Ganzen fügt.

environment


Schwitters Merzbau: das erste Environment? Schon die Collagen muß man als raumgreifende Objekte sehen; dann die Skultpturen und schließlich der Merzbau. Ursprünglich war es das Atelier des Künstlers. Ein Arbeitsraum, in dem an Kunst gearbeitet wurde, die Werke wie andere Objekte an den Wänden lehnten, wurde seit 1923 bis 1937 zu einem intimen Kunstraum umgebaut. Hier betrachtete der Besucher (nurmehr Freunde und Verwandte) nicht mehr die Kunstwerke, sondern sich selbst . Vom distanzierten Subjekt selbst zum Objekt geworden. Symbolträchtig nennt Schwitters seinen Merzbau: „Die Kathedrale des erotischen Elends„. Der Betrachter erinnert sich an die Kathedrale als Gesamtkunstwerk, als das gleichberechtigte Nebeneinander der verschiedenen Künste. An die Erotik mit ihren „elenden„ Zuweisungen von männlichem Subjekt auf der einen und weiblichen Objekt auf der anderen Seite, die nach einem Perspektivwechsel rufen, wie es so manches Environment bis heute durchspielt. Die Ausstellung zeigt Räume von Gregor Schneider, Laura Kikauka und Christoph Büchsel.
Vollendet wurde er nie, der Merzbau. 1943 infolge der Bombardierung Hannovers zerstört, wurden zwei weitere Bauten nach der Emigration in Oslo und später im englischen Lake District begonnen. Doch seine ganze Kunst empfand Schwitters eigentlich nie als etwas, das sich vollenden ließe. Stets in Veränderung begriffen durch den Künstler, den Betrachter und die Zeit verlassen sich auch junge Künstler schon lange nicht mehr auf die alten Haltbarkeitsdaten. Da auch diese Ausstellung nicht ewig währt, ist Eile geboten. Und da auch mancher Plunder vorher verscherbelt werden muß, wird am letzten Tag der Ausstellung zur Versteigerung eingeladen.

imke bösch



email
impressum


kunst in münchen
suche

berichte, kommentare,
archiv

kulturinformation
im internet